2011-10-26 14:16:17

Moralphilosoph Koch: „Praxis des gezielten Tötens senkt international Hemmschwellen“


RealAudioMP3 Die Freude über den Tod von Muammar al-Gaddafi in der internationalen Politik sorgt nicht nur in Kirchenkreisen für Bedenken. Der Vatikan hatte nach der offensichtlichen Exekution des libyschen Diktators unterstrichen, der Tod eines Menschen könne nie Grund zur Freude sein. Zugleich rief der Heilige Stuhl das Land zu Versöhnung und einen friedlichen Übergang auf. Für die christliche Friedensbewegung „Pax Christi“ ist Gaddafis gezielte Tötung Ausdruck einer neuen „Tötungskultur“, die in der internationalen Politik in den vergangenen Jahren Einzug gehalten hat. Bernhard Koch vom Institut für Theologie und Frieden Hamburg (ithf) hat sich aus ethischer Sicht langjährig mit der Frage des gezielten Tötens beschäftigt. Im Interview mit Radio Vatikan gibt er Pax Christi recht.

„Die fortwährende Gewohnheit und Praxis senken Hemmschwellen, auch und gerade bei moralisch unerlaubten Handlungen. Das haben schon Ethiker wie Aristoteles oder Cicero herausgestellt. Mir macht das auch Sorge. Denn die Praxis des gezielten Tötens kann ja so allmählich als Völkergewohnheitsrecht durchgehen. In jedem Fall würden das interessierte Kreise behaupten oder vorbringen.“

Das gezielte Ausschalten möglicher Terroristen sei westlichen Staaten wie den USA seit den Anschlägen des 11. September 2001 nahezu zur Routine geworden. Im Jahr 2010 seien allein in Pakistan zwischen 600 bis 1.000 Menschen durch gezielte Dronen-Angriffe des US-Streitkräfte ums Leben gekommen, berichtet der Experte mit Verweis auf Statistiken der Nicht-Regierungsorganisation „New America Foundation“. Deshalb sei der Ausdruck Tötungskultur „nicht ganz abwegig“, so Koch, der zugleich an die Bedeutung der öffentlichen Bewertungen von Tötungshandlungen verweist. Pax Christi leite den Begriff „Tötungskultur“ nicht primär von der Tötungshandlung selbst ab als vielmehr von der öffentlich geäußerten „Zufriedenheit“ westlicher Spitzenpolitiker wie Barack Obama, Nicolas Sarkozy und David Cameron über die Ermordung von Gaddafi. Diese positive Bewertung von Krieg, Mord und Vertreibung dürfe nicht in eine Rechtfertigung von Gewalt als Mittel der Politik münden, appelliert Ethiker Koch:
„Dass das nicht zu einer Kultur werden darf oder wird, daran müssen wir natürlich auch selbst mitwirken. Wir müssen selber auch versuchen, die Hoheit über die Sprache zu behalten: Wie wird über diese Dinge geredet? Wie werden diese Dinge beurteilt? Insgesamt glaube ich, dass uns gerade die unilaterale Praxis des gezielten Tötens (…) vor Augen führt, dass wir weiter an der Verrechtlichung der internationalen Beziehungen und dem Ausbau eines Weltbürgerrechtes arbeiten müssen, weil ja eine einigermaßen umfassende moralische Legitimation nicht ohne eine gerechtfertigte Rechtslösung entwickelt werden kann.“

Die Kirchen hätten bei dieser Bewusstseinsbildung eine entscheidende Rolle, fährt der Moralphilosoph fort. Die massive mediale Verbreitung von Bildern des toten Gaddafi hatte Erzbischof Robert Zollitsch zum Beispiel als „moralisch inakzeptabel“ verurteilt. Koch lobt im Gespräch mit Radio Vatikan die jüngsten Ausführungen des Papstes zur christlichen Grundlegung des Militärdienstes:

„Ich glaube, es ist gut und wichtig, dass zum Beispiel der Papst darauf hinweist, dass der Soldatenberuf anspruchsvollen moralischen Anforderungen ausgesetzt ist, wenn er in gerechtfertigter Weise ausgeübt werden soll. Und gerade christliche Friedensethik muss den Soldaten als Diener des Friedens verstehen. Das kann man gar nicht oft genug ins Gedächtnis zurückrufen. Die Kirchen haben eine wichtige Rolle in der Sensibilisierung, und dafür muss man dankbar sein.“

(rv 26.10.2011 pr)








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