Papst Benedikt XVI. hat am Samstagabend im Petersdom die traditionelle Christmette
zum Weihnachtsfest gefeiert. Der Gottesdienst in Erinnerung an die Geburt Christi
vor 2000 Jahren in Bethlehem begang um 22 Uhr. In seiner Predigt sagte der Papst:
Liebe
Schwestern und Brüder!Die Lesung aus dem Brief des heiligen Apostels Paulus an Titus,
die wir eben gehört haben, beginnt feierlich mit dem Wort „apparuit“, das dann auch
in der Lesung in der Messe in der Morgenröte noch einmal wiederkehrt: apparuit – „es
ist erschienen“. Dies ist ein programmatisches Wort, mit dem die Kirche zusammenfassend
das Wesen von Weihnachten aussagen will. Von Gott hatten zuvor die Menschen auf vielfältige
Weise gesprochen und menschliche Bilder geschaffen. Gott selber hat auf vielerlei
Art und Weise zu den Menschen gesprochen (vgl. Hebr 1, 1: dritte Weihnachtsmesse).
Aber nun ist mehr geschehen: Er ist erschienen. Er hat sich gezeigt. Er ist aus dem
unzugänglichen Licht herausgetreten, in dem er wohnt. Er selbst ist in unsere Mitte
hereingekommen.
Das war für die alte Kirche die große Freude von Weihnachten:
Gott ist erschienen. Er ist nicht mehr bloß Idee, nicht bloß durch Worte zu erahnen.
Er ist „erschienen“. Aber nun fragen wir: Wie ist er erschienen? Wer ist er dann wirklich?
Die Lesung in der Messe der Morgenröte sagt dazu: „Erschienen ist die Güte und die
Menschenliebe unseres Gottes“ (Tit 3, 4). Für die Menschen der vorchristlichen
Zeit, die angesichts der Schrecken und der Widersprüche der Welt fürchteten, dass
auch Gott nicht einfach gut sei, dass er wohl grausam und willkürlich sein könne,
war dies eine wirkliche „Epiphanie“, das große Licht, das uns erschienen ist: Gott
ist reine Güte.
Auch heute fragen sich Menschen, die Gott nicht mehr im Glauben
erkennen können, ob die letzte Macht, die die Welt begründet und trägt, wirklich gut
sei oder ob nicht das Böse genau so mächtig und ursprünglich sei wie das Gute und
Schöne, dem wir in hellen Augenblicken in unserem Kosmos begegnen. „Erschienen ist
die Güte und die Menschenfreundlichkeit unseres Gottes“: Das ist neue, tröstende Gewissheit,
die uns an Weihnachten geschenkt wird.
In allen drei Weihnachtsmessen zitiert
die Liturgie ein Stück aus dem Propheten Jesaja, das die an Weihnachten geschehene
Epiphanie noch konkreter beschreibt: „Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt.
Die Herrschaft liegt auf seiner Schulter; man nennt ihn: Wunderbarer Ratgeber, Starker
Gott, Vater in Ewigkeit, Fürst des Friedens. Seine Herrschaft ist groß, und der Friede
hat kein Ende“ (Jes 9, 5f). Ob der Prophet bei diesem Wort an irgendein in
seiner historischen Stunde geborenes Kind gedacht hat, wissen wir nicht. Aber es scheint
unmöglich. Dies ist der einzige Text im Alten Testament, in dem von einem Kind, von
einem Menschen gesagt wird: Man nennt ihn starker Gott, Vater in Ewigkeit. Wir stehen
vor einer Vision, die weit über den historischen Augenblick hinausreicht, ins Geheimnisvolle,
ins Künftige hinein. Ein Kind in seiner ganzen Schwachheit ist starker Gott. Ein Kind
in seiner ganzen Bedürftigkeit und Abhängigkeit ist Vater in Ewigkeit. „Und der Friede
hat kein Ende.“ Der Prophet hatte es vorher als „ein helles Licht“ bezeichnet und
über den von ihm kommenden Frieden gesagt, dass der Stock des Treibers, jeder dröhnend
daherstampfende Stiefel, jeder blutbefleckte Mantel verbrannt wird (vgl. Jes
9, 1. 3-4).
Gott ist erschienen – als ein Kind. Gerade so stellt er sich aller
Gewalt entgegen und bringt eine Botschaft, die Friede ist. In dieser Stunde, in der
die Welt immer wieder an vielen Orten und auf vielerlei Weisen von der Gewalt bedroht
ist; in der es immer wieder Stöcke des Treibers und blutbefleckte Mäntel gibt, rufen
wir zum Herrn: Du, der starke Gott, bist als Kind erschienen und hast dich uns als
der gezeigt, der uns liebt, durch den die Liebe siegen wird. Und du hast uns gezeigt,
dass wir mit dir Friedensstifter sein müssen. Wir lieben dein Kindsein, deine Gewaltlosigkeit,
aber wir leiden darunter, dass die Gewalt fortgeht in der Welt, und so bitten wir
dich auch: Zeige deine Macht, o Gott. Mache es wahr in dieser unserer Zeit, in dieser
unserer Welt, dass Treiberstöcke, die blutbefleckten Mäntel und die dröhnenden Stiefel
verbrannt werden und dein Friede siegt in dieser unserer Welt.
Weihnachten
ist Epiphanie – Erscheinen Gottes und seines großen Lichtes in einem Kind, das uns
geboren wurde. Geboren im Stall zu Bethlehem, nicht in den Palästen der Könige. Als
im Jahr 1223 Franz von Assisi in Greccio Weihnachten feierte mit Ochs und Esel und
mit einer heugefüllten Futterkrippe, ist eine neue Dimension des Geheimnisses von
Weihnachten sichtbar geworden. Franz von Assisi hat Weihnachten „das Fest aller Feste“
genannt – mehr als alle anderen Feste – und es mit „unaussprechlicher Hingebung“ gefeiert
(2 Celano 199: FF 787). Er küsste voller Hingebung die Bilder des Kindleins
und stammelte zärtliche Worte, wie Kinder es tun, erzählt uns Thomas von Celano (ebd.).
Für die alte Kirche war Ostern das Fest der Feste: In der Auferstehung hatte Christus
die Türen des Todes aufgestoßen und so die Welt von Grund auf verändert: Für den Menschen
hatte er in Gott selbst Platz geschaffen. Nun, Franziskus hat diese objektive Rangordnung
der Feste, die innere Struktur des Glaubens mit seiner Mitte im Ostergeheimnis nicht
geändert, nicht ändern wollen. Aber etwas Neues ist dennoch durch ihn und seine Weise
des Glaubens geschehen: Franz hat in einer ganz neuen Tiefe das Menschsein Jesu entdeckt.
Dieses Menschsein Gottes wurde ihm am meisten sichtbar in dem Augenblick, in dem Gottes
Sohn als Kind aus der Jungfrau Maria geboren, in Windeln gewickelt und in eine Krippe
gelegt worden war. Die Auferstehung setzt die Menschwerdung voraus. Gottes Sohn als
Kind, als wirkliches Menschenkind – das hat das Herz des Heiligen von Assisi zuinnerst
getroffen und Glaube zu Liebe werden lassen. „Erschienen ist uns die Menschenfreundlichkeit
Gottes“ – dieser Satz des heiligen Paulus hatte nun eine ganz neue Tiefe bekommen.
Man kann Gott sozusagen in dem Kind im Stall zu Bethlehem anfassen, liebkosen. So
hat das Kirchenjahr eine zweite Mitte erhalten in einem Fest, das vor allem Fest des
Herzens ist.
All dies hat nichts von Sentimentalität an sich. Gerade in der
neuen Erfahrung der Wirklichkeit von Jesu Menschsein wird das große Mysterium des
Glaubens offenbar. Franziskus liebte Jesus, das Kind, weil ihm in diesem Kindsein
die Demut Gottes aufging. Gott ist arm geworden. Sein Sohn wurde in der Armut des
Stalles geboren. Im Kind Jesus hatte Gott sich abhängig gemacht, der Liebe von Menschen
bedürftig, um ihre – um unsere – Liebe bittend. Heute ist Weihnachten zu einem Fest
der Geschäfte geworden, deren greller Glanz das Geheimnis der Demut Gottes verdeckt,
die uns zur Demut und zur Einfachheit einlädt. Bitten wir den Herrn darum, dass er
uns hilft, durch die glänzenden Fassaden dieser Zeit hindurchzuschauen bis zu dem
Kind im Stall zu Bethlehem, um so die wahre Freude und das wirkliche Licht zu entdecken.
Franziskus
ließ über der Futterkrippe, die zwischen Ochs und Esel stand, die heilige Eucharistie
feiern (1 Celano 85: FF 469). Später wurde über dieser Krippe ein Altar
gebaut, damit dort, wo einst die Tiere das Heu gegessen hatten, nun die Menschen das
Fleisch des unbefleckten Lammes Jesus Christus empfangen konnten, zum Heil für Seele
und Leib, berichtet uns Celano (1 Celano 87: FF 471). Franziskus selbst
hatte in der Heiligen Nacht zu Greccio als Diakon mit strahlender Stimme das Weihnachtsevangelium
gesungen. Durch die Lichtgesänge der Brüder zur Heiligen Nacht erschien die ganze
Feier als ein einziger Ausbruch von Freude (1 Celano 85. 86: FF 469.
470). Gerade die Begegnung mit der Demut Gottes wurde zur Freude – seine Güte schafft
das wahre Fest.
Wer heute die Geburtskirche Jesu zu Bethlehem betreten will,
findet, dass das einst fünfeinhalb Meter hohe Portal, durch das Kaiser und Kalifen
den Bau betraten, weitgehend zugemauert ist. Nur eine niedrige Öffnung von 1,30 Meter
Höhe ist geblieben. Man wollte wohl die Kirche besser vor Überfällen schützen, besonders
aber verhindern, dass man hoch zu Ross in das Gotteshaus ritt. Wer den Ort der Geburt
Jesu betreten möchte, muss sich bücken. Mir scheint, dass sich darin eine tiefere
Wahrheit zeigt, von der wir uns in dieser Heiligen Nacht berühren lassen wollen: Wenn
wir den als Kind erschienenen Gott finden wollen, dann müssen wir vom hohen Ross unseres
aufgeklärten Verstandes heruntersteigen. Wir müssen unsere falschen Gewissheiten,
unseren intellektuellen Stolz ablegen, der uns hindert, die Nähe Gottes zu sehen.
Wir müssen den inneren Weg des heiligen Franziskus nachgehen – den Weg zu jener letzten
äußeren und inneren Einfachheit, die das Herz sehend macht. Wir müssen uns herunterbeugen,
sozusagen geistig zu Fuß gehen, um durch das Portal des Glaubens eintreten zu können
und dem Gott zu begegnen, der anders ist als unsere Vorurteile und Meinungen – der
sich in der Demut eines neu geborenen Kindes verbirgt. Feiern wir so die Liturgie
dieser Heiligen Nacht, und verzichten wir auf unsere Fixierung auf das Materielle,
auf das Messbare und Greifbare.
Lassen wir uns einfach machen von dem Gott,
der sich dem einfach gewordenen Herzen zeigt. Und beten wir in dieser Stunde vor allem
auch für alle diejenigen, die Weihnachten in Armut, in Leid, im Unterwegssein feiern
müssen, dass ihnen ein Strahl der Güte Gottes erscheine; dass sie und uns jene Güte
anrührt, die Gott mit der Geburt seines Sohnes im Stall in die Welt tragen wollte. Amen.