2012-01-01 13:09:33

Im Wortlaut: Die letzte Papstpredigt von 2011


Beim feierlichen Te Deum zum Jahresschluß hat Papst Benedikt XVI. die letzte Predigt des Jahres 2011 gehalten. Wir dokumentieren hier den Text in der offiziellen deutschen Übersetzung.

Meine Herren Kardinäle,
verehrte Mitbrüder im bischöflichen und im priesterlichen Dienst,
sehr geehrte Vertreter des öffentlichen Lebens,
liebe Brüder und Schwestern!

Wir sind in der Vatikanischen Basilika versammelt, um die Erste Vesper des Hochfestes der Gottesmutter Maria zu feiern und um dem Herrn am Ende des Jahres Dank zu sagen, indem wir gemeinsam das Te Deum singen. Ich danke euch allen, die ihr gemeinsam mit mir an diesem immer stimmungsvollen und bedeutsamen Anlaß teilnehmt. An erster Stelle begrüße ich die Herren Kardinäle, die verehrten Mitbrüder im bischöflichen und im priesterlichen Dienst, die Ordensleute, die gottgeweihten Personen und die gläubigen Laien, die die ganze kirchliche Gemeinde Roms vertreten. In besonderer Weise begrüße ich die anwesenden Vertreter des öffentlichen Lebens, angefangen mit dem Bürgermeister von Rom, dem ich für das Geschenk des Kelches danke, das nach einer schönen Tradition Jahr für Jahr wiederholt wird. Ich wünsche mir von Herzen, daß es nie am Einsatz aller fehle, damit das Bild unserer Stadt immer mehr mit den Werten des Glaubens, der Kultur und der Zivilisation übereinstimmt, die ihrer Berufung und ihrer tausendjährigen Geschichte zu eigen sind.
Ein weiteres Jahr geht zu Ende, während wir ein neues erwarten – wie immer mit Bangen, mit Wünschen und Erwartungen. Wenn man an die Erfahrung des Lebens denkt, staunt man, wie kurz und flüchtig es im Grunde ist. Darum stellt sich einem nicht selten die Frage: Welchen Sinn können wir unseren Tagen geben? Welchen Sinn können wir im besonderen den von Mühe und Leid geprägten Tagen geben? Das ist eine Frage, die sich durch die ganze Geschichte hindurchzieht, ja, die das Herz jeder Generation und jedes Menschen beschäftigt. Doch es gibt eine Antwort auf diese Frage: Sie steht im Antlitz eines Kindes geschrieben, das vor zweitausend Jahren in Bethlehem geboren wurde und heute der Lebende ist, der für immer vom Tod erstanden ist. In das Gefüge der Menschheit, das durch so viele Ungerechtigkeiten, Bosheiten und Gewalttaten zerrissen ist, bricht überraschend die frohe und befreiende Neuheit Christi, des Retters, herein, der uns im Geheimnis seiner Menschwerdung und seiner Geburt die Güte und Zärtlichkeit Gottes schauen läßt. Der ewige Gott ist in unsere Geschichte eingetreten und bleibt in einzigartiger Weise gegenwärtig in der Person Jesu, seines menschgewordenen Sohnes, unseres Retters, der auf die Erde gekommen ist, um die Menschheit von Grund auf zu erneuern und von Sünde und Tod zu befreien, um den Menschen zur Würde der Gotteskindschaft zu erheben. Weihnachten erinnert nicht nur an die historische Erfüllung dieser Wahrheit, die uns unmittelbar betrifft, sondern in geheimnisvoller und realer Weise schenkt es sie uns von neuem.
Wie eindrucksvoll ist es, in diesem Ausklingen eines Jahres erneut die frohe Verkündigung zu hören, die der Apostel Paulus an die Christen von Galatien richtete: „Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt, damit er die freikaufe, die unter dem Gesetz stehen, und damit wir die Sohnschaft erlangen“ (Gal 4,4-5). Diese Worte dringen ins Innerste der Geschichte aller vor und erhellen, ja erretten sie, denn seit dem Tag der Geburt des Herrn ist die Fülle der Zeit zu uns gekommen. Es ist also kein Raum mehr für die Angst vor der dahineilenden Zeit, die nicht wiederkehrt; jetzt ist Raum für ein unbegrenztes Vertrauen auf Gott, von dem wir uns geliebt wissen, durch den wir leben und auf den hin unser Leben ausgerichtet ist in Erwartung seiner endgültigen Wiederkehr. Seit der Retter vom Himmel herabgestiegen ist, ist der Mensch nicht mehr Sklave einer Zeit, die sinn- und ziellos vergeht oder die von Mühe, Traurigkeit und Leid gezeichnet ist. Der Mensch ist Kind eines Gottes, der in die Zeit eingetreten ist, um die Zeit aus der Sinnlosigkeit oder der Nichtigkeit zu befreien, und der die gesamte Menschheit erlöst hat, indem er ihr als neue Lebensperspektive die Liebe geschenkt hat, die ewig ist.
Die Kirche lebt und bekennt diese Wahrheit und möchte sie auch heute noch mit neuer geistiger Kraft verkünden. In dieser Feier haben wir besondere Gründe, Gott für sein Heilsgeheimnis zu loben, das durch den Dienst der Kirche in der Welt wirksam ist. Wir haben so viele Gründe, dem Herrn zu danken für das, was unsere kirchliche Gemeinschaft im Herzen der Weltkirche im Dienst am Evangelium in dieser Stadt vollbringt. In diesem Zusammenhang danke ich – gemeinsam mit dem Kardinalvikar Agostino Vallini, den Weihbischöfen, den Pfarrern und dem ganzen Presbyterium der Diözese – dem Herrn insbesondere für den vielversprechenden gemeinsamen Weg, die gewöhnliche Seelsorge durch den Plan „Kirchliche Zugehörigkeit und pastorale Mitverantwortung“ den Erfordernissen unserer Zeit anzupassen. Dieser Weg hat zum Ziel, die Evangelisierung an die erste Stelle zu setzen, um die Teilnahme der Gläubigen an den Sakramenten verantwortungsbewußter und fruchtbarer zu machen, so daß jeder zum Menschen von heute von Gott sprechen kann und das Evangelium all denen, die es nie kennengelernt oder vergessen haben, wirksam verkünden kann.
Die quæstio fidei ist auch für die Diözese Rom die vordringliche pastorale Herausforderung. Die Jünger Christi sind gerufen, in sich selbst und in den anderen die Sehnsucht nach Gott wieder wachzurufen wie auch die Freude, in ihm zu leben und ihn zu bezeugen, ausgehend von der stets sehr persönlichen Frage: Warum glaube ich? Man muß der Wahrheit den Vorrang einräumen; die Verbindung von Glaube und Vernunft als zwei Flügeln bekräftigen, mit denen sich der menschliche Geist zur Betrachtung der Wahrheit erhebt (vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Fides et ratio, Einleitung); den Dialog zwischen Christentum und moderner Kultur fruchtbar machen; die Schönheit und Aktualität des Glaubens wieder entdecken lassen, und zwar nicht als einen in sich stehenden, isolierten Akt, der einige Momente des Lebens betrifft, sondern als eine beständige Orientierung, die auch für die ganz einfachen Entscheidungen gilt und zur tiefen Einheit des Menschen führt und ihn gerecht, wirksam, wohlwollend und gut macht. Es geht darum, einen Glauben zu beleben, der einen neuen Humanismus begründet, der in der Lage ist, Kultur und soziales Engagement hervorzubringen.
In dieser Hinsicht hat die Diözese Rom mit der Pastoraltagung im letzten Juni einen Weg der Vertiefung der christlichen Initiation und der Freude, neue Christen zum Glauben zu führen, begonnen. Den Glauben an das fleischgewordene Wort Gottes zu verkünden ist in der Tat das Herz der Sendung der Kirche, und die ganze Gemeinschaft der Kirche muß mit neuem missionarischem Eifer diesen unabdingbaren Auftrag wieder entdecken. Vor allem für die jungen Generationen, die vermehrt die Orientierungslosigkeit spüren – diese wird auch durch die gegenwärtige Krise verschärft, die nicht nur wirtschaftlicher Natur ist, sondern ebenso eine Krise der Werte ist –, ist es nötig, in Jesus Christus „den Schlüssel, den Mittelpunkt und das Ziel der ganzen Menschheitsgeschichte“ zu erkennen (vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, 10).
Die Eltern sind die ersten Erzieher zum Glauben ihrer Kinder von jüngstem Alter an; daher ist es notwendig, die Familien in ihrem Erziehungsauftrag durch geeignete Initiativen zu unterstützen. Zugleich ist es wünschenswert, daß der Weg zur Taufe, der ersten Etappe des Bildungswegs der christlichen Initiation, außer der Förderung der bewußten und würdigen Vorbereitung auf die Feier des Sakraments auch den Jahren, die unmittelbar auf die Taufe folgen, entsprechende Aufmerksamkeit schenkt durch dafür vorgesehene Wege, die den Lebensumständen, denen die Familien zu begegnen haben, Rechnung tragen. Ich ermutige daher die Pfarrgemeinden und die anderen kirchlichen Einrichtungen, mit Eifer die Überlegungen fortzusetzen, um ein tieferes Verständnis und einen besseren Empfang der Sakramente, durch die der Mensch am göttlichen Leben selbst teilhat, zu fördern. Der Kirche von Rom möge es nicht an gläubigen Laien fehlen, die bereit sind, ihren Beitrag zum Aufbau lebendiger Gemeinden zu leisten, die es dem Wort Gottes ermöglichen, in die Herzen derer einzudringen, die den Herrn noch nicht kennen oder sich von ihm entfernt haben. Gleichzeitig ist es angebracht, Gelegenheiten zur Begegnung der Kirche mit der Stadt zu schaffen, die einen nützlichen Dialog mit all denen erlauben, die auf der Suche nach der Wahrheit sind.
Liebe Freunde, seit Gott seinen eingeborenen Sohn gesandt hat, damit wir die Sohnschaft erlangen (vgl. Gal 4,5), kann es für uns keine größere Aufgabe geben als die, ganz dem göttlichen Plan zu dienen. Diesbezüglich möchte ich alle Gläubigen der Diözese Rom, die die Verantwortung verspüren, unserer Gesellschaft wieder eine Seele zu geben, ermutigen und ihnen danken. Vielen Dank euch, den Familien Roms, den ersten und grundlegenden Zellen der Gesellschaft! Vielen Dank den Mitgliedern der zahlreichen Gemeinschaften, der Vereinigungen und Bewegungen, die sich darum bemühen, das christliche Leben in unserer Stadt zu beleben!
„Te Deum laudamus!“ Dich, Gott, loben wir. Die Kirche schlägt uns vor, das Jahr nicht zu beenden, ohne an den Herrn unseren Dank für all seine Wohltaten zu richten. In Gott soll unsere letzte Stunde enden, die letzte Stunde der Zeit und der Geschichte. Dieses Ende unseres Lebens zu vergessen hieße ins Leere zu fallen, ohne Sinn zu leben. Deswegen legt die Kirche den alten Hymnus Te Deum auf unsere Lippen. Es ist ein Hymnus voll der Weisheit vieler christlicher Generationen, die das Bedürfnis verspüren, ihr Herz zu erheben im Bewußtsein, daß wir in Gottes Händen voller Barmherzigkeit geborgen sind.
„Te Deum laudamus!“ So singt auch die Kirche in Rom wegen der Wundertaten, die Gott in ihr gewirkt hat und wirkt. Mit dankerfülltem Herzen bereiten wir uns vor, die Schwelle des Jahres 2012 zu überschreiten, und denken dabei daran, daß der Herr über uns wacht und uns schützt. Ihm wollen wir an diesem Abend die ganze Welt anvertrauen. In seine Hände legen wir die Tragödien unserer Welt und übergeben ihm auch die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Diesen Wunsch legen wir in die Hände Marias, der Mutter Gottes, Salus Populi Romani.








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