2011-12-11 11:58:42

Die dritte Adventsbetrachtung von Abt Maximilian Heim OCist


RealAudioMP3 Liebe Hörerinnen und Hörer!
Liebe Schwestern und Brüder in Christus!

Es gibt Ereignisse, die wir selbst nach Jahren und Jahrzehnten genau datieren können. Ein solches Datum war für mich das Erlebnis eines einzigen Tages in der Kartause Marienau. Neben vielen Eindrücken, die tief in der Seele verankert sind, berührte mich als Zisterziensermönch das Wort von Kardinal Walter Kasper, das er damals als zuständiger Diözesanbischof an die Kartäuser richtete: „Ihr seid in meiner Diözese die Wächter, die den Herrn erwarten, wenn er kommt.“ Nie zuvor war mir so bewusst geworden, den Herrn tatsächlich zu erwarten, was für die Kartäuser konkret heißt, sich um Mitternacht zu erheben, den Schlaf abzubrechen und mitten im Dunkel der Nacht das Licht der Hoffnung zu entzünden. Dass also die Heilsgeschichte, die in Christus ihre Vollendung erfährt, nicht unserer Zeit enthoben ist, wird sichtbar in einem solchen Leben um des Himmelreiches willen. Die Geschichte des Heils spielt sich ja in Raum und Zeit dieser Welt ab, ohne mit dem, was wir Weltgeschichte nennen, gleich zu sein.

Im Evangelium ist die Geschichte dieser Welt auch nicht losgelöst von der Geschichte des Heils. Mit dem Auftreten Johannes des Täufers setzt das entscheidende Heilsgeschehen ein, das mit dem Kommen des Messias anbricht. Dieses Auftreten des Vorläufers wird durch eine sechsfache Zeitangabe ganz konkret in den politischen und religiösen Ablauf der Weltgeschichte eingeordnet; Angaben, die durch historische Dokumente bezeugt sind: „Es war im fünfzehnten Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius, Pontius Pilatus war Statthalter von Judäa …“ (Lk 3,1). Neben den weltlichen Regierenden werden auch die religiösen Vorsteher genannt: der Hohepriester Kájaphas und sein Schwiegervater, der in hohem Ansehen stehende frühere Hohepriester Hannas. Warum diese aufwendige Datierung? Weil es nicht um mythologische Aussagen geht, sondern um geschichtliche Fakten. Mit der Nennung dieser politischen und religiösen Vertreter erfasst der Evangelist zugleich den geistigen Raum, in dem sich die Prophetie des Jesája erfüllt: „Ein Stimme ruft in der Wüste: Bereitet dem Herrn den Weg! Ebnet ihm die Straßen! Jede Schlucht soll aufgefüllt werden, jeder Berg sich senken.“ (Lk 3,4f.; vgl. Jes 40,3f.)

Wie bei den anderen Propheten des Alten Testamentes ergeht auch an Johannes das Wort Gottes, das ihn in seinen Dienst einsetzt und die formende Kraft seines Lebens wird. Er steht an der Schwelle zum Neuen Testament. Deshalb ist seine prophetische Sendung so einzigartig: Die für die Propheten charakteristische Verkündigung von Buße und Umkehr erfährt aber darüber hinaus noch eine Überbietung durch die „Taufe zur Vergebung der Sünden“ (Lk 3,3), gleichsam ein Vorlauf dessen, was der Messias selbst vollbringt durch die Taufe im Wasser und im Heiligem Geist (vgl. Mt 3,11; Lk 3,16).

„Und alle Menschen werden das Heil sehen, das von Gott kommt.“ (Lk 3,6) Das universale Heil, das allein von Gott kommt, bricht in diese Welt ein, d. h. Gott stellt es allen Menschen vor. Um es anzunehmen, bedarf es der prophetischen Verkündigung, die ihren aktuellen Anspruch an jeden Menschen auch heute nicht verliert, nämlich dem Herrn den Weg durch Umkehr und Buße zu bereiten (vgl. Lk 3,3). Gott selbst aber sammelt und reinigt sein Volk durch das Wort „vom Untergang der Sonne bis zum Aufgang“ (Bar 5,5).

Im Bild vom wandernden Gottesvolk erinnert der späte Prophet Baruch an die Rückkehr Israels aus dem Land der Verbannung, aus Babylon, in die Freiheit der Kinder Gottes. Die glanzvolle Prozession, die in der Epistel gezeichnet wird, ist ein Hoffnungsbild, das an den Exodus aus Ägypten erinnert: Israel zieht „unter der Herrlichkeit des Herrn“ (Bar 5,7), gleichsam unter seiner Wolke (z. B. Ex 13,21), zurück nach Jerusalem, das schon Ausschau hält und sich schmückt wie eine Königin für die heimkehrenden Kinder: „Leg den Mantel der göttlichen Gerechtigkeit an; setz dir die Krone der Herrlichkeit des Ewigen aufs Haupt!“ (Bar 5,2)

Dass diese Rückkehr kein Triumphzug war, widerspricht nicht der Botschaft der Hoffnung, die in diesem prophetischen Bild ausgesagt ist: Gott selbst wird die Verbannten nach Jerusalem heimbringen im Licht seiner Herrlichkeit (vgl. Bar 5,6.9). Dieses Licht hat sich endgültig in Jesus Christus offenbart. Seine Herrlichkeit aber ist nicht irdischer Glanz, sondern die Verherrlichung durch sein Paschamysterium im Tod und in der Auferstehung (vgl. Phil 2,5-11). Er selbst ist der gerade Weg, der zum Vater führt. Sein Kreuz, das er selbst trägt, bedeutet Erbarmen und Gerechtigkeit. Es ist die „königliche Sänfte“ (Bar 5,6), durch die der dornengekrönte König und Knecht Gottes uns heimträgt am Tag Christi Jesu (Phil 1,6).

Damit haben wir die Brücke zum Philipperbrief des Apostels Paulus. Seine Lieblingsgemeinde – es war die erste, die er auf europäischem Boden gegründet hat – weißt Paulus darauf hin, dass der Tag Christi, seine Wiederkunft, zugleich der Tag der Ernte sein wird. Im Hinblick auf diesen Advent Christi kann der Völkerapostel auch uns sagen, worauf es ankommt: „dass eure Liebe immer noch reicher an Einsicht und Verständnis wird“, dass also die noch verbleibende Zeit die Liebe reifen lässt: „Dann werdet ihr rein und ohne Tadel sein für den Tag Christi, reich an der Frucht der Gerechtigkeit, die Jesus Christus gibt.“ (Phil 1,10f.)

Es ist nicht unsere eigene Frucht, sondern es ist die Frucht, die uns Christus am Kreuz erworben hat, das ewige Leben. Ist diese Wirklichkeit, die von Gott kommt, tatsächlich bestimmend für unsere eigene Lebensgeschichte, ja für den Lauf der Welt? Der Tag des Herrn kommt sicher, nicht weil wir es wollen, sondern weil der Herr uns und unserer Welt entgegenkommt. Paulus wusste um diese Realität, dass der Herr selbst der Vollender unseres Glaubens, unserer Hoffnung und unserer Liebe ist, wenn er schreibt: „Ich vertraue darauf, dass er, der bei euch das gute Werk begonnen hat, es auch vollenden wird.“ (Phil 1,6; vgl. 2 Thess 1,11; Hebr 12,2). Es ist das gleiche Wort, das der Obere seinen Mönchen am Tag der Einkleidung und der Profess zusagt. Ihm, dem Herrn, den Weg zu bereiten, ist aber nicht nur Aufgabe der Ordenschristen. Alle hat Gott aus Gnade berufen zur Ehre und zum Lobe Gottes sowie zum Heil der Menschen in dieser Welt zu leben und so den Tag Jesu Christi, des Herrn, zu erwarten. Amen.







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