2011-11-14 12:34:20

Euro-Krise – eine Herausforderung auch für die Kirchen


RealAudioMP3 „Es macht nichts, dass Europa der kleinste der vier Weltteile ist, denn er ist der wichtigste wegen des Christentums, dessen Moral auf das Gemeinwohl der Gesellschaft zielt.“ An dieses Zitat aus der historischen „Encyclopédie“ von Diderot und D`Alambert hat der Präsident des Europäischen Rates jetzt in Rom erinnert. Der Belgier Hermann van Rompuy, der sich am Samstag auch im Vatikan mit dem Papst traf, hielt am Wochenende an der Päpstlichen Universität Gregoriana einen Vortrag über das, was Europa ausmacht. Und er arbeitete im Beisein des Jesuitengenerals Alfonso Nicolas und des Kurienkardinals Zenon Grocholewski heraus, dass Europa von der Vielfalt seines Menschenbildes lebt:

„Ich glaube an diese pluralistischen Identitäten, die dazu führen, dass ein Römer sich ohne inneren Widerstreit gleichzeitig als Römer, Italiener und als Europäer fühlen kann. Eine Identität schließt dabei keine der anderen aus. Ich glaube, dass die Zukunft der Europäischen Union in der Akzeptanz einer europäischen Identität liegt, die als spirituelle, als gelebte Identität verstanden wird und nicht wie eine nationale Identität. Darum ist es ein großer Irrtum, im Menschen nur ein individuelles Wesen zu sehen.“

Als Projekt, das eine Antwort auf die Gräuel von Krieg und Judenvernichtung gegeben habe, sei die EU weiterhin eine Wertegemeinschaft, mehr noch als ein politischer Verbund. Den Begriff Wertegemeinschaft definiert der katholische Politiker so:

„Auch wenn Sie das überraschen sollte – die Wertegemeinschaft beruht letztlich auf der Liebe. Denn Solidarität, die ist in unseren Tagen zu institutionell geworden; wir brauchen also einen Begriff wie Liebe, der das Teilen impliziert und nicht steril ist. Liebe in ihren vielen Formen. Liebe, die ich als unentgeltlich sehe, im Sinn eines Geschenks...“

Da sind die Berührungspunkte zur katholischen Soziallehre offenkundig. Ein italienischer Ethikdozent hat sie in diesen Tagen, mit Blick auf den Regierungswechsel in Italien, als das derzeit stabilste Gedankengerüst bezeichnet, auf das Politiker in Zeiten der Krise zurückgreifen können. Dass die Kirche in der derzeitigen Euro-Krise wichtige Orientierung bieten kann, glaubt auch der Integrationsbeauftragte und EU-Experte der österreichischen Bischofskonferenz, Franz Eckert.

„In einer Zeit der Verunsicherung ist die Kirche gefordert, Hoffnungen und Sicherheiten zu bieten, Wege aufzuzeigen und vor allem politisch nicht eingefärbte Informationen zu geben. Wir können die Menschen doch in einer solchen Krise nicht alleine herumirren lassen!“

Auf Ebene der Brüsseler EU-Diplomatie würden die Kirchen tatsächlich seit einigen Jahren verstärkt angehört und es werde der Dialog gesucht. So habe etwa van Rompuy die Herbstvollversammlung europäischer Bischöfe in Brüssel Ende Oktober zu einer ausführlichen Aussprache aufgesucht und mit den Bischöfen die aktuelle Krisensituation in Europa diskutiert. Die Kirchen ihrerseits müssten diese Verantwortung noch stärker wahrnehmen, glaubt Eckert. Gegenüber diesen großen Aufgaben blieben die innerkirchlichen Debatten über Struktur- und Reformfragen zweitrangig:

„Es ist doch völlig egal, wer wann wo Bischof wird – viel wichtiger ist, dass wir den Menschen in Europa helfen. Ich habe den Eindruck, es fehlt noch an der Verantwortung der Christen für die Europäische Union in dieser schwierigen Zeit!“

Es gebe weiterhin „keinen Kontinent der Erde, wo der Mensch in seiner Einzigartigkeit so im Mittelpunkt steht wie in Europa“. Dies zu bewahren sei eine Aufgabe, die nur mit vereinten Kräften und nicht allein nationalstaatlich zu schaffen sei. Europa sei gerade für Nicht-Europäer weiterhin ein „Hoffnungswert“, den auch Christen verteidigen müssten. Eckert ist einer der „Erfinder“ der „Dialogklausel“ im Lissaboner EU-Vertrag. Sie schreibt das Recht der Kirchen fest, in Brüssel gehört zu werden.

„Diese Dialogklausel ist keine Rederei und alles andere als eine Leer-Formel, weil sie sowohl die Verdienste der Kirchen um eine europäische Zivilgesellschaft als auch die besondere Eigenart der Kirchen anerkennt.“

Die Eigenart der Kirche sei: Sie „nimmt an der Zivilgesellschaft teil, ist aber nicht Teil der Zivilgesellschaft“. Diese Rechtsansicht - die so genannte „Formel von Lille“ - wird von den neuesten Kommentaren zum EU-Recht bestätigt, so Eckert.

(rv/kap 14.11.2011 sk)








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