Für das kommende Jahr
sind in Kenia Präsidentschaftswahlen angekündigt. Es sind die ersten Wahlen nach Inkrafttreten
der neuen Verfassung im Jahr 2010. Trotz des guten Vorzeichens sitzen den Kenianern
noch immer die Unruhen nach der letzten Wahl 2007 im Nacken.
Kenianer sind
daran gewöhnt, dass alle Länder um sie herum im Chaos versinken oder Probleme haben:
Rebellen, Kriege, Regierungen, die nicht funktionieren. Aber der Gedanke, dass sie
selbst zu so einem Land werden könnten, ist ihnen glaube ich fremd gewesen.
Angelika
Mendes hat drei Jahre für den Jesuitenflüchtlingsdienst in Kenia gearbeitet und die
kenianische Gesellschaft kennen gelernt.
Es gibt natürlich große Unterschiede.
Zum einen gibt es die vielen armen Kenianer, die täglich ums Überleben kämpfen und
in Slums leben. Und dann gibt es natürlich die, die unglaublich reich sind und die
Familien, denen große Teile des Landes gehören. Und dann gibt es aber auch eine wachsende
Mittelschicht – diese wird sicher sehr interessant auch für die künftige Gestaltung
des Landes sein.
Während ihres Aufenthalts lebte Frau Mendes hauptsächlich
in der kenianischen Hauptstadt Nairobi, die sie als sehr bunte und sehr internationale
Gesellschaft erlebt hat. Es gibt große Unterschiede zwischen Stadt und Land, arm und
reich – und dennoch scheinen alle Kenianer eines gemeinsam zu haben: nämlich die Bereitschaft,
ihr Leben in Eigeninitiative in die Hand zu nehmen und es durch harte Arbeit zu verbessern.
Jeder hat irgendwie sein Business, verkauft irgendwas, selbst wenn Leute
fest angestellt sind, haben sie meistens noch etwas Anderes am Laufen. Der Gedanke
der Entwicklung ist ganz stark präsent in der kenianischen Gesellschaft und auch der
Wert der Bildung in diesem Zusammenhang. Dass man Kinder auf eine gute Schule schicken
kann, dass sie zur Universität gehen können, dass sie vielleicht ein Stipendium bekommen
oder im Ausland studieren können. Es ist vieles darauf gerichtet, den Kindern eine
bessere Zukunft zu ermöglichen oder dann mit den Instrumenten auch was anzufangen
und in die Gesellschaft hineinzuwirken und Verantwortung zu übernehmen.
Einen
deutlichen Unterschied zu europäischen Gesellschaften stellt Frau Mendes in der Beziehung
der Menschen zu ihrem Glauben fest. Kenianer hätten einen viel natürlicheren Zugang
zum Glauben – und es sei selbstverständlich, dass sich das auch zeigt. Ob im Alltag
oder im beruflichen Umfeld, im gemeinsamen Gebet oder in den Gesprächen beim Mittagessen.
Die Menschen haben da keine Hemmschwelle und eigentlich fühlen sich eher
diejenigen, die keinen Bezug dazu haben, eher ausgegrenzt. Im Umkehrschluss sind mir
oft verwunderte Reaktionen begegnet – mir ist der Glaube wichtig und ich lebe ihn
auch – und wenn das so bemerkt wurde, dann hieß es immer: Aber du kommst doch aus
Europa, das ist ja total ungewöhnlich. Das ist auch schon im Bewusstsein der Menschen
drin, dass es hier eher säkularisiert ist und dass das hier eher ungewöhnlich ist,
wenn jemandem sein Glaube wichtig ist und dass er den auch lebt.
Gelebt
wird der Glaube in unzählige religiösen Gemeinschaften. Sie bieten ein enormes Angebot
an Messen, Gesprächs- und Gebetsgruppen, sozialem Engagement und vielem mehr. Neben
dem Glauben wird auch das politische Geschehen wahrgenommen. Jeder liest Zeitung und
überall wird über Politik diskutiert: beim Mittagessen, am Arbeitsplatz, abends beim
Ausgehen...
Politik ist ein so präsentes Thema in der kenianischen Gesellschaft
und zugleich herrscht große Frustration über Korruption, über all die Dinge, die schief
gegangen sind oder einfach nicht geschehen. Ich habe Menschen erlebt, die sehr motiviert
sind, ihre Rolle einzunehmen in der Politik und da auch ihren Beitrag zu leisten.
Ich habe andere erlebt, die gesagt haben: Ich habe jetzt seit Jahren gewählt, es hat
sich nie etwas verändert – ich wähle jetzt nicht mehr. Und man kann es ihnen nicht
einmal übel nehmen, weil oft Politiker Vieles versprechen und dafür dann das Vertrauen
der Bevölkerung in den Wahlen bekommen, letztlich oft so uninteressiert daran sind,
etwas umzusetzen, was dem Wohl der Bevölkerung dient und was langfristig Verbesserung
bringt.
Derzeit stehen mehrere prominente Politiker Kenias in Den Haag
vor Gericht. Ihnen wird vorgeworfen, maßgeblich an den Wahlunruhen nach 2007 beteiligt
gewesen zu sein. Wie wird das bewertet?
Die Prozesse vor dem Internationalen
Strafgerichtshof sind sicher ein Schritt in die richtige Richtung, dahingehend, dass
deutlich wird, dass nicht jeder nicht einfach machen kann, was er will und dass das
auch entsprechende Konsequenzen nach sich zieht. Auf der anderen Seite herrscht an
manchen Stellen immernoch Unmut darüber, dass das überhaupt nach Den Haag gehen musste
und nicht im eigenen Land geschehen konnte. Dann sehen aber auch viele, dass es so
im eigenen Land nie hätte geschehen können, weil diese Beziehungen zwischen den Stämmen
so kompliziert sind und auch die Gräben so tief, dass das niemals so unvoreingenommen
hätte behandelt werden können.
Ob die nötigen Konsequenzen aus den möglichen
Urteilen aus Den Haag gezogen werden, ist allerdings fraglich, denn bis heute sei
das Geschehene kaum aufgearbeitet worden, so Mendes.
Kenianer sagen selbst,
wir sind da sehr geschichtsvergessen. Wenn jetzt in Den Haag etwas Entscheidendes
passiert und entsprechend diejenigen, die dort vor Gericht stehen, für eine Präsidentschaftskandidatur
eigentlich nicht mehr in Frage kommen und sich dann doch wieder alles reduziert auf
die Stammeszugehörigkeit und den Personenkult, dann ist das eine Chance, die im Grund
verpasst ist.
Wie die Entscheidung aus Den Haag in die Gesellschaft und
die politische Kultur übersetzt wird, bleibt momentan offen, erklärt Mendes. Wichtig
sei vor allem, dass die Menschen ihre Hoffnung wiederfänden.
Eine Kandidatin,
Martha Karua, hat in diesem Zusammenhang gesagt, dass sie sich daran erinnert, als
der jetzige Präsident Kibaki 2003 angetreten ist. Da hat eine solche Euphorie geherrscht
in der Gesellschaft, dass die Menschen plötzlich wieder viel motivierter waren, selber
auch für eine Verbesserung zu kämpfen. Da hat sie Menschen auf der Straße im Streit
mit Polizisten gesehen, weil sie sich geweigert haben, das Bestechungsgeld zu bezahlen.
Und sie hat gemeint, wenn sie so eine Stimmung wieder hinbekommen, dass diese Frustration
und Resignation verschwindet und dass die Menschen wirklich wieder Anlass zur Hoffnung
sehen, dann könnte Kenia wirklich einen großen Schritt nach vorne machen, aber das
muss sich dann eben nächstes Jahr zeigen.