2011-10-27 12:26:40

Ukraine: Kirchen gegen Timoschenko-Urteil


RealAudioMP3 Die Ukraine befindet sich seit längerer Zeit in einer Umbruchphase. Das sagt im Gespräch mit Radio Vatikan der Osteuropa-Fachmann und Professor an der Universität Münster, Thomas Bremer. Unter dem derzeitigen Präsidenten scheint das osteuropäische Land eher Richtung Moskau zu schauen. Ein Abkommen mit der Europäischen Union, über das im Augenblick verhandelt wird, steht in der Schwebe, nachdem die Oppositionsführerin und ehemalige Ministerpräsidentin Julia Timoschenko zu sieben Jahre Gefängnis verurteilt wurde. Für viele gilt der Urteilsspruch als politische Geste, um sie für die nächsten Wahlen im kommenden Jahr „auszuschalten“. Auch die christlichen Kirchen im Land haben sich zu dem Fall geäußert, so Bremer.

„Alle großen Kirchen im Land haben das Urteil abgelehnt und kritisiert. Viele Kirchenvertreter sagten, dass sie auch als Privatleute gegen dieses Urteil seien. Es gibt aber auch politische Optionen, die ein wenig mit den Kirchen verbunden werden. So war die griechisch-katholische Kirche, die vor allem in Galizien als im Westen der Ukraine stark ist, immer sehr zurückhaltend gegenüber Moskau. Sie optierte bisher vorwiegend für den Westen. Die ukrainisch-orthodoxe Kirche, die mit dem Moskauer Patriarchat verbunden ist, setzt hingegen mehr auf das russische Element in der ukrainischen Gesellschaft.“

Dennoch setzt Präsident Wiktor Janukowitsch anscheinend auf eine Annährung an die Europäische Union. Ist das nur eine Scheinpolitik? Bremer:

„Das würde ich nicht so unterstellen, dass diese Politik nur ein Manöver ist. Es scheint, dass in der derzeitigen ukrainischen Politik zwei Vektoren zu erkennen sind, die nicht immer ganz eindeutig sind. Janukowitsch verspricht sich von der Annäherung an Europa auch Vorteile wirtschaftlicher Art. Ein wichtiges Thema ist die Frage nach dem Visa-Regime. Ukrainer brauchen momentan ein Visum, wenn sie in die Europäische Union einreisen wollen. Das wird aber im nächsten Jahr mit der Fußballeuropameisterschaft ein Problem, wenn ukrainische Fans in das benachbarte Polen einreisen wollen.“

Es gibt aber auch Anzeichen, dass Janukowitsch Richtung Osten schaut, so Bremer weiter.

„Es gibt sehr eindeutige Stellungnahmen und Akte, die die Annäherung an Russland bezeugen. Am deutlichsten – das hat man schon fast wieder vergessen – hat Janukowitsch am Anfang seiner Amtszeit die Verlängerung der Stationierung der russischen Schwarzmeerflotte auf der Krim beschlossen.“

Und wo steht die Zukunft der Ukraine? Dazu der Osteuropa-Experte Thomas Bremer:

„Das ist sehr schwierig zu sagen. Man sieht nicht einen anderen Kandidaten, der gegen den derzeitigen Präsidenten erfolgreich sein könnte. Diese Option zwischen Ost und West ist nicht nur eine Option zwischen politischen Eliten sondern eine Wahl, die die ganze ukrainische Gesellschaft betrifft. Es ist zu befürchten, dass diese unsicherer Kurs noch einige Zeit anhalten wird.“

Seit 1999 ist Bremer Professor am Institut für Ökumenik und Friedensforschung der Universität Münster. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die christlichen, orthodoxen Kirchen Osteuropas.

(rv 27.10.2011 mg)







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