Für viele Flüchtlinge aus Staaten des Arabischen Frühlings, die nach Europa geflüchtet
sind, stand das diesjährige Weihnachtsfest unter keinem guten Stern. Allein auf der
italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa befinden sich auf engstem Raum und unter prekären
hygienischen Zuständen derzeit 6.200 Migranten meist aus Tunesien und Libyen. Die
Zahl der Neuankömmlinge hat in den vergangenen Monaten indes abgenommen. Christopher
Hein, Direktor des italienischen Flüchtlingsdienst und Berater des päpstlichen Migrantenrates,
sieht mehrere Ursachen für die Tendenz.
„Einer der Gründe ist eine Stabilisierung
der inneren Situation in Tunesien, auch eine Wiederaufleben des Polizei- und Sicherheitsapparates,
der einige Monate praktisch inaktiv gewesen ist. Dazu gehören auch die bilateralen
Abkommen, die Italien mit Tunesien getroffen hat. Die italienische Politik hat die
Tunesier, die nach dem 5. April gekommen sind, zurückgeschickt.“
Trotz
der abnehmenden Zahlen gibt es eine Gruppe von Flüchtlingen, die von der Öffentlichkeit
bisher unbeachtet blieb: Es sind Afrikaner aus Subsahara-Staaten, die während des
Bürgerkriegs in Libyen als Söldner Ghaddafis angesehen wurden – zu Unrecht, wie Hein
sagt. Die meisten dieser 35.000 Flüchtlinge, die heute in Italien sind, hatten zuvor
schon lange in Libyen als Migranten gelebt, bevor sie im Kampf zwischen Rebellen und
Ghaddafi-Getreuen zwischen die Fronten gerieten. Italien nahm sie vorübergehend in
ein Asylverfahren auf.
„Und jetzt ist die Frage, wie es weitergeht, denn
viele kommen aus Ländern, in denen es keine Verfolgungsgefahr oder Bürgerkrieg gibt.
Sie sind aus Libyen geflohen, aber nicht unbedingt aus ihren Herkunftsländern. Viele
können aus ökonomischen Gründen nicht in ihre Herkunftsländer zurück, haben auch keine
Ausweispapiere, werden auch häufig nicht von den entsprechenden Konsulaten und Botschaften
anerkannt. Und da ist jetzt unser Vorschlag, ihnen verschiedene Optionen zu geben,
unter anderem auch die Option freiwillig nach Libyen zurückzukehren, sowie sich in
Libyen die Lage stabilisiert hat, und in der Zwischenzeit einen Rechtsschutz in Italien
zu bekommen.“
Remi ist einer von diesen „neuen“ Flüchtlingen. Der 43-Jährige
stammt aus Südsudan, wo er lange als Englischlehrer gearbeitet hat. In der schwierigen
Zeit des Übergangs zur Unabhängigkeit des Staates war er auch alspolitischer Berater
in Südsudan tätig. Wegen erneuten politischen Konflikten mit dem Norden Sudans musste
er Anfang diesen Jahres nach Libyen fliehen. Als auch dort der Krieg ausbrach, kam
er mit einem illegalen Flüchtlingsboot, das völlig überfüllt war, nach Lampedusa.
Die Überfahrt, die zunächst nach Sizilien führen sollte, beschreibt Remi so:
„Unser
Leben war in Gottes Händen. Der Kapitän wollte das Schiff sogar sinken lassen. Er
hatte keine andere Möglichkeit, wir hatten kein Wasser und keinen Treibstoff mehr.
Außerdem kam er immer wieder vom Kurs nach Sizilien ab. Also änderte er den Kurs
von Sizilien nach Lampedusa. Durch den Kurswechsel verlor er komplett die Orientierung.
Gott sei Dank tauchten zwei Delfine auf. Ein alter Mann, der in Ägypten Marinesoldat
gewesen war, wies den Kapitän an, den Delfinen zu folgen. So erreichten wir schließlich
Malta.“
Von Malta kam er nach Lampedusa und über Flüchtlingslager im apulischen
Manduria und später Ancona nach Rom. Er wohnt derzeit im Viertel Casilina am Stadtrand
in einem Zentrum für Flüchtlinge aus Afrika und Asien. Remi teilt sich ein Zimmer
mit vier weiteren Männern, das Bad sogar mit 45 Personen. Essen darf er umsonst. Mittlerweile
hat er dort auch Freunde gefunden. Gemeinsame Probleme und Nöte schweißen zusammen,
sagt er. Derzeit wartet Remi noch auf seine Anerkennung als Flüchtling. Arbeiten und
Geld verdienen kann er ohne Anerkennung nicht. In der Zwischenzeit versucht er mit
Hilfe der Caritas und des Flüchtlingsdienstes auf einer Sprachschule Italienisch zu
lernen, um mit den Menschen hier kommunizieren zu können. Das ist ihm wichtig.
„Insgesamt
betrachtet ist es nicht einfach. Als Mann muss man normalerweise etwas in der Tasche
haben. Außerdem bin ich ein Familienmensch; meine Frau und Kinder befinden sich ja
noch im Sudan. Das Leben hier ist für mich nicht so einfach gewesen.“
Remi
ist Christ. Weihnachten hat er fern von Heimat und Familie in einem neuen und ungewohnten
Umfeld verbringen müssen. Auf die Frage, was das Fest für ihn unter diesen Umständen
bedeutet, meint er:
„Weihnachten hat für mich keine Bedeutung. Wie Sie sehen,
habe ich kein Geld, ich habe nichts. Da denke ich gar nicht erst an Weihnachten. Ich
glaub, ich muss das Leben nehmen, wie es kommt.“
Konkrete Pläne für die
Zukunft hat Remi noch nicht. Alles hängt von der Annahme seines Antrags auf politisches
Asyl ab. Vielleicht holt er irgendwann seine Familie nach Italien nach, falls sein
Antrag angenommen wird. Lieber noch würde er aber in seine Heimat Südsudan zurückkehren:
„Dort warten noch viele ungeklärte Angelegenheiten auf mich, die ich erledigen
möchte. Ich bin Lehrer und ich träume davon, eine Schule zu eröffnen, um meine Leute
zu unterrichten. Ich möchte nicht lange in Italien bleiben. Da Südsudan ein eigener
Staat ist, gibt es dort viel zu tun, um das Land aufzubauen.“
Wird sein
Antrag jedoch abgelehnt, weiß Remi nicht wie es weiter geht. Gerade was die Flüchtlingspolitik
betrifft, richten sich an die neue Regierung Italiens viele Erwartungen. So gibt es
ein neues Ministerium für Integration, das der Sant´Egidio-Gründer Andrea Riccardi
leitet, Italiens berühmtester katholischer Laie. Migrationsexperte Hein möchte die
Schaffung des Ressorts aber nicht überbewertet sehen:
„Wir sind sehr froh,
dass es dieses Ministerium gibt, das ist ein politisches Zeichen, dass die neue Regierung
etwas für Integration tun will. Aber ich erwarte mir operativ nicht so viel davon:
Es ist ein Ministerium ohne Budget, das, bisher jedenfalls, keine klaren Kompetenzen
hat. Alles, was das Asylverfahren betrifft, ist nach wie vor in den Händen des Innenministeriums.
Und insofern denke ich nicht, dass sich jetzt sofort etwas an der Situation ändern
wird.“ (rv 27.12.2011 sl)