Griechenland, die Krise und die Kirche - unser Dossier
Es sei „immer schwierig,
wenn jemand etwas von seinem Besitzstand wieder abgeben muss“. Das sagt Jörg Schill,
einer von Zehntausenden Deutschsprachigen, die in Griechenland leben. Schill gehört
zum Pfarrgemeinderat der deutschen Pfarrei von Athen, ist auch Vorsitzender der „Freunde
der griechischen Kulturstiftung in Berlin“.
„Die Frage des Besitzstandes
heißt nicht: Ist es zuviel oder ist es zuwenig. Jeder richtet sein Leben ein nach
einem gewissen Besitzstand, also Gehalt oder Vermögen. Und in den letzten Monaten
wurde eben doch massiv darauf gedrängt, die überhöhten Einkommen, Gelder, Pensionen
zu kürzen. Das heißt: Die Bevölkerung leidet subjektiv und objektiv.“
Dieses
Volk wurde gekauft
Aber hätten sich die Griechen nicht von vornherein
bescheiden müssen, statt immer höhere Gehälter oder Renten zu kassieren? Nein, so
kann man das nicht sehen, glaubt Jörg Schill: „Dieses Volk wurde bewußt über viele
Jahre und durch viele Regierungen gekauft. Es gibt nachweislich Programme, etwa für
eine Restrukturierung der Baumwollindustrie, deren Gelder etwa zum Kauf von Autos
verwendet wurden – also systemwidrig.“ Und keiner habe sich dagegen gesperrt,
auch die Geldgeber von der EU hätten sich nicht um die Verwendung der Gelder gekümmert.
„So – wenn Sie jemanden in Versuchung führen... Sie kennen ja das Vaterunser.“
Wie könne die Bevölkerung nun ihre Enttäuschung und ihren Zorn zum Ausdruck
bringen? „Doch nur dadurch, dass sie auf die Straße geht.“ Denn sonst gebe
es wenig Protestmöglichkeiten, weil im Moment ja auch keine Wahlen anstünden. Oder
noch nicht. Denn da ist ja noch diese Volksabstimmung, die der Athener Regierungschef
angekündigt hat.
Schill hält das Rettungspaket, das der Brüsseler EU-Gipfel
vor ein paar Tagen für Griechenland zusammengestellt hat, für sehr gelungen. „So,
und nun kommt die große Überraschung: Der Ministerpräsident Papandreou kommt nach
Hause, geht vors Parlament, erzählt, was in Brüssel geschehen ist, und sagt dann am
Schluß seiner Rede, nun rufe ich das Volk zur Abstimmung auf, ob dieser Weg richtig
ist oder falsch. Hätte er doch gesagt: Soll mal das Volk abstimmen, ob meine Regierung
die richtige ist oder ob eine andere Regierung das bessere Konzept hat! Dann hätte
man das in Europa vielleicht noch verstanden, wenngleich er dies ja schon vor einem
halben Jahr hätte sagen können!“
Referendum? Nur Taktik
Jörg
Schill vermutet einen rein taktischen Winkelzug Papandreous; das Volk sei, so sagt
er, „konsterniert und weiß nicht, was es tun soll“. Es sei ja auch nicht im einzelnen
informiert über die finanziellen und politischen Folgen seiner Entscheidung bei einem
Referendum: „so dass diese Abstimmung eigentlich eine Abstimmung darüber ist, was
gerade jeder so denkt und so meint... ohne genügend Informationen zu haben.“
Das
Leben in Griechenland sollte man sich – anders als das Bild, das man jetzt manchmal
über die Medien vermittelt bekommt – derzeit nicht als Chaos und Götterdämmerung vorstellen.
„Inzwischen merkt man außer Demonstrationen relativ wenig; allerdings sind zunehmend
Geschäfte im Zentrum von Athen geschlossen. Doch die Restaurants sind unverändert
voll, und auch wenn der Lebensstandard jetzt reduziert ist, merkt man das noch nicht
so sehr.“ Er als Deutscher habe überhaupt keine Probleme: „Ich werde inzwischen
eher positiv angeschaut als negativ, wie noch vor einem halben Jahr.“ Das liege
daran, dass die Griechen erleichtert sind über die Bemühungen der deutschen Bundeskanzlerin
Angela Merkel um ein EU-Rettungspaket für Griechenland: „Also, inzwischen wird
die Bemühung um Griechenland auch in Griechenland anerkannt. Deswegen ist es ja umso
überraschender, dass Papandreou auf einmal hinter alles ein großes Fragezeichen setzt!“
Von den 11,3 Millionen Griechen sind etwa 91,5 Prozent Christen, 5,8 Prozent
sind Muslime, der Rest meist Nicht-Religiöse. Unter den Christen stellen die Orthodoxen
mit fast 92 Prozent den Löwenanteil. Der Anteil der Katholiken beträgt 1,5 Prozent;
die übrigen sind Protestanten unterschiedlicher Bekenntnisse. Seit vor ein paar Jahren
ein neuer orthodoxer Erzbischof in Athen sein Amt antrat, hat sich die Kirche aus
dem politisch-gesellschaftlichen Tagesgeschäft etwas zurückgezogen, beobachtet Dr.
Schill aus Athen. Das war klug, findet er. „Also, die orthodoxe Kirche ist nicht
mehr so politisch aktiv wie in der Vergangenheit. Dass natürlich eine Kirche, die
sehr vermögend ist, die aber wenig Cash hat, nicht darauf bedacht ist, Vermögen gegen
Cash umzuwandeln (was ja auch nur schwierig geht), kann man sich natürlich vorstellen.
Und auch da gilt: Wer halt bislang verwöhnt worden ist, den schmerzt es natürlich,
wenn er plötzlich mit einer solchen Krise konfrontiert wird.“ Die Kirche halte
sich „bedeckt und aus allem heraus“. Natürlich gebe etwa bei der Einweihung einer
neuen Straße oder der Amtseinführung des neuen Finanzministers auch ein orthodoxer
Geistlicher seinen Segen, aber das bedeute keine kirchliche Einmischung ins Politische:
„Das ist kein Widerspruch, das ist auch für mich als Katholik kein Widerspruch.
Wenn ich an meine katholische deutsche Zeit zurückdenke, da waren auch bei großen
Ereignissen Bischöfe oder der Ortspriester zugegen.“
Finanzkrise
macht die Griechen nicht frömmer
Werden sich die Griechen jetzt
unter dem Druck der Finanzkrise wieder auf ihren orthodoxen Glauben besinnen und dort
Kraft schöpfen für die harten Zeiten? Jörg Schill ist da skeptisch: „Die spirituelle
Anbindung an die Orthodoxie sehe ich nicht so ausgeprägt. Ich glaube nicht, dass eine
Umkehr erfolgt wegen der Werte der Orthodoxie; ich glaube, es ist nicht so viel anders
als bei uns in der katholischen Kirche. Was hier zu einer Umkehr bewegt, ist der Verstand:
Die Griechen sind eine Mischung aus kopf- und emotionsgesteuert, und manchmal kommen
die Dinge zusammen.“ Vor allem in der jüngeren Generation macht Schill den Willen
aus, aus dem Tal der Tränen wieder herauszukommen. „Die sagen: Wir werden es packen,
wir werden die Mentalität ändern. Wir werden sie ändern müssen, um überhaupt eine
Chance in der Zukunft zu haben. Das ist ein Großteil der Jugend, der in diese neue
Richtung denkt.“ Die Älteren hingegen sind zu einem Umdenken aus seiner Sicht
nicht mehr bereit oder in der Lage: „Weil sie halt verwöhnt bzw. verdorben worden
sind und auf dieses Pferd gesetzt worden sind. Sie haben sich natürlich auch gerne
draufsetzen lassen, das ist gar keine Frage!“ Immerhin, auch bei der deutschen
Wiedervereinigung habe ja der Prozess des Umdenkens seine Zeit gebraucht, so Schill
– in Griechenland sei das ähnlich.
Eine Politikerkaste, die ihr Volk gekauft
hat. Eine Staatskirche mit glorreicher Vergangenheit, die sich jetzt wegduckt. Und
ein Volk, in dem einige jetzt zu einer Umkehr bereit sind und viele andere demonstrieren.
Und „beide haben nicht unrecht“, so Schill. „Ich habe neulich mal bei einem Vortrag
gesagt: Wäre ich ein Grieche, dann würde ich mit auf die Straße gehen!“ Das war
ein Vortrag vor Auslands-Griechen in Deutschland. „Da nicken die und sagen, das
verstehen wir, wir sind ganz Ihrer Ansicht!“ Wie es jetzt für Griechenland weitergeht,
will Schill nicht vorhersagen. Immerhin: „Ich glaube nicht, dass es zu dem Referendum
kommt.“ Der Ministerpräsident will an diesem Freitag im Parlament die Vertrauensfrage
stellen, „und wahrscheinlich wird er sie positiv beantwortet bekommen, denn jeder
weiß, wenn die Regierung kommt, dann kippt die Hälfte aller Parlamentarier. Und dann
haben die keinen Job mehr.“ Und wer wolle denn schon gerne einen gut dotierten
Arbeitsplatz verlieren?
„Aber die andere Frage ist: Wann und wie kommen
sie aus ihrem Dilemma wieder heraus? Ich hätte vor dieser Papandreou-Geschichte gesagt:
Naja, jetzt gibt`s eine neue Basis. Aber nun bin ich genauso verunsichert wie viele
andere.“