Papst: „Nein zu Gott ruft neue Formen von Gewalt hervor“
Jede Form von Gewalt
und Terror im Namen einer Religion ist eine Entstellung der Religion. Das hat Papst
Benedikt XVI. im Namen der in Assisi versammelten Religionsvertreter ausgesprochen.
Auch im Namen des christlichen Glaubens, so bekannte der Papst bei der Gelegenheit
erneut, wurde in der Geschichte Gewalt ausgeübt; Benedikt sprach von einer „immer
wieder nötigen Reinigung der gelebten Religion“. Neue Formen von Gewalt schaffe heutzutage
das verbreitete radikale Nein zu Gott. Gerade hier spielten zeitgenössische Agnostiker,
die Benedikt als „Gottsuchende“ bezeichnete, eine wichtige Rolle: Sie könnten die
kämpferischen Atheisten aufrufen, selbst Suchende zu werden.
Drei Jahre nach
dem ersten Weltfriedensgebet in Assisi fiel ohne Blutvergießen die Berliner Mauer.
Leider könne man nicht sagen, dass seither Freiheit und Frieden die Situation prägen.
„Die Welt der Freiheit hat sich weithin als orientierungslos erwiesen,
und sie wird von nicht wenigen auch als Freiheit zur Gewalt missverstanden. Der Unfriede
hat neue und erschreckende Gesichter, und das Ringen um den Frieden muss uns alle
auf neue Weise bedrängen.“
Doch welche Gesichter und welche Ursachen hat
die Gewalt heute? Papst Benedikt machte vor den Religionsvertretern zwei Grundtypen
aus: den Terrorismus einerseits und das kämpferische Nein zu Gott andererseits.
„Da
ist zunächst der Terrorismus, in dem anstelle des großen Krieges gezielte Anschläge
den Gegner an wichtigen Punkten zerstörend treffen sollen, wobei keinerlei Rücksicht
auf unschuldige Menschenleben genommen wird, die dabei auf grausame Weise getötet
oder verletzt werden. Die große Sache der Schädigung des Feindes rechtfertigt in den
Augen der Täter jede Art von Grausamkeit. Alles, was im Völkerrecht als Grenze der
Gewalt gemeinsam anerkannt und sanktioniert worden war, ist außer Kraft gesetzt.“
Leider
werde Terrorismus häufig religiös motiviert, so der Papst weiter. Gerade dieser vorgeblich
religiöse Charakter blutiger Anschläge diene den Terroristen dazu, die Regeln des
Rechts beiseite zu schieben, weil das anvisierte „Gut“ sozusagen höher sei als das
Recht. „Religion dient da nicht dem Frieden, sondern der Rechtfertigung für Gewalt“,
sagte Benedikt sehr deutlich. Und mehr noch:
„Dass hier Religion in der
Tat Gewalt motiviert, muss uns als religiöse Menschen tief beunruhigen. In einer subtileren,
aber immer noch grausamen Weise sehen wir Religion als Ursache von Gewalt auch dort,
wo von Verteidigern einer Religion gegen die anderen Gewalt angewendet wird. Die 1986
in Assisi versammelten Religionsvertreter wollten sagen, und wir wiederholen es mit
Nachdruck und aller Entschiedenheit: Dies ist nicht das wahre Wesen der Religion.
Es ist ihre Entstellung und trägt zu ihrer Zerstörung bei.“
Papst Benedikt
greift nun die Einwände auf, die Religionskritiker erheben: Woher wisst ihr überhaupt,
was das wahre Wesen von Religion ist? und gibt es überhaupt ein gemeinsames Wesen
der Religion, das sich in allen Religionen ausdrückt und daher für alle gültig ist?
Der Papst beantwortet diese Fragen in seiner Rede nicht, präsentiert sie aber gleichsam
den anderen Religionsvertretern, denn „wir müssen uns ihnen stellen, wenn wir realistisch
und glaubhaft dem religiös begründeten Gebrauch von Gewalt entgegentreten wollen.“
Darauf folgt ein explizites Bekenntnis zum interreligiösen Dialog - und ein Schuldeingeständnis
für Verfehlungen der Kirche.
„Als Christ möchte ich an dieser Stelle sagen:
Ja, auch im Namen des christlichen Glaubens ist in der Geschichte Gewalt ausgeübt
worden. Wir bekennen es voller Scham.“
Dies sei ein klarer „Missbrauch
des christlichen Glaubens", der „seinem wahren Wesen offenkundig entgegensteht“, fuhr
der Papst fort.
„Der Gott, dem wir Christen glauben, ist der Schöpfer und
Vater aller Menschen, von dem her alle Menschen Brüder und Schwestern sind und eine
einzige Familie bilden…. Es ist die Aufgabe aller, die für den christlichen Glauben
Verantwortung tragen, die Religion der Christen immer wieder von ihrer inneren Mitte
her zu reinigen, damit sie gegen die Fehlbarkeit des Menschen wirklich Instrument
von Gottes Frieden in der Welt ist.“
Der zweite Grundtypus der Gewalt,
den der Papst in seiner Rede vor den Religionsvertretern skizzierte, ist in seiner
Sicht eine Folge der Ablehnung Gottes.
„Das Nein zu Gott hat Grausamkeiten
und eine Maßlosigkeit der Gewalt hervorgebracht, die erst möglich wurde, weil der
Mensch keinen Maßstab und keinen Richter mehr über sich kennt, sondern nur noch sich
selbst zum Maßstab nimmt. Die Schrecknisse der Konzentrationslager zeigen in aller
Deutlichkeit die Folgen der Abwesenheit Gottes.“
Diese Form von Gewalt
ist in unserer Zeit subtiler als der Terrorismus. Papst Benedikt spricht von einem
lautlosen und umso gefährlicheren „geistigen Klimawechsel“, von einer „Gegenreligionen“.
„Die
Anbetung des Mammon, die Anbetung von Besitz und Macht, erweist sich als eine Gegenreligion,
in der der Mensch nicht mehr zählt, sondern nur der eigene Vorteil. Das Verlangen
nach Glück degeneriert zum Beispiel zur hemmungslosen, unmenschlichen Begierde, wie
sie in der Herrschaft der Droge mit ihren verschiedenen Gestalten erscheint…Die Abwesenheit
Gottes führt zum Verfall des Menschen und der Menschlichkeit.“
Am Ende
seiner Rede holte Papst Benedikt zu einer unerwarteten Würdigung von Agnostikern aus,
also von „Suchenden“: Sie könnten kämpferische Atheisten ihre falsche Gewissheit nehmen,
dass kein Gott sei und sie dazu aufrufen, „statt Kämpfer Suchende zu werden, die die
Hoffnung nicht aufgeben, dass es die Wahrheit gibt und dass wir auf sie hin leben
können und müssen.“ Aber sogar für die Glaubenden seien die Nichtglaubenden eine –
bisher wohl unterschätzte - Gabe, fügte der Papst hinzu.
„Sie rufen aber
auch die Menschen in den Religionen an, Gott nicht als ihr Besitztum anzusehen, das
ihnen gehört, so dass sie sich damit zur Gewalt über andere legitimiert fühlen. Sie
suchen nach der Wahrheit, nach dem wirklichen Gott, dessen Bild in den Religionen,
wie sie nicht selten gelebt werden, vielfach überdeckt ist. Dass sie Gott nicht finden
können, liegt auch an den Gläubigen mit ihrem verkleinerten oder auch verfälschten
Gottesbild. So ist ihr Ringen und Fragen auch ein Anruf an uns Glaubende, an alle
Glaubende, ihren Glauben zu reinigen, damit Gott, der wirkliche Gott zugänglich werde.“
Die
katholische Kirche werde nicht nachlassen, so schloss der Papst, im Kampf gegen die
Gewalt, in ihrem Einsatz für den Frieden in der Welt. „Wir sind von dem gemeinsamen
Wollen beseelt, „Pilger der Wahrheit, Pilger des Friedens“ zu sein.“ (rv 27.10.2011
gs)