„Kirche in Not“: „Leid quantifizieren ist problematisch“
Man soll nur Statistiken
glauben, die man selbst gefälscht hat, sagt ein Sprichwort. Fakt ist, Christen sind
die meist verfolgte Religionsgemeinschaft weltweit. Wenn es um konkrete Zahlen bei
der Christenverfolgung geht, dann muss man aber in besondere Weise aufpassen. Darauf
macht der Pressesprecher von „Kirche in Not“, André Stiefenhofer, aufmerksam. In einem
Kommentar für Radio Vatikan geht er auf die jüngste Statistik der Christenverfolgungen
ein, die das evangelische Hilfswerk Open Doors diese Woche veröffentlicht hat. Open
Doors spricht von rund 100 Millionen Christen, die weltweit aktuell unter Verfolgung
und Unterdrückung leiden.
Hier lesen und hören Sie den gesamten Kommentar
von André Stiefenhofer.
Zunächst einmal unterstützen auch wir bei „Kirche
in Not“ es sehr dass die Kollegen von Open Doors das weltweite Schicksal von diskriminierten
und verfolgten Christen in die Medien tragen und damit die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit
auf dieses wichtige Thema lenken. Die fehlende Religionsfreiheit ist für Christen
weltweit in der Tat ein Problem und man kann die Politik und die Öffentlichkeit gar
nicht genug dafür sensibilisieren.
Andere Herangehensweise Allerdings
hat „Kirche in Not“ in der Präsentation des Themas eine ganz andere Herangehensweise:
Wir stellen in unserem Religionsfreiheitsbericht die Situation von Christen in den
verschiedenen Ländern der Erde nebeneinander und nehmen keine Rangordnung vor. Warum?
Ganz einfach: Die politische und gesellschaftliche Situation zum Beispiel in Nordkorea,
Pakistan, Saudi-Arabien, dem Irak und Somalia ist dermaßen unterschiedlich, dass bei
einem direkten Vergleich Äpfel und Birnen nebeneinandergestellt werden und sich eine
„Rangordnung“ daher sehr schwierig gestaltet.
Wer hat gezählt? Seriöses
Zahlenmaterial für eine umfassende Forschung liegt kaum vor. Ein Beispiel dafür ist
die von Open Doors oft genannte Zahl, dass 100 Millionen Christen weltweit verfolgt
werden. Man erfährt nicht, wie das Hilfswerk auf diese Zahl kommt! Wer hat diese Christen
gezählt? Wer fällt darunter? Ist da etwa auch der Schüler in den USA mit dabei, der
lediglich kein Kreuz im Schulunterricht tragen darf, weil manche Bundesstaaten dies
untersagen? Und wird dieser Amerikaner dann vielleicht mit dem Christen im pakistanischen
Foltergefängnis gleichgesetzt? Sie sehen: Diese Zahlen werfen ebenso wie die Rangliste
viele Fragen auf.
Leid quantifizieren und qualifizieren Davon
abgesehen, halte ich den Versuch, Leid zu quantifizieren und zu qualifizieren für
problematisch. Wieso wird ein Christ, der in Saudi Arabien wegen seines Glaubens diskriminiert
wird, "schlimmer" verfolgt als sein Leidensgenosse in Usbekistan? Wieder frage ich:
auf welche Zahlen stützt sich diese Rangliste? Und welchen Nutzen hat der Leser von
ihr? So eine Rangliste ist zwar ein „Hingucker“ und kommt dem Bedürfnis der Menschen
entgegen, die Welt einzuordnen. Dann aber muss ich auch die Hintergründe erklären:
Warum werden Christen verfolgt? Aus religiösem Fanatismus? Aus politischem Kalkül?
Weil Sie als Sinnbild des verhassten Westens gelten? Aus wirtschaftlichen Gründen?
Weil sie rein zufällig der herrschenden Klasse ein Dorn im Auge sind? All diese Gründe
gibt es und man muss sie sorgsam unterscheiden, denn wer ein Problem lösen will, muss
es an der Wurzel packen.
Religionsfreiheit vorantreiben Das
Ziel von „Kirche in Not“ ist es, den Wunsch des Heiligen Vaters nach Religionsfreiheit
weltweit voranzutreiben. Wir rufen unsere Regierungen auf, klare politische Signale
dafür zu setzen. Stellen Sie sich vor, was geschehen würde, wenn Diktatoren, korrupte
Regime und autoritäre Regierungen von der westlichen Welt immer dann mit Sanktionen
belegt würden, wenn mit ihrem Wissen oder in ihrem Auftrag Menschen wegen
ihres religiösen Bekenntnisses diskriminiert, unterdrückt oder verfolgt würden. Wenn
Religionsfreiheit ein Kern der internationalen Politik würde. Dann müsste man die
wirtschaftlichen Beziehungen zu vielen Ländern überdenken. Aber dazu muss man die
Situation kennen und unterscheiden. Zu dieser Unterscheidung möchten wir von „Kirche
in Not“ mit unseren Berichten beitragen. Eine Rangliste erscheint uns für unsere Arbeit
daher nicht hilfreich. Und dass Nordkorea der Gipfel der Unfreiheit ist, muss man
Gott sei Dank nicht mal unseren Politikern mehr beibringen.