2011-12-01 16:29:54

D/Pakistan: Christen Bürger zweiter Klasse?


RealAudioMP3 War es eine Falle der Taliban oder war es Kalkül der Westmächte? Die jüngsten Nachrichten aus Pakistan betreffen eine Bombardierung eines pakistanischen Grenzpostens, bei der 24 pakistanische Soldaten ums Leben gekommen waren. Die USA beteuern, dass es ein Missverständnis gewesen sei. Die Regierung Pakistans unterstellte hingegen Absicht und sperrte die Nachschub-Route der Nato nach Afghanistan. Außerdem kündigte sie an, keine Vertreter zur Afghanistan-Konferenz zu entsenden, die am 5. Dezember in Bonn beginnen wird. Wendet sich Pakistan vom Westen vollständig ab? Ist die Regierung innenpolitisch darauf angewiesen, hart zu erscheinen? Oder Trifft das offensichtlich erlittene Unrecht Pakistan so tief, dass man einen Weckruf an den Westen sendet?

Auf jeden Fall ist Pakistan wieder auf der Tagesordnung. Immer wieder gab es in letzte Zeit politische und militärische Geschichten, es gab auch immer wieder Spannungen mit dem anderen Nachbarland, Indien. Was leider auch immer wieder in diesen Berichten aus Pakistan auftaucht, ist die Situation der Christen im Land. Die deutsche Bischofskonferenz hat an diesem Donnerstag ein Informationsheft vorgestellt, „Solidarität mit verfolgten und bedrängten Christen in unserer Zeit – Pakistan“. So wichtig die politischen und militärischen Bemühungen und das Ringen um Frieden in der Region auch ist, so darf die Gewissens- und Religionsfreiheit nicht der Preis dafür sein.

Der Weltkirchenbeauftragte der Bischöfe, der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick, ordnete bei der Vorstellung der Informationen die zunehmende Aufmerksamkeit für Christenverfolgungen weltweit grundsätzlich ein. Und er nannte drei Bereiche: Es beträfe Länder, in denen zwar das Christentum geachtet sei, sobald man sich aber auf Grund seines Glaubens für Menschenrechte einsetze und sich auf die Seite der Armen stelle, sei man gefährdet. Besonders in Lateinamerika hätten Christen in der Vergangenheit einen hohen Blutzoll für ihr gesellschaftliches Engagement entrichtet. Zweitens beträfe das eine Reihe spätkommunistischer Staaten, in denen sich Christen nicht frei bewegen oder die Religion nicht frei ausüben könnten. Religionsfreiheit würde von oben herab gewährt und geregelt, sei aber nicht menschenrechtlich gewährleistet. Drittens nannte er dann die Bedrohung von Kirchen und Christen in manchen islamisch geprägten Ländern. Hier mache sich ein erstarkter religiöser Fundamentalismus bemerkbar, der aus dem Wahrheitsanspruch der eigenen Religion einen alleinigen und absoluten Geltungsanspruch in Gesellschaft und Staat ableite. Für Christen bedeute dies Diskriminierung und die Herabstufung zu Bürgern niederen Ranges, die an der Ausübung ihrer Religionsfreiheit gehindert werden. Das gelte vor allem für Pakistan, wo Christen diskriminiert und benachteiligt würden. Erbischof Schick sagt, dass sich die Christen dort zu Recht als Bürger zweiter Klasse fühlten.

Es fehlt in Pakistan also an Gerechtigkeit, es fehlt aber auch an Stabilität und zudem ist es Schauplatz von tragischen Ereignissen wie dem Bombardement durch us-amerikanische Soldaten. Wie nervös das Land ist, kann man außerdem an zwei Vorfällen ablesen, die die Medien des Landes betreffen.
So haben TV-Kabelanbieter in Pakistan den britischen Sender BBC an diesem Donnerstag aus dem Netz genommen: „Seit Mitternacht zeigen wir die BBC nicht mehr", sagte der Sprecher des Kabelbetreibers in Islamabad, Sahid Khan. Mit der Aktion protestieren die Kabelanbieter gegen einen zweiteiligen Dokumentarfilm zur Rolle von Regierung und Militär im Kampf gegen radikal-islamische Extremisten wie die Taliban.
Der zweite Vorfall ist fast schon komisch zu nennen, es geht um eine Liste mit 1.700 Begriffen. Mobilfunkbetreiber sollten sms unterdrücken, in denen diese Begriffe vorkommen, so die vorläufige Absicht der Telekommunikationsbehörde des Landes. Auf der Liste stand unter anderem „Jesus Christus“. Die Mobilfunkanbieter waren angewiesen worden, sms mit einem der 1.700 Begriffen „im Interesse des Ruhmes des Islam" nicht mehr zu übermitteln. Tragikomisch klingt das für westliche Ohren, da sich auf der Liste auch Begriffe wie „Idiot“ oder „Fußpilz“ befanden.
Erst nach einer Intervention des Ministers für religiöse Minderheiten, Akram Gill, bei der Behörde und bei seinen Kabinettskollegen wurde das Verbot aufgehoben. Gill ist selbst Christ.

Die Nervosität ist mit Händen zu greifen, die Ausbrüche auch. Ein Ventil der Ausbrüche ist der sogenannte Blasphemieparagraf dar, Paragraf 296 aus dem pakistanischen Gesetzbuch, der Schmähungen des Koran und des Propheten, aber auch Schändung religiöser Stätten unter harte Strafen stellt.

Dieser Paragraf hat im letzten Jahr traurige Berühmtheit erlangt, der Fall Asia Bibi hat immer wieder die Öffentlichkeit beschäftigt, er ist zu einem Symbolfall für all die Christen geworden, die diesem Paragrafen zum Opfer gefallen sind. Bibi ist das erste weibliche Opfer der Blasphemie-Gesetze Pakistans. Gegner werfen dem Gesetz vor, es werde oft für persönliche Vendettas oder Landstreitigkeiten missbraucht, habe also nichts mit Religion zu tun. Ironie der Geschichte: Die britischen Kolonialherren hatten das Gesetz 1860 eingeführt, um den Religionsfrieden zu gewährleisten. 1980 wurde das Gesetz von Präsident Zia-ul-Haq wieder verstärkt angewandt, um seinen Vorstellungen eines islamischen Staates, regiert von der Sharia, näher zu kommen. Gab es von 1929 bis 1982 noch insgesamt neun Blasphemiefälle insgesamt, die vor Gericht verhandelt wurden, so sind es seither mehr als tausend Fälle. Die Christen waren dabei überproportional betroffen, so sagte es Prälat Klaus Krämer, Präsident des Hilfswerkes Missio, bei der Pressekonferenz. Sein Schluss: Das Blasphemiegesetz sei heute das größte Problem für die Christen in Pakistan.
Das Perfide daran: Bei Schmähung des Propheten müsse keine Intention nachgewiesen werden, strafrechtlich also ein ganz einfach zu verhandelndes Vergehen. Mit schlimmen Ausgängen. So sei schon mal eine minderjährige Schülerin angeklagt worden, weil sie den Namen des Propheten falsch geschrieben habe – Ein Rechtschreibfehler als Anklageursache.

Weihbischof Sebastian Shaw ist zur Zeit apostolischer Administrator des Bistums Lahore in Pakistan, auch er war bei der Pressekonferenz dabei. Bei aller Dramatik der politischen und der symbolischen Ereignisse und bei aller Schwierigkeit um Gesetze wie das gegen die Blasphemie sieht er aber auch die andere Seite, die Seite des Alltages:

„Das erstaunliche: Im Alltag leben Christen und Muslime gut zusammen. Sagen wir, dass es in einem Dorf 100 Familien gibt, 95 davon sind muslimisch, und nur 5 christliche. Man mag sich, respektiert sich, arbeitet zusammen. Nur manchmal kommen einige Menschen mit Provokationen, und dann entstehen die Probleme, dann werden das sehr schwerwiegende Probleme. Ganz besonders schlimm ist es, wenn es religiöse Probleme werden. Viele Menschen werden dann verwirrt, emotional verwirrt und dann verderben die Beziehungen in so einem Dorf, bis hin zum Tod von einzelnen. Diese Art von Problemen kommt von religiösen Extremisten. Die schaffen diese Art von Problem erst. Die normalen Menschen werden dadurch emotional ausgebeutet, missbraucht.“

Die Probleme des Extremismus, der Blasphemie-Gesetze und der interreligiösen Konflikte müssen auf ihre tieferen Gründe untersucht werden, es reiche nicht der Fingerzeit auf die Religionen und ihre fundamentalistischen Vertreter. Einige Elemente dieser Konflikte gehen sogar sehr weit zurück, sagt Shaw:

„Ich denke, dass das Hauptproblem, das wir in Pakistan haben, eines von sozial-ökonomischem Status ist. Viele Christen kommen aus den unteren sozialen Klassen. Gehen wir hunderte von Jahren zurück dann sehen wir bei uns unter Hindu-Regierung ein Kastensystem, in dem die Brahmanen die Oberklasse waren. Die gesamte Gesellschaft wurde unterteilt. Nun gibt Religion aber Freiheit und Religion spricht heute über Gleichheit, bei Christen wie bei Muslimen. Unglücklicherweise wirkt dieses Kastensystem immer noch in irgend einer Form weiter. Weil Christen aus der Unterklasse kommen, Straßenreiniger sind und anderes, tritt Kastenneid auf, sobald sie irgendeinen ökonomischen Erfolg feiern. Christen wurden lange nicht zu den Schulen zugelassen, bekamen keine Bildung. Ihnen war es nicht mal erlaubt, aus demselben Glas zu trinken. Das waren keine religiösen Gründe, sie werden bloß interpretiert als religiöse Gründe. Es geht aber um mehr.“

Zum Schluss bleibt die Frage nach dem Ausweg: Wie kann sich Pakistan weiter entwickeln, wie der Falle aus Gewalt, Nervosität, Konflikt und Fundamentalismus entkommen, die von den Kriegen in der Region und von Armut immer wieder genährt werden? Weihbischof Shaw hat kein Patentrezept für sofort, weist aber auf einen Weg, der für viele andere Konfliktgebiete auch gelten könnte. Nur einfach gemeinsames Arbeiten sei zwar gut, so Shaw, reiche aber nicht aus.

„Der richtige Weg ist ein sehr langsamer Weg: Erziehung. In unseren Schulen, von denen wir viele haben, bringen wir den Schülern Gleichheit bei und den Respekt vor dem Menschen und der Menschheit. Erst wenn die Schulbücher aller Schulen von Gleichheit und gegenseitiger Akzeptanz sprechen, erst dann wird sich unsere Gesellschaft ändern. Ich bin da hoffnungsvoll, auch wenn es noch Widerstände gibt. Mittlerweile wissen alle, die regierende Partei genauso wie viele Menschen im Justiz- oder Verwaltungssystem, dass wir zusammen arbeiten müssen. Viele politische Parteien haben Christen als Mitglieder, es gibt sie in fast allen Parteien. Hier gibt es Hoffnung, Wenn selbst die Parteien Christen aufnehmen. Wenn wir zusammen arbeiten, können wir den Reichtum Pakistans – wir haben ein sehr grünes Land mit allen Jahreszeiten – nutzen. Wenn wir die Talente aller nutzen, dann kann Pakistan ein reiches Land werden.“

(rv/tv24/diverse 01.12.2011 ord)







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