Etwa 100.000 Christen
haben angeblich seit März das Land verlassen. Das schreibt ein Kairoer Dachverband
von ägyptischen Menschenrechtsverbänden an den derzeit herrschenden Militärrat. Der
Verband macht wachsende interreligiöse Spannungen für die Flucht von Christen verantwortlich.
Vor allem die islamistischen Salafiten griffen seit der Februarrevolution immer häufiger
die mehrheitlich koptischen Christen an. Wir sprachen an diesem Dienstag mit dem deutschsprachigen
Seelsorger in Kairo, Joachim Schroedel. Der Priester rät mit Blick auf die angebliche
Zahl flüchtender Christen dazu, „mit Zahlen vorsichtig umzugehen“.
„Die
Zahl 100.000 scheint mir einfach eine Hochrechnung gewesen zu sein. Natürlich gehen
immer wieder, auch schon vor der Revolution, als die Lage sich als relativ schwierig
abzeichnete, Menschen weg aus Ägypten – Christen, aber auch Muslime. Man muss genauer
hinschauen: In Mittelägypten, wo die meisten Auseinandersetzung zu spüren sind wie
etwa vor wenigen Tagen ein Angriff auf eine Kirche, leben arme Leute, die überhaupt
keine Möglichkeit haben, ins Ausland zu verreisen. Dieser Bericht sagt sehr deutlich,
dass es die Elite sei, die gehe. Aber eine Elite von 100.000 innerhalb von einem halben
Jahr sehe ich wirklich nicht!“
An der deutschen Schule der Borromäerinnen
in Kairo studierten viele Mädchen, die aus der in dem Bericht angesprochenen ägyptischen
Elite stammten. Von den 700 Mädchen, die dort unterrichtet würden, seien zum Ende
des letzten Schuljahres im Juli „zwei Familien ins Ausland gegangen“: „Das hat drei
Mädchen betroffen“, so Schroedel. Ein „massenhafter Auszug der Elite“ sei das nicht.
„Ich
möchte aber darauf hinweisen, dass die Situation im Moment generell sehr angespannt
ist. Daher kommen wohl auch die Auseinandersetzungen, die immer wieder mal zwischen
Christen und Muslimen zu verzeichnen sind. Wir sind in einer ganz chaotischen Lage:
Es gibt, wie schon in den letzten Monaten, kaum Polizei, der Verkehr ist völlig ungeregelt,
die Versorgungslage ist manchmal problematisch, manchmal gibt es kein Mehl usw. Hier
müsste die Militärregierung alles tun, damit einigermaßen Ordnung entsteht: Dann wird
auch die Situation aller, der Christen wie der Muslime, einigermaßen stabil werden.“