Neuevangelisierung:
Das ist das große Thema, das der Vatikan im Moment verfolgt. Auch der 98. kirchliche
Welttag für die Migranten, der am 15. Januar ins Haus steht, steht unter dieser Überschrift.
Stefan Kempis berichtet.
Die Idee geht so: Könnte man nicht vielen Flüchtlingen,
die aus den armen Ländern in den Westen strömen, das Evangelium mit in ihr Bündel
von Habseligkeiten stecken, damit sie es im Westen neu verbreiten? Schließlich haben
ja auch muslimische Migranten ihren Glauben im Westen ganz neu präsent gemacht. Das
Problem ist nur: Viele christliche Migranten lassen sich, sobald sie erstmal im Westen
sind, von der hiesigen Laxheit in Glaubensdingen anstecken, statt sich als Agenten
einer neuen Evangelisierung zu fühlen. „In unserem historisch-kulturellen Kontext
kann es passieren, dass Einwanderer, die eigentlich überzeugte Christen sind, den
Eindruck haben, dass der Glaube sozusagen nicht mehr gültig und entscheidend für ihr
Leben ist.“
So formuliert der Erzbischof Bruno Schettino aus Capua: Er ist
der italienische Migrantenbischof und hat am Dienstag die Papstbotschaft zum Thema
Migration den Journalisten präsentiert. „Für die Kirche ist das eine Herausforderung.
Sie muss es hinbekommen, dass die Migranten ihren Glauben intakt erhalten, auch wenn
sie nicht mehr das kulturelle Umfeld wie in ihrer Heimat haben, das ihnen den Rücken
stärkt. Dabei muss die Kirche auch neue pastorale Strategien entwickeln, neue Methoden
und Sprachen, damit die Aufnahme des Wortes Gottes immer fruchtbar bleibt.“
Bischof
Schettino lehnt sich bei dieser Formulierung an die Papstbotschaft zum Welttag der
Migranten an. Von einer „nie dagewesenen Mischung von Personen und Völkern“ spricht
Benedikt XVI. in seinem Text, von „neuen Problematiken nicht nur vom menschlichen,
sondern auch vom ethischen, religiösen und geistlichen Gesichtspunkt her“. Und wörtlich
meint er: „Unsere Zeit ist geprägt von Versuchen, Gott und die Lehre der Kirche aus
dem Horizont des Lebens zu entfernen, während Zweifel, Skepsis und Gleichgültigkeit
sich breitmachen, die sogar jegliche gesellschaftliche und symbolische Sichtbarkeit
des christlichen Glaubens auslöschen möchten.“ Diesen Versuch, das Christliche im
Westen aus dem Straßenbild zu verdrängen, könnten christliche Einwanderer vereiteln,
so die Hoffnung im Vatikan.
„Dazu müssen wir verhindern, dass die Einwanderer
in dem Land, wo sie hingelangen, sich nicht als Teil der dortigen Kirche führen.“
Das sagt der Generaldirektor der italienischen kirchlichen Stiftung Migrantes, Monsignore
Giancarlo Perego. „Wir Italiener, die selbst im Lauf unserer Geschichte so oft ins
Ausland emigriert sind, müssen die Augen öffnen und sehen, wie Einwanderer unsere
Kirchen bereichern und schon jetzt das Gesicht unserer Kirche verändern. Von den etwa
viereinhalb Millionen Ausländern, die in Italien leben, sind mehr als die Hälfte,
nämlich fast zweieinhalb Millionen, Christen. Die meisten von ihnen sind Orthodoxe,
die Katholiken stehen mit 876.000 an zweiter Stelle. Allein im Jahr 2010, aus dem
wir die letzten detaillierten Zahlen haben, ist die Zahl der Christen unter den Einwanderern
im Vergleich zum Vorjahr um vier Prozentpunkte gestiegen, die Zahl der Muslime hingegen
noch nicht einmal um einen Prozentpunkt.“
Für Perego ist die Forderung, die
sich aus diesen Zahlen ergibt, klar: Italiens Kirche darf nicht mehr nur von ihrer
eigenen Geschichte und Perspektive ausgehen, muss ihre Schulen und Universitäten stärker
für die neuen Realitäten öffnen, muss beim Erstkommunion- und Firmunterricht stärker
auf Kinder und Jugendliche aus Migrantenfamilien eingehen, darf durchaus auch ihre
Liturgie mit Blick auf andere katholische Traditionen erweitern. Der Monsignore spricht
von 2.300 Einwanderern, die in Italien als Priester tätig sind, und von über 3.000
Ordensfrauen, die aus dem nichtitalienischen Ausland kommen. Aber blickt man vom Vatikan
oder der italienischen Kirche aus durch die Neuevangelisierungs-Brille auf Rom, dann
kommt auch noch eine ganz andere Sorte von Migranten in den Blick. Ebenfalls arm,
aber keine Flüchtlinge: Gemeint sind Studenten.
„Die Zahl der Studenten aus
dem Ausland steigt weltweit rasch und stark an, sie lag 2010 bei mehr als drei Millionen
und soll bis 2025 auf über sieben Millionen klettern... Mittlerweile kommen auch viele
Studenten aus Entwicklungs- oder Schwellenländern für eine bestimmte Zeit an eine
Uni in Europa. In Italien treffen sie noch auf manche bürokratische Schwierigkeiten;
so kann es zum Beispiel in einigen Fällen fünf Monate oder länger dauern, bis sie
eine Studienerlaubnis in den Händen halten. Auch hier müsste der interkulturelle Austausch
verstärkt werden!“
„Die christlichen Gemeinden sollten besonders einfühlsam
sein gegenüber den vielen jungen Studenten“, schreibt auch Benedikt XVI. in seiner
Botschaft: „Sie brauchen Bezugspunkte, und sie haben in ihrem Herzen ein tiefes Verlangen
nach der Wahrheit. Insbesondere die christlich orientierten Universitäten sollen Orte
des Zeugnisses sein, von denen die Neuevangelisierung ausstrahlt.“
Übrigens:
Am 16. Oktober feiert die Stiftung Migrantes der italienischen Bischofskonferenz ihren
25. Geburtstag. Das fällt fast zusammen mit dem Start des „Jahres des Glaubens“, das
Papst Benedikt am 11. Oktober feierlich eröffnet. Ein „glückliches Zusammentreffen“
nennt Monsignore Perego das.
„Wir arbeiten gerade an einem Programm, um
das Thema Migranten vom Rand ins Zentrum der Aufmerksamkeit in den Pfarreien zurückzuholen.
In dem Programm wollen wir auf die Roma und Sinti hinweisen, auf die Menschen auf
See, auf die Schausteller. Auch beim Weltjugendtag von Rio de Janeiro und bei der
Vatikan-Bischofssynode zum Thema Neuevangelisierung wollen wir das Interesse an den
Migranten wachhalten.“
Schon die erste Evangelisierung in Rom lag, vor
2.000 Jahren, vor allem in den Händen von Einwanderern, Migranten wie dem heiligen
Petrus. Bei der Neuevangelisierung Italiens und Europas könnte das Szenario ähnlich
aussehen.