2011-11-06 11:03:52

Menschen in der Zeit: Tomi Ungerer


RealAudioMP3 Tomi Ungerer, geboren 1931, stammt aus einer Straßburger Uhrmacherfamilie. Er verpatzte die Reifeprüfung, trampte dafür durch ganz Europa und veröffentlichte erste Zeichnungen im legendären ‚Simplicissimus’. Mitte der 50er Jahre ging er nach New York, wo sein unaufhaltsamer Aufstieg als Zeichner, Maler, Illustrator, Kinderbuchautor und Werbegrafiker begann. Nach einigen Jahren auf einer Farm in Nova Scotia, Kanada, lebt er heute mit seiner Familie im Südwesten Irlands und in seiner Heimatstadt Straßburg, die ihm 2007 ein eigenes Museum gewidmet hat. Der Elsässer hat ein Werk hervorgebracht, das an Vielfalt kaum zu überbieten ist. Seine Plakate und Zeichnungen haben in ihrer Schärfe Epoche gemacht. Die mittlerweile fast über 100 Kinderbücher aber, mit denen in den späten fünfziger Jahren alles begann, zählen mit unvergesslichen Titeln wie ‚Die drei Räuber’ oder ‚Kein Kuss für Mutter’ sowie ‚Otto’ zu den Klassikern dieses pädagogischen Genres.

Herr Ungerer, Sie blicken auf eine weit über 60 Jahre erfolgreiche, künstlerische Tätigkeit zurück und gelten heute weltweit als ein Multitalent, als einer der besten Zeichner unserer Zeit. Aus Ihren Werken kann man erkennen, dass Sie den Humor, die Satire beherrschen, die Menschen, vor allem die Kinder, lieben. Vielleicht sind Sie aber auch jemand, der sich jeglicher Einordnung entzieht, für manche sogar ein nicht ganz bequemer Freigeist. Beginnen wir mit letzterem: hängt das zusammen, mit Ihrer Familie, Ihrer Erziehung oder weil Sie Elsässer sind?

„Ja das hängt mit alldem zusammen. Der frühe Tod meines Vaters, die Faschisten, die Nazis, das Elsass. All dies hat mich geprägt. Wir Elsässer können gut vergleichen und später im Leben viel mehr Verständnis haben für andere Minoritäten, die es noch zwanzig Mal schlimmer erlebt haben, als wir, wie zum Beispiel die Juden, die Zigeuner und heute viele Menschen auf der ganzen Welt. Ich leide an Weltschmerz, mein großes Problem ist mein Zorn, der überträgt sich dann auf meine satirischen Zeichnungen, Ich sage immer, mir ist eine Barrikade lieber als ein Stau”.

Sie haben Ihr Glück zunächst in der neuen Welt gesucht und auch gefunden. Dann aber trieb Sie das Heimweh wieder nach Europa zurück. Seither leben Sie abwechselnd in Straßburg und Irland. Was ist das, das Heimweh, für einen Menschen, der stets das Neue sucht?

„Ja also Heimweh, wissen Sie, das ist ganz relativ. Im Moment habe ich Heimweh nach dem Ozean und nach meiner Familie. Aber ich muss immer sagen, meine Wurzeln liegen im Elsass. Wir Elsässer sind ‚Chamälionisten’. Wir können uns sehr leicht überall adaptieren. Ich habe gelernt, dass es mit dem Lächeln fast keine andere Sprache braucht. Und das ist das, was ich in Irland so sehr liebe: es ist ein Land des grünen Lächelns”.

Vor wenigen Jahren konnten Sie eine schwere gesundheitliche Krise mit drei Herzinfarkten und einer Krebserkrankung überwinden und haben erneut zu Ihrer alten Produktivität zurück gefunden. War es das positive Denken, war es der Humor, war es der feste Glaube, dass Sie da herauskommen werden?

„An erster Stelle, das Akzeptieren. Man muss einfach akzeptieren, was auf einem zukommt. Ich liebe die Herausforderung. Zum Beispiel mit dem Krebs, da habe ich gesagt: Tumor mit Humor. Ich glaube, mit dem Humor kann man vieles, vieles überwinden. Ich bin glücklich, Solange ich noch lesen, arbeiten und denken kann”.

Sie haben einmal den ‚Mut zur Hoffnungslosigkeit’ als Ihre Lebensphilosophie bezeichnet. War das reiner Galgenhumor?

„Nein, nein. Wissen Sie, schon seit meiner frühen Kindheit musste ich lernen, die negativen Elemente des Lebens zu positivieren. Und das kann ich mit meinem Willen tun. Aus der Hoffnungslosigkeit ist für mich eine Energiequelle geworden. Und wenn ich zweifle, dann ist das Zweifeln bei mir ein positives Zweifeln. Das bedeutet: alles ist möglich. Alles ist akzeptabel. Man muss sogar den Zweifel positivieren”.

Vor vielen Jahren haben Sie den Tod einmal als Quelle der Kraft bezeichnet. Sehen Sie das im Alter genau so?

„Ja sicherlich. Wissen Sie, ab dem Moment wo man geboren ist, ist man zum Tode verurteilt. Und ich war schon ein paar Mal tot und ich habe sogar eine Sehnsucht nach dem Tod. Ich erinnere mich, dass ich dabei kein Sündengefühl mehr hatte, kein Schuldgefühl mehr. Ich habe nie in meinem Leben so intensiv eine Schuldfreiheit gefühlt, als wenn ich im Koma lag. Und das ist eine enorme Erfahrung”.

Es ist bekannt: neben Ihrer künstlerischen Arbeit setzen Sie sich sehr für soziale Aktionen ein, zum Beispiel für die Integration von Ausländern, für jugendliche Straftäter, für Aidspatienten, für an Krebs erkrankte Kinder. Kann man als Ironiker und gelegentlicher Zyniker ein echter Philanthrop sein?

„Also, entweder ist man Mensch oder nicht. Und wenn man Mensch ist, dann muss man Mitmensch sein. Ich bin wirklich ein Moralist, ein Humanist und Pazifist auch im politischen Sinn. Ganz besonders in den letzten 25 Jahren, bei dem Aufbau der Freundschaft zwischen Frankreich und Deutschland. Das ist für mich eine Riesenmission gewesen. Und ich habe dieses enorme Glück, dafür sogar anerkannt zu werden. Am Anfang war es schon schwierig – von der französischen Seite her – da habe ich sogar Todesdrohbriefe gekriegt. Kommst du zurück nach Frankreich, wirst du erledigt….Aber die Zeiten ändern sich. Wissen Sie, in der alten Zeit habe ich gesagt: Elsass ist wie eine Toilette, immer besetzt. Das sage ich jetzt nicht mehr….das hat sich geändert. Und ich habe gegen den französischen Zentralismus und den Jacobinismus kämpfen müssen”.

Sie brachten 40.000 Zeichnungen zu Papier und haben über 150 Bücher veröffentlicht, die meisten davon sind hervorragende Kinderbücher. Sie ergreifen darin immer Partei für die Rechte der Kinder auf Eigenständigkeit, auf Neugierde und Selbstverwirklichung. Die Helden Ihrer Kinderbücher sind alles Antikonformisten, so wie Sie.

„Ja, ganz genau. Die meisten Kinderbücher, heute, haben kein Lebensmaterial mehr zum Inhalt. Da ist alles so idealistisch. Mein jüngstes Buch hingegen ‚Die blaue Wolke’ handelt über den Bürgerkrieg. ‚Freunde, Freunde’, das handelt über einen kleinen Schwarzen in einer weißen Nachbarschaft, also über den Rassismus. ‚Otto’ ist ein Buch über einen kleinen Juden und einem kleinen Deutschen. Da sieht man Szenen aus dem Krieg, wie ich sie im Colmarer Brückenkopf erlebt habe. Aus diesen Erfahrungen muss man etwas lernen. Aus der Geschichte, muss man etwas lernen, sonst hat die Geschichte keinen Sinn. Kinder sind keine Idioten. Man muss ihre Empfindsamkeit schätzen. Kinder müssen respektiert werden, sie haben das Recht, Meinungen zu haben”.


Eine Lebensweisheit von Erich Kästner – dessen Preisträger Sie geworden sind – lautet: ‚Nur wer erwachsen wird und Kind bleibt, ist ein Mensch’. Sind Sie ein Kind geblieben?

„Ja, unbedingt. Ich glaube, das ist fast eine Disziplin, die man beherrschen sollte: ein Kind zu bleiben. Oder besser: die Welt durch die Augen eines Kindes zu empfinden. Ich bin ein ewiges Kind geblieben.”.

Da gibt es noch mehrere geistige Verwandtschaften zwischen Ihnen und Erich Kästner: Sie sind beide weltbekannt und haben weltberühmte Kinderbücher geschrieben. Sie sind beide Moralisten, der eine ein schreibender, Sie vorzugsweise in zeichnender Weise. Beide sind Meister der Ironie und der Satire, beide mit einem unterschiedlichen Schuss Zynismus behaftet. Beide schreiben und karikieren in sozialkritischer Absicht, um vor allem den jungen Lesern zu lehren, was gerecht und schlecht ist in dieser Welt. Beide sind und waren leidenschaftliche Pazifisten. Und beide verband ein problematisches Verhältnis zu ihrer Mutter, deren abgöttische Liebe zu Ihnen, Herr Ungerer, Sie beinahe erdrückte.

„Ich wurde übergeliebt, weil ich auch der Jüngste war in der Familie. Und das mochte ich eigentlich nicht. Und darüber habe ich auch wieder ein Kinderbuch herausgebracht: ‚Kein Kuss von Mutter’, von einem kleinen Jungen, der sich wehrt, von der Mutter geküsst zu werden. Darauf habe ich so viele Briefe erhalten von Müttern, die sich bei mir bedankten, dass sie jetzt endlich ihren Bub verstehen konnten. Das war schon auch autobiographisch. aber ich bin für meine Mutterliebe sehr dankbar, sonst wäre ich nicht das, was ich bin”.

Wenn man mit und über Tomi Ungerer spricht, kann man seine satirischen und erotischen Arbeiten für die Erwachsenen nicht ausklammern. Sie haben in ihren Karikaturen menschliche Sehnsüchte und Begierden ironisch, mitunter sarkastisch glossiert und dabei die Pornographie gestreift.....Gedanken sind gottlob frei, aber wenn man sie konkretisiert, legt man sie in Ketten, oder?

„Ja, wissen Sie, wenn man die Pornographie anklagt, dann muss man die Pornographie auch zeigen und benützen. Besonders die Feministen vor vielen Jahren, haben das total missverstanden. Zum Beispiel mein Buch über die Mechanisierung des Sexes, das ist fast ein klinisches Buch. Das sind Symptome. Wenn man die Symptome unserer Zeitalters und die perverse Welt zeigen will, dann müssen auch die Zeichnungen über diese Perversität gezeigt werden”.

Es ist Ihnen vorgeworfen worden, dass Sie dabei die Frauen diskriminieren.

„Nein, dann wäre ich nicht verheiratet. Genau im Gegenteil: schon damals in New York, war ich einer der ersten, die die Frauenbewegung unterstützt haben. Ich war besonders für die Rechte der Frauen sehr engagiert”.

Gibt es Dinge, an die Sie glauben, oder an denen Sie nicht zweifeln?

„Ja, ganz einfach. Das ist der gute Wille. Und der Respekt vor den anderen, die Menschen zu nehmen, wie sie sind. Der gute Wille, ist etwas sehr, sehr wichtiges.”

Es ist eine der großen Grundfragen der menschlichen Existenz überhaupt: hat der Mensch eine Seele und was passiert mit ihr nach dem Tod?

„Ja, das ist die große Frage. Und da muss ich sagen: Ich glaube, der Mensch ist viel zu neugierig, er will alles erklären, alles wissen, der Mensch hat seine Arroganz, anstatt einfach zu akzeptieren und zu warten. Mit seinem Gewissen, natürlich. Aber die Seele….wissen Sie, ich habe eine Erfahrung gemacht: ich war so jung, als mein Vater gestorben ist. Ich habe immer dieses Gefühl gehabt, dass er mir alles gegeben hat, alle seine Talente. Und in meinem ganzen Leben, in schlimmeren Zeiten, habe ich ihn immer an meiner Seite gespürt. Gäbe es so ein Gefühl, wenn es keine Seele geben würde? Ich habe Ihnen schon gesagt, mein Zweifeln ist positiv. Also, warum soll es sie nicht geben”?

Sie sind Botschafter des Europarates für Jugend und Erziehung. Wie lautet Ihre Botschaft für die Kinder – wie für die Erwachsenen?

„Meine Botschaft für die Kinder ist, dass es im Leben immer wieder die Möglichkeit gibt, sich zu verbessern und aus seinem Leben ein Erfolg zu machen. Und der Mensch muss lernen, seine Ängste überwinden zu können. In meinen Kinderbüchern haben die Kinder nie Angst. Die Erwachsenen ja, aber die Kinder nicht.”

Gibt es Dinge, die man nicht sagen, sondern nur zeichnen kann?

„Man kann manchmal mit ein paar Strichen eine ganze Philosophie auf’s Papier legen. Das kann manchmal viel stärker wirken als viele Seiten in einem Buch”.

Wenn man Sie nach Ihrem Innersten fragen würde, als was würden Sie sich am ehesten bezeichnen?

„Als Sucher, ich bin ein Sucher. Und das ist viel Arbeit, viel Arbeit”.

(rv 06.11.2011 ap)








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