Franz Alt zu Durban: Weltklimapolitik ist bankrott
Wenn wir eine Weltkatastrophe
noch verhindern wollen, dann darf die globale Temperatur nicht über zwei Grad Celsius
gegenüber 1860, dem Beginn der Temperatur-Aufzeichnungen, steigen. Diesen Beschluss
fasste die Weltgemeinschaft bei der letzten Weltklimakonferenz in Cancun, Kanada.
Um 0,7 Grad sind die Temperaturen bereits gestiegen. Überschreiten wir die zwei
Grad, kann das Weltklima irreversibel kippen. Die ersten Folgen des Weltklimawandels
sind bereits Realität: 18 Millionen Klimaflüchtlinge in Afrika, dramatische Eisschmelze
am Nord- und Südpol, zunehmende Extremwetterschäden in Asien, Europa und Lateinamerika.
Überschwemmungen, Waldbrände und Stürme nehmen deutlich zu. Wenn die Zwei-Grad-Grenze
überschritten wird, müssen wir weltweit mit irreparablen Schäden rechnen: Allein das
geschmolzene Grönland-Eis könnte den Meeresspiegel um bis zu sieben Meter steigen
lassen. Ganze Landstriche versinken im Meer, die Welttemperatur könnte um bis zu acht
Grad steigen. Das wären Sommer in Deutschland mit bis zu 50 Grad Hitze und vielen
Hitzetoten auch in Europa. Im Angesicht dieser drohenden Katastrophen haben sich
in den letzten zwei Wochen 15.000 Delegierte zur 17. Weltklima-Konferenz in Durban,
Südafrika, versammelt. Das Ergebnis ist so ernüchternd wie auf den 16 Konferenzen
vorher seit 1992. Der einzig konkrete Beschluss ist der über die nächste Konferenz
im nächsten Jahr in Südkorea. Wirklich relevante Entscheidungen wurden auf die
Zeit nach 2020 verschoben. Die meisten Wissenschaftler jedoch meinen, dass es für
effektiven Klimaschutz bis dahin zu spät sein wird. Das einzige Ergebnis, das wirklich
zählt nach diesem Konferenzzirkus: Dem Klima geht es immer schlechter. Selbst das
viel gepriesene Kyoto-Protokoll hat dem Klima nicht geholfen. Denn seit der Kyoto-Klimakonferenz
1997 hat die Welt 36 % Treibhausgase mehr in die Luft geblasen als zuvor. Aber die
Hauptsünder USA und China hatten ja nicht einmal das schwache Kyoto-Protokoll akzeptiert.
Ihre Teilnehmer in Durban wurden von der Öl- und Kohle-Lobby ihrer Länder dominiert.
Exxon, Shell und BP kontrollieren die wichtigsten Regierungen. In Staaten wie Saudi-Arabien,
Kuweit, Bahrein oder Katar gibt es eigentlich gar keinen Unterschied zwischen der
Regierung und der Öl-Lobby. In Durban wurden zwei Wochen lang Tonnen von Papier
produziert und diskutiert. Viele Teilnehmer klagten darüber, dass sie den Durchblick
verloren hatten. Deshalb sind alle Verpflichtungen dieser Konferenz – wie zum Beispiel
die Finanzierung des Klimafonds für die armen Länder – entweder vage oder auf später
verschoben. Der deutsche Umwelt-Ökonom Professor Lutz Wicke, früher Umweltstaatssekretär
in Berlin und CDU-Politiker, schreibt zum Ergebnis von Durban: „Die Weltklimapolitik
ist bankrott“. Die deutsche Bundeskanzlerin gab schon im Vorfeld der Konferenz zu
Protokoll, dass sie nicht viel erwarte. Es hilft nichts: Die Welt muss endlich einsehen,
dass nach 20 Jahren der gesamte internationale Klima-Konferenz-Zirkus gescheitert
ist. Vergesst Durban. So ist das Klima nicht zu retten. Gibt es also gar keine
Hoffnung mehr? Solange 192 Regierungen wie die Händler auf einem arabischen Bazar
darüber feilschen wer die meisten Lasten und Kosten der Klimapolitik zu tragen hat,
kann es schon aus psychologischen Gründen keinen Fortschritt geben. Jeder erwartet
und fordert, dass der andere anfängt. Die USA wollen, dass die Chinesen und die Inder
mitmachen und diese sagen: „Die Industriestaaten sind die Hauptverursacher – also
sollen sie auch anfangen mit dem Klimaschutz.“ Und solange sich die Chinesen weigern,
sperren sich auch die Südafrikaner und die Brasilianer. Und danach erst recht die
armen Schwarzafrikaner. Am Schluss sagen dann die Europäer: Allein machen wir es auch
nicht. Die einzige Chance für eine bessere Zukunft ist diese: Einige fortschrittliche
Regierungen gehen mit gutem Beispiel voran, weil sie erkennen, dass Klimaschutz nicht
nur eine Last, sonder primär eine Chance ist - ganz so wie Angela Merkel inzwischen
die Energiewende propagiert. Klimaschutz kostet – das ist wahr. Aber kein Klimaschutz
kostet die Zukunft. Die Weltbank hat es schon 2007 von ihrem ehemaligen Chefvolkswirt
Niclas Stern ausrechnen lassen: Klimaschutz kostet ein Fünftel dessen, was die Welt
an Reparaturkosten aufbringen muss, wenn wir das Klima nicht schützen. Um diese Rechnung
zu verstehen müssen wir allerdings langfristig denken und unsere Kurzsichtbrille endlich
ablegen. Das Debakel von Durban bietet Industrieländern wie Deutschland auch eine
große Chance. Bei drei von sechs erneuerbaren Energie-Technologien sind wir Weltführer:
Bei Photovoltaik, bei Windrädern und bei Biogas. Alle heutigen Energieträger wie Kohle,
Gas, Öl und Uran gehen bald zu Ende und werden schon deshalb immer teurer. Selbst
wenn es keinen Treibhaus-Effekt gäbe müssten wir also umsteigen. Je schneller desto
besser für die Wirtschaft und für das Klima und für Millionen neue Arbeitsplätze.
Kaum ein Wissenschaftler bestreitet noch diese Prognose: Die Zukunft gehört denen,
die als erste auf 100 % erneuerbare Energien umgestiegen sind. Deutschland hat
seinen Anteil am Ökostrom in den letzten 10 Jahren vervierfacht. Das deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz
wurde inzwischen von 48 Staaten kopiert – einschließlich von Indien und China. China
hat sich jetzt – im Gegensatz zur USA – in Durban erstmals bewegt. Das Riesenreich
ist bereits Weltmeister im Aufstellen von Windrädern. Ab 2012 will China jedes Jahr
so viele Windparks installieren wie 20 Atomkraftwerke Strom produzieren. Das Reich
der Mitte produziert und installiert 80 % aller Sonnenkollektoren der Welt und baut
jetzt mit Riesenschritten seine Photovoltaik-Industrie auf. In Indien und Südkorea
habe ich eine ähnliche Entwicklung beobachtet. Europa, Indien und China sollten
und könnten künftig bei Erneuerbaren Energien und beim Klimaschutz voran gehen. Die
USA isolieren sich dann selbst oder sie machen künftig mit. In Deutschland haben
bereits 120 Kommunen und Regionen beschlossen, bis 2025 oder 2030 zu 100 Prozent erneuerbar
zu sein. Das sind 18 Millionen Menschen. Thüringen produziert schon heute 40 % Ökostrom,
Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern über 50 %, Ostfriesland über 140 %. Bei
Mammut-Konferenzen wie in Durban entscheiden immer die Bremser über das Tempo. Das
aber können wir uns im Angesicht der zunehmenden Katastrophen nicht mehr leisten. Die
neue Strategie könnte heißen: Voran gehen und die Chancen ergreifen, der erste zu
sein. Wenn Europa künftig mit Indien und China zusammen auf erneuerbare Energien umsteigen,
dann haben auch unsere Kinder und Enkel noch die Chance, in einer schönen Welt ein
glückliches Leben führen zu können. Klimapolitik wird dann zum Erfolg, wenn sie enkelverträglich
wird. Die große Transformation zu einer klimaverträglich wirtschaftenden Weltgesellschaft
ist noch immer möglich. Aber wir haben nur noch wenige Jahre Zeit zum Handeln. Klimaschutz
ist moralisch so geboten wie einst die Abschaffung der Sklaverei oder die Ächtung
der Kinderarbeit. Immerhin hat die Welt 2010 erstmals mehr Geld für erneuerbare Energien
ausgegeben als für die alten atomar-fossilen Energieträger. Das lässt hoffen – trotz
Durban! Ein Kommentar des bekannten deutschen Autors Franz Alt zur UNO-Weltklimakonferenz
von Durban/Südafrika, die am Samstag zu Ende geht