2012-01-11 15:09:07

Die Migranten und die Neuevangelisierung


RealAudioMP3 Neuevangelisierung: Das ist das große Thema, das der Vatikan im Moment verfolgt. Auch der 98. kirchliche Welttag für die Migranten, der am 15. Januar ins Haus steht, steht unter dieser Überschrift. Stefan Kempis berichtet.

Die Idee geht so: Könnte man nicht vielen Flüchtlingen, die aus den armen Ländern in den Westen strömen, das Evangelium mit in ihr Bündel von Habseligkeiten stecken, damit sie es im Westen neu verbreiten? Schließlich haben ja auch muslimische Migranten ihren Glauben im Westen ganz neu präsent gemacht. Das Problem ist nur: Viele christliche Migranten lassen sich, sobald sie erstmal im Westen sind, von der hiesigen Laxheit in Glaubensdingen anstecken, statt sich als Agenten einer neuen Evangelisierung zu fühlen. „In unserem historisch-kulturellen Kontext kann es passieren, dass Einwanderer, die eigentlich überzeugte Christen sind, den Eindruck haben, dass der Glaube sozusagen nicht mehr gültig und entscheidend für ihr Leben ist.“

So formuliert der Erzbischof Bruno Schettino aus Capua: Er ist der italienische Migrantenbischof und hat am Dienstag die Papstbotschaft zum Thema Migration den Journalisten präsentiert. „Für die Kirche ist das eine Herausforderung. Sie muss es hinbekommen, dass die Migranten ihren Glauben intakt erhalten, auch wenn sie nicht mehr das kulturelle Umfeld wie in ihrer Heimat haben, das ihnen den Rücken stärkt. Dabei muss die Kirche auch neue pastorale Strategien entwickeln, neue Methoden und Sprachen, damit die Aufnahme des Wortes Gottes immer fruchtbar bleibt.“

Bischof Schettino lehnt sich bei dieser Formulierung an die Papstbotschaft zum Welttag der Migranten an. Von einer „nie dagewesenen Mischung von Personen und Völkern“ spricht Benedikt XVI. in seinem Text, von „neuen Problematiken nicht nur vom menschlichen, sondern auch vom ethischen, religiösen und geistlichen Gesichtspunkt her“. Und wörtlich meint er: „Unsere Zeit ist geprägt von Versuchen, Gott und die Lehre der Kirche aus dem Horizont des Lebens zu entfernen, während Zweifel, Skepsis und Gleichgültigkeit sich breitmachen, die sogar jegliche gesellschaftliche und symbolische Sichtbarkeit des christlichen Glaubens auslöschen möchten.“ Diesen Versuch, das Christliche im Westen aus dem Straßenbild zu verdrängen, könnten christliche Einwanderer vereiteln, so die Hoffnung im Vatikan.

„Dazu müssen wir verhindern, dass die Einwanderer in dem Land, wo sie hingelangen, sich nicht als Teil der dortigen Kirche führen.“ Das sagt der Generaldirektor der italienischen kirchlichen Stiftung Migrantes, Monsignore Giancarlo Perego. „Wir Italiener, die selbst im Lauf unserer Geschichte so oft ins Ausland emigriert sind, müssen die Augen öffnen und sehen, wie Einwanderer unsere Kirchen bereichern und schon jetzt das Gesicht unserer Kirche verändern. Von den etwa viereinhalb Millionen Ausländern, die in Italien leben, sind mehr als die Hälfte, nämlich fast zweieinhalb Millionen, Christen. Die meisten von ihnen sind Orthodoxe, die Katholiken stehen mit 876.000 an zweiter Stelle. Allein im Jahr 2010, aus dem wir die letzten detaillierten Zahlen haben, ist die Zahl der Christen unter den Einwanderern im Vergleich zum Vorjahr um vier Prozentpunkte gestiegen, die Zahl der Muslime hingegen noch nicht einmal um einen Prozentpunkt.“

Für Perego ist die Forderung, die sich aus diesen Zahlen ergibt, klar: Italiens Kirche darf nicht mehr nur von ihrer eigenen Geschichte und Perspektive ausgehen, muss ihre Schulen und Universitäten stärker für die neuen Realitäten öffnen, muss beim Erstkommunion- und Firmunterricht stärker auf Kinder und Jugendliche aus Migrantenfamilien eingehen, darf durchaus auch ihre Liturgie mit Blick auf andere katholische Traditionen erweitern. Der Monsignore spricht von 2.300 Einwanderern, die in Italien als Priester tätig sind, und von über 3.000 Ordensfrauen, die aus dem nichtitalienischen Ausland kommen. Aber blickt man vom Vatikan oder der italienischen Kirche aus durch die Neuevangelisierungs-Brille auf Rom, dann kommt auch noch eine ganz andere Sorte von Migranten in den Blick. Ebenfalls arm, aber keine Flüchtlinge: Gemeint sind Studenten.

„Die Zahl der Studenten aus dem Ausland steigt weltweit rasch und stark an, sie lag 2010 bei mehr als drei Millionen und soll bis 2025 auf über sieben Millionen klettern... Mittlerweile kommen auch viele Studenten aus Entwicklungs- oder Schwellenländern für eine bestimmte Zeit an eine Uni in Europa. In Italien treffen sie noch auf manche bürokratische Schwierigkeiten; so kann es zum Beispiel in einigen Fällen fünf Monate oder länger dauern, bis sie eine Studienerlaubnis in den Händen halten. Auch hier müsste der interkulturelle Austausch verstärkt werden!“

„Die christlichen Gemeinden sollten besonders einfühlsam sein gegenüber den vielen jungen Studenten“, schreibt auch Benedikt XVI. in seiner Botschaft: „Sie brauchen Bezugspunkte, und sie haben in ihrem Herzen ein tiefes Verlangen nach der Wahrheit. Insbesondere die christlich orientierten Universitäten sollen Orte des Zeugnisses sein, von denen die Neuevangelisierung ausstrahlt.“

Übrigens: Am 16. Oktober feiert die Stiftung Migrantes der italienischen Bischofskonferenz ihren 25. Geburtstag. Das fällt fast zusammen mit dem Start des „Jahres des Glaubens“, das Papst Benedikt am 11. Oktober feierlich eröffnet. Ein „glückliches Zusammentreffen“ nennt Monsignore Perego das.

„Wir arbeiten gerade an einem Programm, um das Thema Migranten vom Rand ins Zentrum der Aufmerksamkeit in den Pfarreien zurückzuholen. In dem Programm wollen wir auf die Roma und Sinti hinweisen, auf die Menschen auf See, auf die Schausteller. Auch beim Weltjugendtag von Rio de Janeiro und bei der Vatikan-Bischofssynode zum Thema Neuevangelisierung wollen wir das Interesse an den Migranten wachhalten.“

Schon die erste Evangelisierung in Rom lag, vor 2.000 Jahren, vor allem in den Händen von Einwanderern, Migranten wie dem heiligen Petrus. Bei der Neuevangelisierung Italiens und Europas könnte das Szenario ähnlich aussehen.

(rv 11.01.2012 sk)







All the contents on this site are copyrighted ©.