Die Überschwemmungen
in Bangkok sind eine Katastrophe in Zeitlupe. Das sagt der katholische Pfarrer der
deutschsprachigen Gemeinde in der thailändischen Hauptstadt gegenüber Radio Vatikan.
Jörg Dunsbach erläutert, dass die Menschen in Thailand zwar an heftige Regenwetter
gewöhnt seien.
„Allerdings waren die Regenfälle in diesem Jahr so heftig,
dass die Regenmengen so groß waren wie noch nie. Das hat zu diesen lang andauernden
und außergewöhnlichen Überschwemmungen geführt. Die üblichen Vorsichtsmaßnahmen und
der normale Umgang mit einer Flut konnten somit nicht durchgeführt werden. Das hat
die Menschen vor größere Herausforderungen gestellt. Die Strassen, auf denen ich mich
selber normalerweise bewege, sind mittlerweile weggespült. Das ist eine Situation,
die für das ganze Land hier enorme Herausforderungen bedeutet. Die Menschen sind an
ihre Grenzen der Belastbarkeit gelangt.“
Das Hochwasser in der Hauptstadt
wird laut Behörden frühestens in zehn Tagen abgeflossen sein. So lange werde es mindestens
dauern, bis die 5,5 Milliarden Kubikmeter Wasser ins Meer gelaufen sind. Bei den schwersten
Überschwemmungen seit fünfzig Jahren sind im ganzen Land mindestens 384 Menschen ums
Leben gekommen.
„Thailand ist natürlich sehr stark von dem buddhistischen
und sogar vom hinduistischen Erbe geprägt. Die Menschen lernen von frühester Kindheit
an, das Leben als Leid zu sehen. Ihre Gefühle versuchen sie dann soweit im Zaun zu
halten, dass sie möglichst viel ertragen können. Das ist sich natürlich von Vorteil,
wenn Menschen in solche extremen Situationen kommen. Sie sind dann zwar traumatisiert,
verlieren aber nicht den Kopf. In einer gewissen Kühle können sie die Situation ertragen
und dann im nächsten Schritt überlegen, was zu tun ist.“
Verärgerte Bewohner
überschwemmter Außenbezirke von Bangkok bringen die Stadt nach Angaben des Gouverneurs
erneut in Hochwassergefahr. 17 der 50 Bangkoker Bezirke sind teilweise überschwemmt.
„Wir
erinnern uns noch gut an die Tsunami-Katastrophe vor fünf Jahren. Die war gewissermaßen
spektakulärer als die jetzige Katastrophe, weil die Flut über das Land und vor allem
auch über die bekannten Urlaubsziele eingebrochen war. Leider gab es ja auch wesentlich
mehr Opfer. Allerdings waren die Zerstörungen gewissermaßen reduziert auf die Küstenbereiche.
Die jetzige Katastrophe, die sich eben in Zeitlupe abgespielt hat, betrifft zwar nicht
so viele Menschen, doch die Zerstörungen sind bei weitem größer als bei dem Tsunami.
Deshalb muss das Land das schaffen, mit den eigenen Kräften und mit internationaler
Hilfe wieder aufzubauen. Ich hoffe, dass die verschiedenen Kräfte in diesem Land sich
angesichts dieser Katastrophe einigen und nicht die Notlage für eigene politische
Zwecke ausnutzen.“
(rv 02.11.2011 mg)
Lesen Sie hier einen ausführlicheren
Bericht von Pfarrer Jörg Donsbach, Bangkok.
Es war, ist und bleibt wohl
eine Katastrophe in Zeitlupe. Die Regenfälle seit Ende September waren so schlimm
wie nie zuvor, obwohl man hier mit Überschwemmungen gut umzugehen weiß. Allerdings
entsprach die Regenmenge dem Vielfachen des normalen Maßes. Zunächst betraf es die
nördlichen Provinzen Thailands, was man mit großem Bedauern wahrgenommen hat. Als
dann die Wassermassen sich den Weg in die zentralen, tiefer gelegenen Provinzen flossen
und dazu die unaufhörlichen Regenfälle dazu kamen, wuchs die überschwemmte Region
ins unüberschaubare. Bei einer reise zu einem AIDS-Kinderheim nördlich von Ayutthaya
konnte ich mir ein selber ein Bild der Lage machen. Die Menschen waren mit Autos und
dem wenigen an Hab und Gut aus den gefluteten Landstrichen auf die höher gelegenen
Straßendämme geflüchtet. Dort wurden sie von den im Lande gängigen fahrbaren Garküchen
mit Wasser und Lebensmitteln versorgt. Wer auf den Dächern ausharrte, wurde vom Boot
aus betreut. Allerdings schoben immer mehr Wassermassen aus dem Norden in die zentralen
Bereiche vor, sodass das Wasser unaufhörlich stieg und schließlich sogar die Straßen
und Befestigungsdämme überspülte und wegriss.
Kinder und Alte Am
meisten litten die Kinder und Alten, unter denen die meisten der bisher 377 Toten
zu verzeichnen sind. Das Wasser kam so schnell, dass für diese Opfer jede Rettung
zu spät kam. Langsam wurde die Tragödie zum festen Bestandteil der Nachrichten, erst
recht, als sich abzeichnete, dass die Wassermassen nicht nur auf Bangkok und den zentralen
Ablauf – den durch Bangkok fließenden Chao Phraya – zuströmten, sondern dass die Flutdämme
der Stadt, die wie Venedig mit Kanälen, sog. Klongs, durchzogen ist, der erwarteten
Fluthöhe nicht standhalten würden.
Dies war der Anlass zur Flucht aus der Innenstadt.
Während die nördlichen, westlichen und östlichen Vorstadtbezirke nach und nach vollkommen
und meterhoch überflutet wurden, versuchte man, die Wassermassen um die zentrale Innenstadt
herum zu leiten und die Dämme zu verstärken. Die für den vergangenen Samstag erwartete
Scheitelwelle, die mit der Flut vom Meer in der Stadt zusammentreffen sollte, erreichte
allerdings nicht die kritische Marke von 2.50 m, sondern blieb bei 2.49 m stehen.
Mir kam es vor wie ein Wunder, da ich zur gleichen Zeit an einem der Hauptfluttore
der Stadt am Rande des Flusses stand. Seit dem ist die Höhe stabil und man rechnet
in den kommenden Tagen mit einer Entspannung. Die Menschen haben es trotz einzelner
dramatischer Fälle, mit einer für die Thailändische Mentalität typischen stoischen
Ruhe ertragen. Dies rührt aus der buddhistischen Erziehung, das leidvolle Leben zu
ertragen und keine großen Gefühlsausbrüche zu zeigen. Eine zusätzliche Belastung für
die Menschen, die alles verloren haben, aber soweit internalisiert, dass sie auch
in diesen Extremsituationen – zumindest zum größten Teil – die Fassung bewahrten.
Unter
anderem wurde der Reis nicht nur deshalb knapp, weil es zu Hamsterkäufen und Lieferengpässen
kam, sondern weil die Menschen größere Mengen an Reis den Geistern opferten – ein
hinduistisches Erbe, das sich durch den ganzen Alltag der Thais zieht. So versuchten
sie auf ihre Weise, in ihrer "Religion" Schutz zu finden.
Flucht Viele
allerdings haben die City verlassen und suchen in Pattaya oder dem Nord-Osten des
Landes Schutz. Langsam strömen die Menschen nun wieder zurück. Unterdessen wurde von
staatlicher, militärischer und ziviler Seite aus unmittelbar geholfen, soweit dies
überhaupt möglich war. Wasser, Lebensmittel und Reis wurden von der Stadtbevölkerung
gespendet und verteilt. Ebenso die internationale Hilfe durch Caritas International,
Rotes Kreuz oder die Kirchen vor Ort war sofort angelaufen.
Problematisch sind
nun mehrere Szenarien: Erstens sind von den überschwemmten 2/3 der Provinzen
Thailand viele in mehrfacher Hinsicht zerstört. Nicht nur Menschenleben, sondern auch
Häuser, Straßen, Wege, Fahrzeuge, Maschinen, landwirtschaftliche Fahrzeuge, Felder,
Lagerhallen, Nahrungsmittelvorräte, Produktionshallen, Industriegebiete, Unternehmen,
Zulieferbetriebe, Strom-, Gas-, Wasser-, und Kanalisationslogistik und vieles mehr.
Das ganze Ausmaß des Wiederaufbaus wird erst langsam – eben in Zeitlupe – deutlich.
Zweitens: Es entsteht zurzeit ein emotionales Ungleichgewicht zwischen
den Menschen außerhalb der City, die unter dem Wasser leiden und den Menschen innerhalb
der Stadt, die verschont geblieben sind. Vielleicht ist es noch zu früh von Aggression
zu sprechen, aber der Neid und die Missgunst sind die Ventile, durch die sich die
emotionale Zurückhaltung doch noch Bahn brechen könnte. Dies kann nur aufgefangen
werden, wenn alle versuchen, so schnell wie möglich das land wieder aufzubauen. Drittens:
Die politische Katastrophe scheint sich bereits am Horizont abzuzeichnen. Wie es aussieht
wird in diesem politisch diffizilen Geflecht die Flut nun instrumentalisiert, um politisches
Kapital daraus zu schlagen. Dies wiederum hilft niemandem und wird dem Wiederaufbau
sicher nicht dienlich sein.
Hoffnungen Wir alle hoffen das
Beste – und wir versuchen auch als beide christliche Kirchen mit den uns zur Verfügungstehenden
Netzwerken vor Ort zu helfen, zum einen in Zusammenarbeit mit den thailändischen Kirche,
zum anderen durch die Unterstützung großer internationaler Unternehmen hier im Land,
aber auch in Zusammenarbeit mit den Hilfsorganisationen aus Deutschland, sowie mit
der Deutschen Botschaft hier in Bangkok.
Seit Wochen ist auch in unseren Gottesdiensten
das fürbittende Gebet für die Menschen in ihrer Notlage präsent. Außerdem sind auch
viele der Gemeindemitglieder unmittelbar betroffen. Langsam wird sich zeigen, wo wir
gezielt Aufbauarbeit leisten können und dem Land wieder eine Perspektive geben können.
Meiner
Einschätzung nach wird sich Thailand von dieser Naturkatastrophe nur erholen, wenn
es gelingt, die gesellschaftlichen und politischen Kräfte zu bündeln und die Welt
seinerseits die Lage der Menschen hier nicht vergisst. Der Tsunami vor fünf Jahren
war zugegebener Maßen spektakulärer und kostete bedauerlicherweise wesentlich mehr
Menschenleben. Die Zerstörungen aber, die das Wasser in 2/3 aller Thailändischen Provinzen
angerichtet hat, sind wesentlich höher.
Es wird Jahre brauchen, bis sich wieder
Normalität eingespielt hat. Wir alle beten und hoffen, dass es allen, denen dieses
Land am Herzen liegt, auch gelingt.