2011-10-24 14:27:30

Libyen: Kommt die Scharia?


RealAudioMP3 Der Übergangsrat hat nach dem blutigen Ende der Ära Gaddafi die Einführung der Scharia angekündigt. Bei einer Feier zur Befreiung Libyens in Bengasi erklärte der Präsident des Rates, Libyen sei „ein islamisches Land“, und daher werde die Scharia zur Quelle der künftigen Gesetzgebung. Die Europäische Union zeigt sich an diesem Montag besorgt über die Nachricht, sie fordert das neue Libyen zum Respekt der Menschenrechte und der demokratischen Prinzipien auf. Daraufhin schob der Übergangsrat nach, Libyen sei natürlich eine Heimstatt des moderaten Islam, und so werde auch seine Gesetzgebung ausfallen. Giovanni Innocenzo Martinelli ist sozusagen der Bischof von Tripolis; der offizielle Titel des gebürtigen Italieners heißt „Apostolischer Vikar“ der libyschen Hauptstadt. Er gab uns vor der Scharia-Ankündigung seine Einschätzung zum Islam im Land:

„Der Islam wird in Libyen weiter eine wachsende Rolle haben. Ein Islam, der auch die Chance hat, sich zu öffnen, weil er nicht länger von Gaddafi instrumentalisiert wird. Der Islam gehört zur Tradition und zum Zusammenhalt der Libyer, darum ist er gerade jetzt für sie von großer Bedeutung. Er ist das einigende Band, das sehr unterschiedliche Realitäten zwischen Norden und Süden Libyens verklammert. Die Herausforderung wird aus meiner Sicht sein, dass Libyen als geeinter Staat weiter existiert. Zwar wollen alle die Einheit, aber es kommen doch jetzt große Versuchungen auf, sich ein Territorium oder eine Region zu sichern. Ich hoffe, dass die Weisheit und der gute Wille der Libyer sich durchsetzen.“

Über die Art und Weise, wie der frühere Gewaltherrscher Muammar al-Gaddafi hingerichtet worden sei, zeigt sich der Bischof „tief schockiert“. Er habe, wie er einräumt, in den vergangenen Jahrzehnten „nichts von Massengräbern mitbekommen“: „Ich versuchte immer, positiv zu sein und die guten Aspekte zu sehen“, etwa das, was Gaddafi für die Religionsfreiheit getan habe. Jetzt frage er sich aber schon: „Gaddafi predigte den Islam, gleichzeitig gab es Hinrichtungen – wie brachte er das zusammen?“ Zu den Befreiungsfeiern in Libyen sagt Martinelli, dessen Bischofs-Kollege aus Bengasi zum dortigen Festakt eingeladen war:

„Man hat fast neun Monate gebraucht, um zu diesem Ende zu kommen – ich frage mich, ob es nicht auch eine andere Art und Weise dafür gegeben hätte. Immerhin, die Leute sind heute zufrieden, sie haben sich von einem Alptraum befreit... Ich hatte mir einen weniger grausamen Übergang gewünscht. Dieser Krieg hätte doch verhindert werden können, und es ist völlig unverhältnismäßig, mit geballter Militärmacht einem einzelnen Menschen neun Monate lang nachzustellen. Aber ich merke jetzt doch auch, dass die Befreiung für das libysche Volk eine verdiente ist. Diese Menschen haben unter vierzig Jahren Diktatur gelitten!“

Die Christen – es sind meistens Menschen aus dem Ausland, die entweder für Unternehmen in Libyen arbeiten oder aber im Gesundheitswesen – stünden weiterhin „im Dienst des libyschen Volks“, wie Martinelli formuliert.

(rv 24.10.2011 sk)








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