2011-11-28 09:48:37

Aktenzeichen: Stefan Andres


RealAudioMP3 Stefan Andres wurde im Jahre 1906 als Sohn eines Müllers im Tal der kleinen Dhron auf der Breitwieser Mühle nahe dem Moselort Trittenheim geboren. Die Jahre der frühen Kindheit und Jugend in Dhrönchen und in Schweich, erzählt Andres in seinem Roman ‚Der Knabe im Brunnen’, einem faszinierenden, phantasie- und humorvollen Buch, hinter dessen nur scheinbar kindlich-naiven Beobachtungen sich religiöse und philosophische Fragen von existentiellem Gewicht verbergen. Eigentlich zum Priester bestimmt, erkannte er jedoch früh seine literarische Berufung. Nach kurzem Studium wurde er freier Schriftsteller.

Im Jahre 1937 verließ Stefan Andres zusammen mit seiner Frau Dorothee und Familie Nazideutschland und emigriert nach Positano, einem unterhalb Neapel unter einem Berghang am Meer gelegenes idyllisches armes Fischerstädtchen. Es folgte eine Zeit der Entbehrungen, aber auch des literarischen Schaffens: Das bekannte ‚Wir sind Utopia’ und ‚Das Tier aus der Tiefe’. 1951 nach Deutschland zurückgekehrt und in Unkel am Rhein niedergelassen, wird Andres zum politisch engagierten Dichter, Kämpfer gegen atomare Aufrüstung und für Aussöhnung mit dem Osten sowie europäische Einigung. ‚Hochzeit der Feinde’ ist hier zu erwähnen. 1961 übersiedelte Stefan Andres nach Rom, dem Zentrum der Antike und des Christentums als wichtiger Quelle seiner Inspiration. In seinem letzten Werk, ‚Die Versuchung des Synesios’, 1971, ein Jahr nach seinem frühen Tod erschienen, vereinte Andres meisterhaft die Leitmotive seines künstlerischen Schaffens: Antike - Christentum, Schuld - Sühne, Gewalt - Gnade.

Mit einer Auflage von drei Millionen Exemplaren zählte Stefan Andres in den 50-er und 60-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zweifellos zu den meistgelesenen Autoren der deutschen Sprache. Heute ist der in den vergangenen Jahrzehnten etwas in Vergessenheit geratene Schriftsteller wieder in den Olymp der modernen Literatur aufgestiegen. Stefan Andres: Phönix aus der Asche. Seine Werke wurden mittlerweile in mehr als ein Dutzend Sprachen übersetzt. Stefan Andres starb im Jahre 1970 in Rom an den Folgen einer Operation. Er liegt auf dem Campo Santo Teutonico, dem historischen deutschen Friedhof im Vatikan zusammen mit seiner Frau Dorothee begraben.

Wofür Stefan Andres gelebt, geschrieben und gekämpft hat, ist und bleibt aktuell: die leidenschaftliche Wahrheits- und Gottsuche, der Gedanke der Toleranz und der Humanität, das Engagement gegen jeden Machtanspruch in Kirche und Staat, die Verteidigung des mündigen und freien Christen und Staatsbürgers, die Abrüstung und Überwindung des Blockdenkens, die Aussöhnung mit den osteuropäischen Staaten und die Einigung Europas. Das bestätigt uns auch der Enkelsohn von Stefan Andres, Christopher Andres:

Es gibt jetzt eine wissenschaftliche Werkausgabe von Stefan Andres. Wie entsteht eine Werkausgabe, und warum ist es dazu gekommen?

„Vor über einem Jahrzehnt hatte die Stefan-Andres–Gesellschaft in der Zusammenarbeit mit der Familie von Stefan Andres die Idee, eine Werkausgabe des derart umfangreichen Oeuvres von Stefan Andres zu realisieren. So entstanden die ersten konzeptionellen Ideen zur Werkausgabe noch in enger Absprache und Kooperation mit der Witwe von Stefan Andres, Dorothee Andres. Leider konnte meine Großmutter nicht mehr die Realisierung der Werkausgabe erleben, sie starb 2002.
Ziel der Werkausgabe ist die Realisierung des literarischen, aber auch des gesellschaftspolitischen Wirkens von Stefan Andres, der ja in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts zu den meistgelesenen Autoren gehörte.
Für die Edition der Werkausgabe zeichnet nun der Wissenschaftliche Beirat der Stefan-Andres-Gesellschaft verantwortlich, ihm obliegt die Auswahl der einzelnen Titel, die Reihenfolge der Veröffentlichungen usw. Momentan sind bereits fünf Bände der mehrbändigen Werkausgabe auf dem Markt“.
Stefan Andres gilt als größter deutscher Autor der „Inneren Emigration“. Ist seine Sehnsucht nach Italien der uralten sprichwörtlichen Sehnsucht der Deutschen nach dem Land, wo die Zitronen blühen, oder vielmehr der politischen Entwicklung in seiner Heimat zuzuschreiben?

„Als Stefan Andres im Jahre 1932 den renommierten Abraham-Lincoln-Preis erhielt, wurde er von der Jury gefragt, was er mit dem Preisgeld – immerhin damals 600 Reichsmark – machen werde. Seine Antwort war eindeutig. Er sagte: „Reisen! Nach Italien!“ Er stamme aus der Gegend von Trier, der Roma Secunda! Nun würde es Zeit, Roma Prima kennen zu lernen. Insofern hatte auch er die Sehnsucht der Deutschen nach Italien internalisiert, aber nun kamen ab 1933 die politischen Verhältnisse des Dritten Reiches hinzu, die es ihm schon 1933 ratsam erscheinen ließen, Deutschland – wenn auch nur kurzfristig – zu verlassen. Endgültig emigrierte die Familie Andres im Jahre 1937 nach Italien, dessen damals unbeschreibliche Gastfreundschaft es der Familie Andres ermöglichte, dort während der bittersten Jahre zu verweilen. Deshalb spielten beide Aspekte – Sehnsucht und die politischen Verhältnisse – eine entscheidende Rolle, in Italien Zuflucht zu suchen“.

Italien wurde für Stefan und Dorothee Andres zur neuen Heimat, was bedeutete Rom für beide?

„Einen ersten, wichtigen Bezug zu Rom erhielten beide in den Jahren 1940/41, als Andres aufgrund einer Denunziation eines italienischen Faschisten sein Refugium im süditalienischen Positano verlassen musste. Die Familie Andres tauchte in Rom unter. Ganz anders das endgültige Übersiedeln meiner Großeltern im Jahre 1961 nach Rom: Andres konnte als viel gelesener und gefeierter Schriftsteller nun freiwillig seine Domizil aussuchen. Aus einem nur auf wenige Monate geplanten Rom-Aufenthalt wurde für beide ein endgültiger, da Stefan Andres erkannte, dass Rom – Anfang der 60er Jahre – für sein Werk enorme, unschätzbare Inspirationen (man denke an das II. Vatikanum und generell an die kulturelle Szene) bereithalten würde. Hier in Rom fanden beide nun ihre wahre Heimat, beide sind auch in Rom gestorben. Sie sind auf dem Campo Santo Teutonico im Vatikan beerdigt, für sie bedeutet dies nun ein endgültiges Verweilen in der Ewigen Stadt“.

Für Stefan Andres war das II. Vatikanum eine große Hoffnung. War Stefan Andres auch ein theologischer Denker?

„In der Tat verband Andres – ja nicht zu Unrecht – große Hoffnung mit dem II. Vatikanischen Konzil, z. B. größere Selbstständigkeit der Laien, der Umgang mit anderen Konfessionen. Nun hatte er die Möglichkeit, mit hochrangigen Konzilstheologen (z. B. mit Kardinal Frings aus Köln oder mit Kardinal König aus Wien) und Konzilsberatern, aber auch mit interessierten Laien das gesamte Spektrum der theologischen Fragen zu erörtern, die ihn bereits sein gesamtes schriftstellerisches Leben beschäftigt hatten. Da er ursprünglich für den Priesterberuf vorgesehen war, verwundert es nicht, dass gerade in seiner römischen Schaffensperiode, also von 1961 bis zu seinem Tode im Jahre 1970, theologische Themen im Vordergrund standen. So entstanden u. a. der Roman „Der Mann im Fisch“, die „Biblische Geschichte“ und nicht zuletzt sein opus magnum „Die Versuchung des Synesios“ Hier erweist sich Stefan Andres eindeutig als ein theologischer Denker“.

Kann man sagen, dass aus dem politischen Schriftsteller Stefan Andres schrittweise ein philosophischer Poet, und trotz seiner Diesseitserfahrung ein moderner Verfechter des Mythos wurde?

„Zum einen war Stefan Andres ein gesellschaftspolitischer Schriftsteller, aber auf gar keinen Fall ein parteipolitisch ausgerichteter Autor, dafür war ihm seine geistige Unabhängigkeit viel zu wertvoll. Zum anderen entwickelte er sich durchaus zu einem philosophischen Poeten, dies lässt sich u. a. an Hand seines letzten und posthum 1971 erschienenen Romans „Die Versuchung des Synesios“ sehr gut erkennen, da die Hauptfigur – nämlich Synesios – gleichzeitig Philosoph, Schriftsteller, Feldherr und Bischof ist.
Ja, Stefan Andres war – trotz seiner Diesseitserfahrungen – ein moderner Verfechter des Mythos, da er in seinen Werken immer den engen Zusammenhang des menschlichen Daseins mit Gott aufzeigte. Er war ein zutiefst religiös geprägter Mensch, für den eine Zielgerichtetheit Richtung Gott unumstößlich war“.

„Der Tod gehört mithin zum Paradies“ – wie würden Sie diesen Ausspruch von Stefan Andres interpretieren?

„Stefan Andres verlor 1942 seine älteste Tochter Mechthild, sie starb im Alter von neun Jahren an Typhus. Er versuchte seine Trauer u. a. lyrisch auszudrücken.
In seinem Gedicht mit dem Titel „An den Tod“ heißt es am Ende:
„Vielleicht wird Liebe wehen
Um uns, bin ich bereit –
Dann zeug ich im Vergehen
Mit dir: Unsterblichkeit.“
So entstanden viele, sehr schmerzvolle Gedichte, die aber immer wieder auch darauf hinweisen, dass der Tod nicht das absolute Ende ist, sondern eben eher das Tor zum Paradies“.

(rv 27.11.2011 ap)








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