Kardinal Naguib: „Ägypten wird islamistisch, aber nur vorläufig“
Ägypten wird mit großer
Wahrscheinlichkeit nach dem Ende der Wahlen und nach dem Prozess der Verfassungsausarbeitung
für einige Zeit ein islamistischer Staat sein. Das wird die Lage der Christen nicht
einfacher machen. Diese Einschätzung machte das Oberhaupt der mit Rom unierten koptisch-katholischen
Kirche, Patriarch und Kardinal Antonios Naguib, bei einer Pressekonferenz am Dienstag
in Wien. Die Islamisten dürften in der verfassungsgebenden Versammlung auf 75 bis
80 Prozent kommen, so der Kardinal. Er äußerte aber die Hoffnung, dass die Entwicklung
nur vorläufig sein werde.
„Bürgerrechtsgruppen und Reformallianzen hatten
vor dem Wahlsieg von Muslimbrüdern und Salafisten gewarnt. Die Gruppen wollten deshalb
eine längere Vorbereitungszeit auf die Wahlen; sie dachten an Juni 2012. Aber die
Islamisten machten Druck und forderten: jetzt!“
Für die Muslimbrüder habe
dies eine Logik, „denn sie arbeiten schon seit 1928 an einer Machtübernahme, und sie
haben dabei nie aufgehört, auch nicht im Gefängnis“.
„Jetzt hatten sie
eine Gelegenheit gesehen, und die wollten sie ergreifen. Für sie hat immer die religiöse
Komponente eines islamischen Staates im Mittelpunkt gestanden; sie wollen den anderen
diese Sicht aufdrängen.“
Für die Christen würde die Umsetzung der Ideen
der moderaten Muslimbrüder-Vertreter voraussichtlich noch keine entscheidende Veränderung
ergeben, weil das ägyptische Rechtssystem bereits seit der Sadat-Regierung auf Scharia-Konformität
Wert lege. „Wirklich kritisch“ wäre hingegen, wenn Vorstellungen der Salafisten umgesetzt
würden. Die Gefahr einer Verschlechterung sei zwar reell, so Naguib.
„Aber
selbst wenn wir ein islamistisches Regime bekommen, wird es nicht lange bestehen.
Denn es entspricht nicht dem Geist der ägyptischen Zivilisation.“
Das koptisch-katholische
Kirchenoberhaupt hält einen Exodus von vielen Christen für möglich. Allerdings sei
das Auswandern schwierig, schon wegen der benötigten Visa. Naguib glaubt allerdings
nicht an ein mögliches Ende des Christentums in Ägypten, vor dem einige Beobachter
warnen:
„Selbst wenn eine halbe Million oder eine Million ginge, blieben
immer noch sieben bis neun Millionen, die keine Möglichkeit haben, zu gehen. Ägyptens
Christen wissen, dass ihr Kalender mit Märtyrern – jenen der Kirche von Alexandria
– beginnt. Wir müssen derzeit keine Verfolgung befürchten. Sollte sie aber kommen,
werden wir sie annehmen. Gott wird uns beistehen – mit der Kraft des Gebetes.“
Für
die Zukunft wichtig werde in jedem Fall, dass sich die Christen nicht abkapseln. Alle
christlichen Kirchen ermutigen ihre Mitglieder, am politischen Leben teilzunehmen.
Ein anderer wichtiger Aspekt sei die Solidarität des Auslands mit den Kirchen in Ägypten.
So sei etwa die koptisch-katholische Kirche in zahlreichen Sozialinitiativen für die
arme Bevölkerung – Christen und Muslime – engagiert. Die Kirche bilde in ihren Schulen
und Universitäten auch künftige Führungskräfte aus. Sie benötige aber für ihre Programme
im Sozial- und Bildungsbereich weiterhin Unterstützung. Naguib dankte in diesem Zusammenhang
insbesondere der österreichischen Dreikönigsaktion (DKA).