Stefan Andres wurde
im Jahre 1906 als Sohn eines Müllers im Tal der kleinen Dhron auf der Breitwieser
Mühle nahe dem Moselort Trittenheim geboren. Die Jahre der frühen Kindheit und Jugend
in Dhrönchen und in Schweich, erzählt Andres in seinem Roman ‚Der Knabe im Brunnen’,
einem faszinierenden, phantasie- und humorvollen Buch, hinter dessen nur scheinbar
kindlich-naiven Beobachtungen sich religiöse und philosophische Fragen von existentiellem
Gewicht verbergen. Eigentlich zum Priester bestimmt, erkannte er jedoch früh seine
literarische Berufung. Nach kurzem Studium wurde er freier Schriftsteller.
Im
Jahre 1937 verließ Stefan Andres zusammen mit seiner Frau Dorothee und Familie Nazideutschland
und emigriert nach Positano, einem unterhalb Neapel unter einem Berghang am Meer gelegenes
idyllisches armes Fischerstädtchen. Es folgte eine Zeit der Entbehrungen, aber auch
des literarischen Schaffens: Das bekannte ‚Wir sind Utopia’ und ‚Das Tier aus der
Tiefe’. 1951 nach Deutschland zurückgekehrt und in Unkel am Rhein niedergelassen,
wird Andres zum politisch engagierten Dichter, Kämpfer gegen atomare Aufrüstung und
für Aussöhnung mit dem Osten sowie europäische Einigung. ‚Hochzeit der Feinde’ ist
hier zu erwähnen. 1961 übersiedelte Stefan Andres nach Rom, dem Zentrum der Antike
und des Christentums als wichtiger Quelle seiner Inspiration. In seinem letzten Werk,
‚Die Versuchung des Synesios’, 1971, ein Jahr nach seinem frühen Tod erschienen, vereinte
Andres meisterhaft die Leitmotive seines künstlerischen Schaffens: Antike - Christentum,
Schuld - Sühne, Gewalt - Gnade.
Mit einer Auflage von drei Millionen Exemplaren
zählte Stefan Andres in den 50-er und 60-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zweifellos
zu den meistgelesenen Autoren der deutschen Sprache. Heute ist der in den vergangenen
Jahrzehnten etwas in Vergessenheit geratene Schriftsteller wieder in den Olymp der
modernen Literatur aufgestiegen. Stefan Andres: Phönix aus der Asche. Seine Werke
wurden mittlerweile in mehr als ein Dutzend Sprachen übersetzt. Stefan Andres starb
im Jahre 1970 in Rom an den Folgen einer Operation. Er liegt auf dem Campo Santo Teutonico,
dem historischen deutschen Friedhof im Vatikan zusammen mit seiner Frau Dorothee begraben.
Wofür
Stefan Andres gelebt, geschrieben und gekämpft hat, ist und bleibt aktuell: die leidenschaftliche
Wahrheits- und Gottsuche, der Gedanke der Toleranz und der Humanität, das Engagement
gegen jeden Machtanspruch in Kirche und Staat, die Verteidigung des mündigen und freien
Christen und Staatsbürgers, die Abrüstung und Überwindung des Blockdenkens, die Aussöhnung
mit den osteuropäischen Staaten und die Einigung Europas. Das bestätigt uns auch der
Enkelsohn von Stefan Andres, Christopher Andres:
Es gibt jetzt eine wissenschaftliche
Werkausgabe von Stefan Andres. Wie entsteht eine Werkausgabe, und warum ist es dazu
gekommen?
„Vor über einem Jahrzehnt hatte die Stefan-Andres–Gesellschaft
in der Zusammenarbeit mit der Familie von Stefan Andres die Idee, eine Werkausgabe
des derart umfangreichen Oeuvres von Stefan Andres zu realisieren. So entstanden die
ersten konzeptionellen Ideen zur Werkausgabe noch in enger Absprache und Kooperation
mit der Witwe von Stefan Andres, Dorothee Andres. Leider konnte meine Großmutter nicht
mehr die Realisierung der Werkausgabe erleben, sie starb 2002. Ziel der
Werkausgabe ist die Realisierung des literarischen, aber auch des gesellschaftspolitischen
Wirkens von Stefan Andres, der ja in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts
zu den meistgelesenen Autoren gehörte. Für die Edition der Werkausgabe zeichnet
nun der Wissenschaftliche Beirat der Stefan-Andres-Gesellschaft verantwortlich, ihm
obliegt die Auswahl der einzelnen Titel, die Reihenfolge der Veröffentlichungen usw.
Momentan sind bereits fünf Bände der mehrbändigen Werkausgabe auf dem Markt“. Stefan
Andres gilt als größter deutscher Autor der „Inneren Emigration“. Ist seine Sehnsucht
nach Italien der uralten sprichwörtlichen Sehnsucht der Deutschen nach dem Land, wo
die Zitronen blühen, oder vielmehr der politischen Entwicklung in seiner Heimat zuzuschreiben?
„Als
Stefan Andres im Jahre 1932 den renommierten Abraham-Lincoln-Preis erhielt, wurde
er von der Jury gefragt, was er mit dem Preisgeld – immerhin damals 600 Reichsmark
– machen werde. Seine Antwort war eindeutig. Er sagte: „Reisen! Nach Italien!“ Er
stamme aus der Gegend von Trier, der Roma Secunda! Nun würde es Zeit, Roma Prima kennen
zu lernen. Insofern hatte auch er die Sehnsucht der Deutschen nach Italien internalisiert,
aber nun kamen ab 1933 die politischen Verhältnisse des Dritten Reiches hinzu, die
es ihm schon 1933 ratsam erscheinen ließen, Deutschland – wenn auch nur kurzfristig
– zu verlassen. Endgültig emigrierte die Familie Andres im Jahre 1937 nach Italien,
dessen damals unbeschreibliche Gastfreundschaft es der Familie Andres ermöglichte,
dort während der bittersten Jahre zu verweilen. Deshalb spielten beide Aspekte – Sehnsucht
und die politischen Verhältnisse – eine entscheidende Rolle, in Italien Zuflucht zu
suchen“.
Italien wurde für Stefan und Dorothee Andres zur neuen Heimat,
was bedeutete Rom für beide?
„Einen ersten, wichtigen Bezug zu Rom erhielten
beide in den Jahren 1940/41, als Andres aufgrund einer Denunziation eines italienischen
Faschisten sein Refugium im süditalienischen Positano verlassen musste. Die Familie
Andres tauchte in Rom unter. Ganz anders das endgültige Übersiedeln meiner Großeltern
im Jahre 1961 nach Rom: Andres konnte als viel gelesener und gefeierter Schriftsteller
nun freiwillig seine Domizil aussuchen. Aus einem nur auf wenige Monate geplanten
Rom-Aufenthalt wurde für beide ein endgültiger, da Stefan Andres erkannte, dass Rom
– Anfang der 60er Jahre – für sein Werk enorme, unschätzbare Inspirationen (man denke
an das II. Vatikanum und generell an die kulturelle Szene) bereithalten würde. Hier
in Rom fanden beide nun ihre wahre Heimat, beide sind auch in Rom gestorben. Sie sind
auf dem Campo Santo Teutonico im Vatikan beerdigt, für sie bedeutet dies nun ein endgültiges
Verweilen in der Ewigen Stadt“.
Für Stefan Andres war das II. Vatikanum
eine große Hoffnung. War Stefan Andres auch ein theologischer Denker?
„In
der Tat verband Andres – ja nicht zu Unrecht – große Hoffnung mit dem II. Vatikanischen
Konzil, z. B. größere Selbstständigkeit der Laien, der Umgang mit anderen Konfessionen.
Nun hatte er die Möglichkeit, mit hochrangigen Konzilstheologen (z. B. mit Kardinal
Frings aus Köln oder mit Kardinal König aus Wien) und Konzilsberatern, aber auch mit
interessierten Laien das gesamte Spektrum der theologischen Fragen zu erörtern, die
ihn bereits sein gesamtes schriftstellerisches Leben beschäftigt hatten. Da er ursprünglich
für den Priesterberuf vorgesehen war, verwundert es nicht, dass gerade in seiner römischen
Schaffensperiode, also von 1961 bis zu seinem Tode im Jahre 1970, theologische Themen
im Vordergrund standen. So entstanden u. a. der Roman „Der Mann im Fisch“, die „Biblische
Geschichte“ und nicht zuletzt sein opus magnum „Die Versuchung des Synesios“ Hier
erweist sich Stefan Andres eindeutig als ein theologischer Denker“.
Kann
man sagen, dass aus dem politischen Schriftsteller Stefan Andres schrittweise ein
philosophischer Poet, und trotz seiner Diesseitserfahrung ein moderner Verfechter
des Mythos wurde?
„Zum einen war Stefan Andres ein gesellschaftspolitischer
Schriftsteller, aber auf gar keinen Fall ein parteipolitisch ausgerichteter Autor,
dafür war ihm seine geistige Unabhängigkeit viel zu wertvoll. Zum anderen entwickelte
er sich durchaus zu einem philosophischen Poeten, dies lässt sich u. a. an Hand seines
letzten und posthum 1971 erschienenen Romans „Die Versuchung des Synesios“ sehr gut
erkennen, da die Hauptfigur – nämlich Synesios – gleichzeitig Philosoph, Schriftsteller,
Feldherr und Bischof ist. Ja, Stefan Andres war – trotz seiner Diesseitserfahrungen
– ein moderner Verfechter des Mythos, da er in seinen Werken immer den engen Zusammenhang
des menschlichen Daseins mit Gott aufzeigte. Er war ein zutiefst religiös geprägter
Mensch, für den eine Zielgerichtetheit Richtung Gott unumstößlich war“.
„Der
Tod gehört mithin zum Paradies“ – wie würden Sie diesen Ausspruch von Stefan Andres
interpretieren?
„Stefan Andres verlor 1942 seine älteste Tochter Mechthild,
sie starb im Alter von neun Jahren an Typhus. Er versuchte seine Trauer u. a. lyrisch
auszudrücken. In seinem Gedicht mit dem Titel „An den Tod“ heißt es am Ende:
„Vielleicht wird Liebe wehen Um uns, bin ich bereit – Dann
zeug ich im Vergehen Mit dir: Unsterblichkeit.“ So entstanden
viele, sehr schmerzvolle Gedichte, die aber immer wieder auch darauf hinweisen, dass
der Tod nicht das absolute Ende ist, sondern eben eher das Tor zum Paradies“.