Die dritte Adventsbetrachtung von Abt Maximilian Heim OCist
Liebe Hörerinnen und
Hörer! Liebe Schwestern und Brüder in Christus!
Es gibt Ereignisse, die
wir selbst nach Jahren und Jahrzehnten genau datieren können. Ein solches Datum war
für mich das Erlebnis eines einzigen Tages in der Kartause Marienau. Neben vielen
Eindrücken, die tief in der Seele verankert sind, berührte mich als Zisterziensermönch
das Wort von Kardinal Walter Kasper, das er damals als zuständiger Diözesanbischof
an die Kartäuser richtete: „Ihr seid in meiner Diözese die Wächter, die den Herrn
erwarten, wenn er kommt.“ Nie zuvor war mir so bewusst geworden, den Herrn tatsächlich
zu erwarten, was für die Kartäuser konkret heißt, sich um Mitternacht zu erheben,
den Schlaf abzubrechen und mitten im Dunkel der Nacht das Licht der Hoffnung zu entzünden.
Dass also die Heilsgeschichte, die in Christus ihre Vollendung erfährt, nicht unserer
Zeit enthoben ist, wird sichtbar in einem solchen Leben um des Himmelreiches willen.
Die Geschichte des Heils spielt sich ja in Raum und Zeit dieser Welt ab, ohne mit
dem, was wir Weltgeschichte nennen, gleich zu sein.
Im Evangelium ist die Geschichte
dieser Welt auch nicht losgelöst von der Geschichte des Heils. Mit dem Auftreten Johannes
des Täufers setzt das entscheidende Heilsgeschehen ein, das mit dem Kommen des Messias
anbricht. Dieses Auftreten des Vorläufers wird durch eine sechsfache Zeitangabe ganz
konkret in den politischen und religiösen Ablauf der Weltgeschichte eingeordnet; Angaben,
die durch historische Dokumente bezeugt sind: „Es war im fünfzehnten Jahr der Regierung
des Kaisers Tiberius, Pontius Pilatus war Statthalter von Judäa …“ (Lk 3,1). Neben
den weltlichen Regierenden werden auch die religiösen Vorsteher genannt: der Hohepriester
Kájaphas und sein Schwiegervater, der in hohem Ansehen stehende frühere Hohepriester
Hannas. Warum diese aufwendige Datierung? Weil es nicht um mythologische Aussagen
geht, sondern um geschichtliche Fakten. Mit der Nennung dieser politischen und religiösen
Vertreter erfasst der Evangelist zugleich den geistigen Raum, in dem sich die Prophetie
des Jesája erfüllt: „Ein Stimme ruft in der Wüste: Bereitet dem Herrn den Weg! Ebnet
ihm die Straßen! Jede Schlucht soll aufgefüllt werden, jeder Berg sich senken.“ (Lk
3,4f.; vgl. Jes 40,3f.)
Wie bei den anderen Propheten des Alten Testamentes
ergeht auch an Johannes das Wort Gottes, das ihn in seinen Dienst einsetzt und die
formende Kraft seines Lebens wird. Er steht an der Schwelle zum Neuen Testament. Deshalb
ist seine prophetische Sendung so einzigartig: Die für die Propheten charakteristische
Verkündigung von Buße und Umkehr erfährt aber darüber hinaus noch eine Überbietung
durch die „Taufe zur Vergebung der Sünden“ (Lk 3,3), gleichsam ein Vorlauf dessen,
was der Messias selbst vollbringt durch die Taufe im Wasser und im Heiligem Geist
(vgl. Mt 3,11; Lk 3,16).
„Und alle Menschen werden das Heil sehen, das von
Gott kommt.“ (Lk 3,6) Das universale Heil, das allein von Gott kommt, bricht in diese
Welt ein, d. h. Gott stellt es allen Menschen vor. Um es anzunehmen, bedarf es der
prophetischen Verkündigung, die ihren aktuellen Anspruch an jeden Menschen auch heute
nicht verliert, nämlich dem Herrn den Weg durch Umkehr und Buße zu bereiten (vgl.
Lk 3,3). Gott selbst aber sammelt und reinigt sein Volk durch das Wort „vom Untergang
der Sonne bis zum Aufgang“ (Bar 5,5).
Im Bild vom wandernden Gottesvolk erinnert
der späte Prophet Baruch an die Rückkehr Israels aus dem Land der Verbannung, aus
Babylon, in die Freiheit der Kinder Gottes. Die glanzvolle Prozession, die in der
Epistel gezeichnet wird, ist ein Hoffnungsbild, das an den Exodus aus Ägypten erinnert:
Israel zieht „unter der Herrlichkeit des Herrn“ (Bar 5,7), gleichsam unter seiner
Wolke (z. B. Ex 13,21), zurück nach Jerusalem, das schon Ausschau hält und sich schmückt
wie eine Königin für die heimkehrenden Kinder: „Leg den Mantel der göttlichen Gerechtigkeit
an; setz dir die Krone der Herrlichkeit des Ewigen aufs Haupt!“ (Bar 5,2)
Dass
diese Rückkehr kein Triumphzug war, widerspricht nicht der Botschaft der Hoffnung,
die in diesem prophetischen Bild ausgesagt ist: Gott selbst wird die Verbannten nach
Jerusalem heimbringen im Licht seiner Herrlichkeit (vgl. Bar 5,6.9). Dieses Licht
hat sich endgültig in Jesus Christus offenbart. Seine Herrlichkeit aber ist nicht
irdischer Glanz, sondern die Verherrlichung durch sein Paschamysterium im Tod und
in der Auferstehung (vgl. Phil 2,5-11). Er selbst ist der gerade Weg, der zum Vater
führt. Sein Kreuz, das er selbst trägt, bedeutet Erbarmen und Gerechtigkeit. Es ist
die „königliche Sänfte“ (Bar 5,6), durch die der dornengekrönte König und Knecht Gottes
uns heimträgt am Tag Christi Jesu (Phil 1,6).
Damit haben wir die Brücke zum
Philipperbrief des Apostels Paulus. Seine Lieblingsgemeinde – es war die erste, die
er auf europäischem Boden gegründet hat – weißt Paulus darauf hin, dass der Tag Christi,
seine Wiederkunft, zugleich der Tag der Ernte sein wird. Im Hinblick auf diesen Advent
Christi kann der Völkerapostel auch uns sagen, worauf es ankommt: „dass eure Liebe
immer noch reicher an Einsicht und Verständnis wird“, dass also die noch verbleibende
Zeit die Liebe reifen lässt: „Dann werdet ihr rein und ohne Tadel sein für den Tag
Christi, reich an der Frucht der Gerechtigkeit, die Jesus Christus gibt.“ (Phil 1,10f.)
Es
ist nicht unsere eigene Frucht, sondern es ist die Frucht, die uns Christus am Kreuz
erworben hat, das ewige Leben. Ist diese Wirklichkeit, die von Gott kommt, tatsächlich
bestimmend für unsere eigene Lebensgeschichte, ja für den Lauf der Welt? Der Tag des
Herrn kommt sicher, nicht weil wir es wollen, sondern weil der Herr uns und unserer
Welt entgegenkommt. Paulus wusste um diese Realität, dass der Herr selbst der Vollender
unseres Glaubens, unserer Hoffnung und unserer Liebe ist, wenn er schreibt: „Ich vertraue
darauf, dass er, der bei euch das gute Werk begonnen hat, es auch vollenden wird.“
(Phil 1,6; vgl. 2 Thess 1,11; Hebr 12,2). Es ist das gleiche Wort, das der Obere seinen
Mönchen am Tag der Einkleidung und der Profess zusagt. Ihm, dem Herrn, den Weg zu
bereiten, ist aber nicht nur Aufgabe der Ordenschristen. Alle hat Gott aus Gnade berufen
zur Ehre und zum Lobe Gottes sowie zum Heil der Menschen in dieser Welt zu leben und
so den Tag Jesu Christi, des Herrn, zu erwarten. Amen.