Anti-Mafia-Kommission: „Die Kirche könnte mehr tun gegen die Mafia“
Es ist ein wichtiger
Punktsieg im Kampf gegen die Mafia: In der Nacht auf Donnerstag ist in der Region
von Neapel der Chef des Mafiaclans der „Casalesi“ gefasst worden. Nach dem Camorra-Killer
namens Michele Zagaria war 16 Jahre lang gefahndet worden. Allerdings wird der Kampf
gegen das organisierte Verbrechen in Italien noch lange weitergehen müssen. Das weiß
auch die Parlamentsabgeordnete Laura Garavini von der „Demokratischen Partei“. Sie
ist Mitglied der Antimafia-Kommission des römischen Abgeordnetenhauses und hat eine
Initiative namens „Mafia? Nein danke“ von Italienern in Deutschland gegründet. Stefan
Kempis hat mit ihr gesprochen.
Frau Garavini, Sie sind Mitglied der Antimafia-Kommission
des römischen Abgeordnetenhauses - können Sie aus Ihren Erfahrungen heraus sagen,
wie sich der Einsatz der Kirche gegen die Mafia darstellt? Es gab ja ein paar berühmte
Beispiele – etwa der Priester Don Puglisi, der sich widersetzte, dann aber ermordet
wurde. Was könnte die Kirche Ihrer Meinung nach als Ganzes gegen die Mafia tun?
„Die
Kirche hat schon Schritte unternommen und auch wichtige Äußerungen in diese Richtung
gemacht, aber sie müsste meiner Meinung nach wesentlich mehr tun. Auf der einen Seite
wesentlich mehr auch in den kleinen Orten, nämlich die Priester unterstützen, die
tatsächlich den Mut haben, zu denjenigen zu stehen, die gegen die Mafia sind. Öfter
ist es leider so, dass Priester alleingelassen werden! Auf der anderen Seite müsste
man auch selbst immer wieder die Priester dazu animieren, offen gegen die Mafia einzutreten.
Es ist leider so, dass selbst in diesen Tagen herauskommt: Eines der gerade verhafteten
Mitglieder der Ndrangheta hat einen Orden bekommen; Kinder von diesen Leuten werden
nach wie vor in der Kirche getauft, mit großen Festen. Sogar das Tragen der Madonna
bei Volksfesten ist auch ein Weg, um einfach in der Öffentlichkeit ihre Macht bzw.
Stärke zu zeigen und auszuüben. Also, da müsste die Kirche wesentlich offensiver sein
und ihre Priester dazu anhalten, wesentlich mehr öffentlich gegen die organisierte
Kriminalität zu sein. Sie müsste wesentlich mehr diejenigen unterstützen, die tatsächlich
Protagonisten bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität sind.“
Auf der einen Seite gibt es Männer wie Kardinal Sepe von Neapel, der jetzt
erklärt hat, Mafiosi dürften nicht zur Kommunion. Auf der anderen Seite sind aber
viele Priester in einem inneren Zwiespalt; sie sagen sich, dass viele Mafiosi doch
eigentlich arme Hunde sind, und wollen ihnen pastoral irgendwie entgegenkommen. Darf
ein Priester wirklich ganz blockieren und ,nein‘ zur Mafia sagen, auch keine Kommunion?
Oder darf er doch aus pastoralen Gründen entgegenkommender sein?
„Natürlich
ist das schwer zu beurteilen, weil das sehr zwiespältig sein kann in gewissen Fällen.
Aber es gibt leider viel zu oft Fälle, wo richtige Clanbosse von der Kirche unterstützt
werden, wo die Kirche sogar dazu dient, ihre Machtpositionen zu stärken. Und das ist
nicht möglich, das geht einfach nicht!“
Warum wirken die Mafiosi oft
so religiös? Warum findet man bei Bernardo Provenzano bei seiner Festnahme eine Bibel
in seinem Versteck? Ist das nur Schau, ist das Traditionalismus, oder was steckt dahinter?
„Öfters
hat es mit den archaischen Ursprüngen der Mafia oder der Ndrangheta zu tun. Diese
fast christlichen Rituale oder Zeremonien werden dazu eingesetzt, um die ,affiliati‘,
also die Mitglieder, mit der Organisation verbunden zu halten. Und außerdem braucht
man das, um in der Öffentlichkeit zu zeigen: Sie sind damit sozusagen als Gute, als
die Besten legitimiert.“
Der Boss des Casalesi-Clans, der jetzt festgenommen
wurde, hielt sich übrigens in einem 50 Quadratmeter großen Bunker fünf Meter unter
der Erde versteckt. Dem 53-Jährigen werden Mord, Erpressung, Raub, Drogenhandel und
Bildung einer Mafia-Organisation vorgeworfen. Dass sich der Gesuchte ausgerechnet
in der Hochburg seines Clans aufhielt und dort offenbar sicher fühlt, deutet nach
Ansicht von Laura Garavini auf den Schutz von Polizei und Politik hin. Es müsse jetzt
untersucht werden, wer den Gangster möglicherweise beschützt habe. Italiens neuer
Ministerpräsident Mario Monti nannte die Festnahme Zagarias einen „schönen Tag“ für
das Land und eine „Ermutigung für alle, die gegen die Mafia kämpfen“.