Eine neue Etappe bei der Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch in Deutschland:
Am Donnerstag legte der Wissenschaftliche Beirat der von der Bundesregierung eingerichteten
Anlaufstelle der Missbrauchsbeauftragten seinen Abschlussbericht vor. Das Team um
den Ulmer Kinder- und Jugendpsychiater Jörg M. Fegert wertete insgesamt über 20.000
Anrufe und Briefe aus, die zwischen Mai 2010 und August 2011 bei der SPD-Politikerin
Christine Bergmann und ihren Mitarbeitern eingingen. Die Amtszeit Bergmanns und des
wissenschaftlichen Beirats war am 31. Oktober zu Ende gegangen.
Viele
Missbrauchsfälle in Familien
Fegert erklärte, mit dem Abschlussbericht
liege der „bisher größte Datensatz in Deutschland“ dieser Art vor. Die Ergebnisse
lieferten „wichtige Erkenntnisse über die Thematik des sexuellen Kindesmissbrauchs“.
Dem Bericht zufolge konnten insgesamt rund 6.300 Telefonate und Briefe von Betroffenen
und ihren Angehörigen, Freunden oder Bekannten einer eingehenderen Analyse unterzogen
werden. Den Angaben zufolge ereigneten sich die meisten der dort berichteten Missbrauchsfälle,
nämlich über die Hälfte, in Familien. Jeder dritte Vorgang dieser Art fand in Institutionen
statt. In diesem Bereich liegen die beiden großen Kirchen mit insgesamt rund 60 Prozent
der Nennungen vorn. Darin eingeschlossen sind auch Fälle von sexuellem Missbrauch
zum Beispiel in Schulen und Heimen in kirchlicher Trägerschaft. Zugleich betonte
Fegert, dass die Erhebung keine repräsentative Stichprobe sei, da es sich um Kontaktaufnahmen
durch die Betroffenen selbst handele und keine statistisch erfolgte Auswahl von Berichten.
Die Betroffenen erwarteten gleichwohl „zu recht, dass die Politik definitiv Konsequenzen
zieht“ und sich Prävention und Aufarbeitung in Deutschland verbesserten. Der von
der Bundesregierung eingesetzte Runde Tisch zu sexuellem Missbrauch will Ende November
seine Arbeit abschließen. Dann soll auch über eine Nachfolge von Bergmann entschieden
werden. Die zentrale Hotline ist unterdessen weiter geschaltet. Noch immer gehen dort
bis zu 60 Anrufe täglich ein.