Neujahrsempfang im Vatikan: Papstrede an die Diplomaten
Von der arabischen Revolution zum Frieden im Nahen Osten, von der Religionsfreiheit
bis zur Wirtschaftskrise, vom Schutz der Familie und der Ungeborenen bis zum Schutz
der Umwelt: Papst Benedikt XVI. hat bei seiner Neujahrsansprache an die Diplomaten
an diesem Montag einen weiten Bogen gespannt.
Wirtschafts- und Finanzkrise Der
Papst ruft die Nationen dazu auf, andere als die bisher angepeilten Wege aus der Krise
zu finden. „Wir müssen“, sagt er, „mit neuen Formen des Engagements entschieden unseren
Weg einschlagen“. Die Krise „kann und muss ein Ansporn“ sein, über die ethische Dimension
der menschlichen Existenz nachzudenken, mehr noch als über wirtschaftliche Mechanismen.
Es geht nicht nur darum, „individuelle oder volkswirtschaftliche Verluste einzudämmen“,
sondern „neue Regeln aufzustellen, die allen die Möglichkeit garantieren, ein Leben
in Würde zu führen“.
Nordafrika und Naher Osten Eine Bilanz der
Umbruchbewegungen lässt sich noch nicht ziehen, sagt Benedikt XVI. Jedoch macht sich
nach dem Start des arabischen Frühlings – ein Ausdruck, den Benedikt allerdings nicht
benutzt – nach anfänglichem Optimismus nun eine Sichtweise breit, die die Schwierigkeiten
dieser „Zeit des Übergangs und des Wandels“ sieht. Fundamental ist an diesem Punkt
aus Sicht des Papstes die „Anerkennung der unveräußerlichen Würde jeder menschlichen
Person und ihrer Grundrechte“. Die Achtung des Menschen muss – auch in den Umbruchländern
- „im Mittelpunkt der Institutionen und der Gesetze stehen“, und sie muss der Gefahr
vorbeugen, dass aus den Bürgerprotesten und den Reaktionen darauf „bloße Instrumente
des Machterhalts oder der Machtergreifung“ werden. Die internationale Gemeinschaft
ruft der Papst dazu auf, mit den Akteuren der gegenwärtigen Umbruchprozesse zu sprechen.
Und er lädt die Politiker zu Selbstlosigkeit ein: Der Aufbau stabiler Staaten, in
denen niemand diskriminiert wird, ist wichtiger „als der Blick auf Wahltermine“.
Syrien Angesichts
der blutigen Umwälzungen findet der Papst überaus deutliche Worte. Er hoffe auf „ein
schnelles Ende des Blutvergießens und den Beginn eines fruchtbaren Dialogs“ zwischen
den politischen Beteiligten, „begünstigt durch die Präsenz unabhängiger Beobachter“.
Heiliges Land Der Papst würdigt die neuen Friedensgespräche zwischen
Israelis und Palästinensern auf Anregung des Königs von Jordanien. Er unterstreicht
neuerlich „das Recht beider Völker, in souveränen Staaten mit sicheren, international
anerkannten Grenzen“ in Sicherheit zu leben.
Familie Die Ehe, schärft
der Papst den Diplomaten aus 178 Ländern ein, ist eine Verbindung zwischen einem Mann
und einer Frau. Das sei nicht bloß gesellschaftliche Konvention, sondern „die Grundzelle
der ganzen Gesellschaft“. Deshalb bedroht eine Politik, die die Familie gefährdet,
letztlich „die Zukunft der Menschheit selbst“.
Lebensrecht Zwei
aus Sicht der Kirche positive politische Entscheidungen würdigt der Papst ausdrücklich:
Das EU-Verbot, menschliche embryonale Stammzellen zu patentieren, und das Nein des
Europarates zur Embryonenselektion aufgrund des Geschlechts. Ebenfalls besonders an
die westliche Welt gerichtet, verurteilt der Papst gesetzliche Maßnahmen, die Abtreibung
„nicht nur erlauben, sondern zuweilen sogar fördern“, teils mit „zweifelhaften medizinischen
Gründen“.
Erziehungs- und Bildungseinrichtungen Die Politik eines
jeden Landes sollte darauf zielen, dass „die Schulbildung allen offen steht“ und –
das scheint ein Wink eher an westliche Staaten – über die Vermittlung reinen Wissens
hinaus auch „für ein harmonisches Heranreifen der Persönlichkeit Sorge trägt, einschließlich
ihrer Offenheit für das Transzendente“. Benedikt verweist auf das traditionelle Engagement
der Kirche in der Schul- und Universitätsbildung und wünscht, dass ein solcher Beitrag
„auch in den nationalen Gesetzgebungen Anerkennung und Förderung erfährt“.
Religionsfreiheit
Sie ist, sagt der Papst den Botschaftern, „das erste Menschenrecht“, weil
sie „Ausdruck der grundlegendsten Wirklichkeit des Menschen“ ist. Namentlich erwähnt
Benedikt den – christlichen - pakistanischen Minister Shahbaz Bhatti, „dessen unermüdlicher
Kampf für die Rechte der Minderheiten“ Grund seiner Ermordung im letzten Jahr war.
Kein Einzelfall, wie der Papst bedauert: „In zahlreichen Ländern werden die Christen
ihrer Grundrechte beraubt und aus dem öffentlichen Leben ausgegrenzt; in anderen erleiden
sie gewaltsame Attacken auf ihre Kirchen und Wohnungen. Manchmal sind sie gezwungen,
die Länder zu verlassen, zu deren Aufbau sie beigetragen haben.“ In anderen Ländern
lasse sich die Tendenz beobachten, die Rolle der Religionen in der Gesellschaft zurückzudrängen,
„als wäre sie Ursache der Intoleranz und nicht vielmehr ein schätzenswerter Beitrag
für die Erziehung zur Achtung der Menschenwürde, zur Gerechtigkeit und zum Frieden“.
Religiös motivierter Terrorismus Hier beruft sich der Papst auf
seine Worte beim Friedenstreffen der Religionen in Assisi vergangenen Oktober: Die
Religionsführer müssen mit Überzeugung wiederholen, dass religiös motivierter Terrorismus
der Natur der Religion zuwiderläuft und zu deren „Entstellung und Zerstörung“ beiträgt.
In diesem Zusammenhang würdigt der Papst, „wie ich es in meinem Heimatland getan habe,
dass für die Väter des deutschen Grundgesetzes das christliche Menschenbild die wahre
Inspirationsquelle war, wie es das übrigens auch für die Gründerväter des geeinten
Europa war“.
Afrika Gerechtigkeit, Versöhnung und Frieden sind mancherorts
weit entfernte Ziele. Benedikt denkt da besonders „an den Rückfall in die Gewalt in
Nigeria“ mit den tödlichen Attacken auf Kirchen zu Weihnachten, an das Wiederaufflammen
des Bürgerkriegs in Elfenbeinküste, die andauernde Instabilität in der Region der
Großen Seen und an die humanitäre Notlage am Horn von Afrika. Ganz besonders ruft
der Papst die Staatengemeinschaft dazu auf, „eine Lösung für die seit Jahren andauernde
Krise in Somalia“ zu finden.
Achtung der Schöpfung Wer den Menschen
umfassend fördern will, findet ein bevorzugtes Feld im Umweltschutz und in der „Synergie
zwischen dem Kampf gegen die Armut und jenem gegen den Klimawandel“. An dieser Stelle
gibt Benedikt zu verstehen, dass der jüngste Klimagipfel in Durban mit unbefriedigenden
Ergebnissen zu Ende ging. Er wünsche sich, dass nach dem Durban-Gipfel „die internationale
Gemeinschaft sich als authentische „Familie der Nationen“ auf die UNO-Konferenz zur
nachhaltigen Entwicklung“, also „Rio + 20“ vorbereitet. Und Papst Benedikt mahnt einen
„hohen Sinn für Solidarität und Verantwortungsgefühl gegenüber den gegenwärtigen und
den zukünftigen Generationen“ an.
Zu Beginn seiner ganz auf Französisch
gehaltenen Rede hatte Benedikt die den Heiligen Stuhl betreffenden diplomatischen
Entwicklungen von 2011 zusammengefasst: die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit
Malaysia, die Entsendung eines Nuntius zum Verband der Südostasiatischen Staaten ASEAN,
sowie die Vollmitgliedschaft des Heiligen Stuhles in der Internationalen Organisation
für Migration.
Der Heilige Stuhl unterhält volle diplomatische Beziehungen
mit 178 Staaten, also nahezu allen; jedoch fehlen vorerst mit China und Saudi-Arabien
zwei besonders wichtige politische Größen.