Euro-Krise – eine Herausforderung auch für die Kirchen
„Es macht nichts,
dass Europa der kleinste der vier Weltteile ist, denn er ist der wichtigste wegen
des Christentums, dessen Moral auf das Gemeinwohl der Gesellschaft zielt.“ An dieses
Zitat aus der historischen „Encyclopédie“ von Diderot und D`Alambert hat der Präsident
des Europäischen Rates jetzt in Rom erinnert. Der Belgier Hermann van Rompuy, der
sich am Samstag auch im Vatikan mit dem Papst traf, hielt am Wochenende an der Päpstlichen
Universität Gregoriana einen Vortrag über das, was Europa ausmacht. Und er arbeitete
im Beisein des Jesuitengenerals Alfonso Nicolas und des Kurienkardinals Zenon Grocholewski
heraus, dass Europa von der Vielfalt seines Menschenbildes lebt:
„Ich glaube
an diese pluralistischen Identitäten, die dazu führen, dass ein Römer sich ohne inneren
Widerstreit gleichzeitig als Römer, Italiener und als Europäer fühlen kann. Eine Identität
schließt dabei keine der anderen aus. Ich glaube, dass die Zukunft der Europäischen
Union in der Akzeptanz einer europäischen Identität liegt, die als spirituelle, als
gelebte Identität verstanden wird und nicht wie eine nationale Identität. Darum ist
es ein großer Irrtum, im Menschen nur ein individuelles Wesen zu sehen.“
Als
Projekt, das eine Antwort auf die Gräuel von Krieg und Judenvernichtung gegeben habe,
sei die EU weiterhin eine Wertegemeinschaft, mehr noch als ein politischer Verbund.
Den Begriff Wertegemeinschaft definiert der katholische Politiker so:
„Auch
wenn Sie das überraschen sollte – die Wertegemeinschaft beruht letztlich auf der Liebe.
Denn Solidarität, die ist in unseren Tagen zu institutionell geworden; wir brauchen
also einen Begriff wie Liebe, der das Teilen impliziert und nicht steril ist. Liebe
in ihren vielen Formen. Liebe, die ich als unentgeltlich sehe, im Sinn eines Geschenks...“
Da
sind die Berührungspunkte zur katholischen Soziallehre offenkundig. Ein italienischer
Ethikdozent hat sie in diesen Tagen, mit Blick auf den Regierungswechsel in Italien,
als das derzeit stabilste Gedankengerüst bezeichnet, auf das Politiker in Zeiten der
Krise zurückgreifen können. Dass die Kirche in der derzeitigen Euro-Krise wichtige
Orientierung bieten kann, glaubt auch der Integrationsbeauftragte und EU-Experte der
österreichischen Bischofskonferenz, Franz Eckert.
„In einer Zeit der Verunsicherung
ist die Kirche gefordert, Hoffnungen und Sicherheiten zu bieten, Wege aufzuzeigen
und vor allem politisch nicht eingefärbte Informationen zu geben. Wir können die Menschen
doch in einer solchen Krise nicht alleine herumirren lassen!“
Auf Ebene
der Brüsseler EU-Diplomatie würden die Kirchen tatsächlich seit einigen Jahren verstärkt
angehört und es werde der Dialog gesucht. So habe etwa van Rompuy die Herbstvollversammlung
europäischer Bischöfe in Brüssel Ende Oktober zu einer ausführlichen Aussprache aufgesucht
und mit den Bischöfen die aktuelle Krisensituation in Europa diskutiert. Die Kirchen
ihrerseits müssten diese Verantwortung noch stärker wahrnehmen, glaubt Eckert. Gegenüber
diesen großen Aufgaben blieben die innerkirchlichen Debatten über Struktur- und Reformfragen
zweitrangig:
„Es ist doch völlig egal, wer wann wo Bischof wird – viel wichtiger
ist, dass wir den Menschen in Europa helfen. Ich habe den Eindruck, es fehlt noch
an der Verantwortung der Christen für die Europäische Union in dieser schwierigen
Zeit!“
Es gebe weiterhin „keinen Kontinent der Erde, wo der Mensch in seiner
Einzigartigkeit so im Mittelpunkt steht wie in Europa“. Dies zu bewahren sei eine
Aufgabe, die nur mit vereinten Kräften und nicht allein nationalstaatlich zu schaffen
sei. Europa sei gerade für Nicht-Europäer weiterhin ein „Hoffnungswert“, den auch
Christen verteidigen müssten. Eckert ist einer der „Erfinder“ der „Dialogklausel“
im Lissaboner EU-Vertrag. Sie schreibt das Recht der Kirchen fest, in Brüssel gehört
zu werden.
„Diese Dialogklausel ist keine Rederei und alles andere als eine
Leer-Formel, weil sie sowohl die Verdienste der Kirchen um eine europäische Zivilgesellschaft
als auch die besondere Eigenart der Kirchen anerkennt.“
Die Eigenart der
Kirche sei: Sie „nimmt an der Zivilgesellschaft teil, ist aber nicht Teil der Zivilgesellschaft“.
Diese Rechtsansicht - die so genannte „Formel von Lille“ - wird von den neuesten Kommentaren
zum EU-Recht bestätigt, so Eckert.