2011-10-03 12:58:46

Otto von Habsburg - Thronfolger und Visionär


RealAudioMP3 Er war nicht nur der älteste Sohn des letzten Kaisers von Österreich und Ungarn – sondern vor allem mit Leib und Seele Europäer: Otto von Habsburg ist vor drei Monaten mit 98 Jahren gestorben. Wir dokumentieren hier ein Interview mit Otto von Habsburg, das er Aldo Parmeggiani Radio Vatikan anlässlich seines 90. Geburtstags gewährte. Diese Sendung aus der Reihe „Menschen in der Zeit“ ist bei uns auch auf CD erhältlich.
Wäre die Geschichte anders verlaufen, dann wäre Dr. Otto von Habsburg heute Kaiser von Österreich und König von Ungarn. Aber die Geschichte kennt das Wort „wäre“ eben nicht. Otto von Habsburg Lothringen wurde am 20. November 1912 als ältester Sohn des letzten Kaisers von Österreich, Karls des I. in der Villa Wartholz bei Reichenau in Niederösterreich geboren. Schon als junger Akademiker vertrat Otto von Habsburg auf vielen politischen Ebenen den Gedanken einer Einigung Europas auf christlicher Grundlage. Erst im Jahre 1961 verzichtete er offiziell auf seine Thronansprüche. Otto von Habsburg, dem wir für dieses Geburtstagsgespräch herzlich danken, ist Präsident der Paneuropäischen Union und war langjähriges Mitglied des europäischen Parlamentes in Brüssel. Herzlich Willkommen, Herr Dr. von Habsburg.
Ihr Schicksal ist lebendige Geschichte, europäische Geschichte. Was bedeutet es heute, den Namen Habsburg zu tragen?
„Es ist eine Herausforderung an jeden. Wenn man die Geschichte ein bisschen studiert, hat man gesehen, dass das Haus Habsburg speziell seine großen, bedeutenden Figuren tatsächlich in Europa etwas zusammen gehabt hat. Sie haben eine Linie, eine Idee gehabt und da ist es selbstverständlich, dass man das versucht einzubringen und gleichzeitig aber auch schon diese Ideen auf die moderne Zeit einzustellen, denn das ist ja unsere Aufgabe.“
Als ältester Sohn des letzten Kaisers von Österreichs und Königs von Ungarn hätten Sie Anspruch auf die Krone des bedeutendsten europäischen Herrscherhauses gehabt. Es kam aus politischen Gründen nicht dazu. Herr Dr. von Habsburg, wie kann ein so gravierendes Ereignis innerlich überwunden werden.
„Es ist gar nicht schwer, wenn man die Krone als eine Aufgabe sieht. Ich glaube, dass Monarchie und Republiken immer sein werden, dass sie immer wieder wechseln werden – das hängt von der Situation ab. Aber auf der anderen Seite, in meiner Zeit eine andere Aufgabe ist, die wesentlich wichtiger ist, das ist die europäische Einigung herbeizuschaffen und zweitens, in dieser europäischen Einigung einige grundsätzliche Ideen einzubringen. Denn dass dieses Europa, man braucht nur ein bisschen mit unserer Kultur zu tun zu haben, ohne seine christliche Substanz nicht existieren kann, ist vollkommen klar.“
Wir kommen auf das Europa sicher noch zurück. Herr Dr. von Habsburg, gibt es eine Episode in Ihrer Jugend, wo Sie diesen Verzicht besonders gespürt haben?
„Eigentlich wenige. Es ist so langsam gegangen, meine Eltern haben etwas getan, was bei Ihnen zweifelsohne nicht leicht war und was sie mit wirklicher innerer Überzeugung getan haben. Sie haben uns Kinder, wir waren ja immer mehrere, förmlich abgeschirmt gegen die Ereignisse. Ich will Ihnen ein praktisches Beispiel sagen. Damals, im Winter 1918/1919, da waren wir in Ekhardsau. Die Ereignisse vom November 1918 waren vorbei, aber man hat noch nicht gewusst, wohin es geht, es ist eine sehr kritische Zeit gewesen, wir hatten das Land noch nicht verlassen. Da sind einmal ein paar Offiziere zu meinem Vater gekommen, der sie auch dann vor mir beim Essen gehabt hat. Einer von denen hat begonnen, unsagbar gegen die Juden zu schimpfen, weil ja in der österreichischen Regierung damals eine Mehrheit von Juden war. Und da habe ich zum ersten Mal gesehen, wo mein Vater wirklich zornig geworden ist und ihm gesagt hat, er soll davon nicht reden, denn die Juden seien genauso unsere Landsleute, wie es dir anderen sind. Und das sind solche Sachen, die man dann auf das Leben bewahrt.“
Sie haben als bereits 26jähriger Österreich im Jahr 1938 beim Anschluss zum entschlossenen Widerstand gegen die Nazis aufgefordert. Auf was war diese Weitsicht gegründet, sie waren ja auch noch jung?
„Schauen Sie, das war keine Weitsicht. Es war einfach die Tatsache, ich habe in meinem Leben immer sehr viel Glück gehabt. Immer an den interessanten Momenten am richtigen Ort zu sein. Ich habe damals den Vorteil gehabt, dass ich die drei letzten Monate der Weimarer Republik in Berlin miterlebt habe. Ich habe damals an meiner Doktoratsarbeit gearbeitet, an der Dokumentation an der Berliner Universität. Ich habe mich daneben für die Politik interessiert und mit vielen führenden Politikern gesprochen, außer mit Hitler. Der wollte zweimal mit mir sprechen, ich habe das abgelehnt, aus dem praktischen Grund, weil ich das Gefühl hatte, dass Hitler mich nur vor seinen Karren spannen will. Aber ich habe „Mein Kampf“ gelesen. Es war zwar sehr schwer, denn es ist in einem scheußlichen Deutsch geschrieben gewesen, und ich habe immer – das hat mir schon meine Mutter eingebläut – ein Gefühl für Stil und Sprache gehabt. Daher war es für mich nicht leicht, „Mein Kampf“ zu lesen. Aber „Mein Kampf“ war doch alles gesagt, ich meine wenn die Chemberlains und so weitervon damals gelesen hätten, was Hitler gesagt hat, sie wären nie überrascht gewesen, es war ja alles gesagt. Ich habe das erlebt. Ich habe außerdem in der Agonie der Weimarer Republik die Tatsache erlebt, dass das, was man heute immer wieder erzählt, dass die Republik ermordet worden sei, ein absoluter Unsinn ist. Die Republik hat Selbstmord begangen. Wenn damals das katholische Zentrum und die Sozialdemokraten bereit gewesen wären, die Regierung von General Schleicher zu unterstützen, wäre Hitler niemals an die Macht gekommen.“
Wenn man Ihre Biographie liest und ich habe sie mit großem Interesse gelesen, dann bin ich auch noch auf etwas gestoßen. Sie hielten sich in jenen Jahren – 1938 – in Paris auf und hatten dort Anteil an einer Hilfsaktion, bei der rund 10.000 Juden vor dem Zugruf der Deutschen gerettet werden konnten. Was war die Triebfeder zu der für Sie wahrscheinlich lebensgefährlichen Aktion?
„Die Triebfeder war ganz einfach, das waren doch meine Landsleute. Meine Landsleute haben ein Recht darauf, dass ich, der Sohn des Kaisers bzw. Sohn des Königs in Ungarn, mich für ihre Interessen voll und ganz einsetze. Das war so selbstverständlich, da hatte es für mich überhaupt keinen Zweifel gegeben. Diese Leute mussten gerettet werden, denn man genau gewusst, was ihnen passieren wird. Ich möchte das noch einmal sagen: viele Sachen werden mir als Verdienst angerechnet, die kein Verdienst sind, sondern die aus der Tatsache gekommen sind, dass ich immer wieder das Glück gehabt habe, dort zu sein, wo es notwendig war.
Sie waren einer jener Politiker, Herr Dr. von Habsburg, der relativ früh auch das Ende des Kommunismus vorhergesagt haben. Und damit wiederum politische Weitsicht bewiesen haben. Hat Europa diese Chance, die ihm eigentlich unverhofft in den Schoß gefallen war, bisher richtig genutzt?
„Leider nicht. Das ist es genau, Sie haben aber auch schon auf den Grund hingewiesen, die Chance ist unverhofft gekommen. Es hat einen Mann gegeben, der entscheidend gewesen ist, das war Ronald Reagan. Ich habe mit Ronald Reagan gesprochen, lange bevor er Präsident geworden ist. Er war Gouverneur von Kalifornien. Wir haben damals über Russland gesprochen und er hat mir damals gesagt, Russland ist tot – durch den Kommunismus. Es weiß es nur noch nicht. Unsere ganze Aufgabe wird sein, es zu zwingen, noch eine letzte Anstrengung zu machen, dann fällt es um. Und das ist genauso eingetreten, darum sein ganzer, von allen Idioten hier in Europa kritisierter Kampf der Sterne. Das war das einzige Mal, dass ein Rüstungsprogramm zum Frieden und nicht zum Krieg geführt hat. Und außerdem dürfen wir auch etwas zweites nicht vergessen: Wir haben einen heiligen Vater gehabt. Er hat ja bei uns weitgehend unterschätzt, die Wahl des heiligen Vaters in seinem Wirken auf die Kommunisten, auf die Länder, in denen der Kommunismus geherrscht hat. Denn das ist denen wie ein Donnerschlag gewesen, zum einen ein Slave auf dem Thron Petri, zweitens ein Mann, der unter ihnen gelebt hat und sie gekannt hat. Der daher vor ihnen nicht die Angst gehabt hat, die die Westlichen gehabt haben.“
Welche Note würden Sie in diesem Zusammenhang Michail Gorbatschow geben?
„Also ich bin nicht für ihn, aus einem Grund, man ist irgendwo ehrlich. Er ist Kommunist heute, genauso, wie er es war. Er ist hoch intelligent, das ist eine Tatsache, dafür kann man ihn achten. Aber er hat auch alles gemacht, um den Kommunismus zu retten. Er war nur intelligent genug. Wenn das zu Zeiten von Breschnew geschehen wäre, wäre natürlich auch eine größere Schießerei ausgebrochen. Am Schluss wäre der Leidtragende sein eigenes Land gewesen, während dadurch, dass er es verstanden hat, zeitgerecht nachzugeben, außerdem dadurch, dass er die Partnerschaft mit Kohl gefunden hat – der ein ganz unterschätzter und sehr großer Mann war. Er war sozusagen der Dritte im Bund: Reagan, der heilige Vater und Kohl, das waren die, die uns die Freiheit gebracht haben.“
Sie haben politische Ziele und Bestrebungen mit Leidenschaft auf die Einigung Europas gesetzt. Ist ein Teil Ihres Traums schon in Erfüllung gegangen?
„Dass ein Teil meines Traumes noch in der Zukunft liegt, ist vollkommen klar. Ich werde es nicht mehr sehen, aber die Erweiterung kommt, die Erweiterung wird lebenswichtig sein, wir werden unbedingt diese europäische Union zu einer großen europäischen Friedensmacht machen, wir kommen in ein Zeitalter der Supermächte, und in den Supermächten hat Europa eine ganz große Rolle, wenn es auf der Höhe dieser Rolle ist. Ich werde es nicht mehr sehen und die meisten Leute, die heute leben, werden es nicht mehr sehen. Man hat auch, um die Vereinigten Staaten zu schaffen, 200 Jahre gebraucht. Europa muss wachsen wie ein Baum, es darf nicht hergestellt werden wie ein amerikanischer Wolkenkratzer.“
Ebenso haben Sie ein christlich geprägtes Europa, Herr Dr. von Habsburg, zu Ihrem Junktim erhoben. Wie sehen Sie die Chance des Christentums heute? Wir es seine kulturprägende Kraft von einst wieder ins Spiel setzen können oder wird es an Bedeutung verlieren?
„Ich glaube erstens, wir haben alle Chancen, die möglich sind. Wir müssen uns aber einsetzen. Meine Kritik an gewissen offiziellen Seiten des Christentums ist, dass man die Möglichkeiten, die geboten werden, nicht voll ausnutzt. Wir müssen endlich den Mut haben, offener einzutreten. Hierzu möchte ich speziell eine Sache sagen, die für mich eine Herzensangelegenheit ist. In der Vergangenheit war es selbstverständlich, dass man von Gott gesprochen hat. In den islamischen Ländern, mit denen ich mit Freundschaft verbunden bin, wird immer von Gott gesprochen. Kein Mohammedaner würde sich trauen, eine größere Reden anzufangen, ohne zuerst zu sagen: Im Namen Gottes, des Allmächtigen und Barmherzigen. Wer bei uns spricht noch davon? Wir müssen wieder davon sprechen. Wir haben jetzt diese Sache der Tendenz, zum Beispiel das Angelus-Läuten einzustellen, aus Rücksicht auf den Fremdenverkehr. Dabei ist das Angelus-Läuten eines der wichtigsten Zeichen, wie oft würde ich nicht an den Angelus denken, wenn nicht die Glocken läuten würden. Die Wegkreuze, die müssen uns auch wieder einmal an Gott erinnern und diese Wegkreuze fallen langsam weg. Diese äußeren Symbole müssen wir uach wieder größer schreiben und wir müssen uns trauen, auch als christliche Politiker in unseren Reden auch über Gott zu reden. Denn schließlich ist Gott nicht eine Nebensache, sondern eine Hauptsache. Das müssen wir einfach durchsetzen, das hängt von uns ab. Da ist die ganz große Aufgabe der christlichen Laien. Die müssen sich endlich trauen, wesentlich lauter zu sprechen. Sie sollten da beim Islam in die Schule gehen.“
Sie haben als Abgeordneter, als Politiker und als Publizist jahrzehntelang Botschaften an die Menschen gerichtet. Welche Botschaft vermitteln Sie heute zu Ihrem 90. Lebensjahr an sie?
„Also als allererste Aufgabe natürlich, in der europäischen Politik die Erweiterung. Denn wir dürfen nicht vergessen, je weiter es uns gelingt, die Grenzen der Freiheit nach Osten zu verschieben, desto größer wird die Sicherheit des Mittleren und des Westens sein. Aber ganz abgesehen davon ist es auch kulturell von entscheidender Bedeutung, dass wir das weiter hinaus tragen. Wir müssen wieder einen missionarischen Geist haben und nicht ständig zufrieden am Ofen sitzen und uns zu wärmen.“
Wenn wir uns zum Abschluss gemeinsam im Spiegel anschauen, Herr Dr. von Habsburg, wie sieht sich da Otto von Habsburg selbst?
„Sagen wir, ich habe in meinem ganzen Leben vielleicht eines getan, ich bin nie von der Linie abgewichen, die ich gehen sollte, und das ist ein gutes Gefühl. Denn man hat eine Pflicht gegenüber Gott, gegenüber den eigenen Landsleuten. Ich arbeite sehr gerne, ich sehe große Aufgaben für uns und diese Aufgaben machen das Leben wirklich sinnvoll. Ich denke oftmals, wenn ich jetzt 90 Jahre alt werde, wenn ich zurück blicke, hat das ganze einen Sinn gehabt. Und wie wenig Leute haben die Chance, das davon zu sagen. Daher kann man Gott nicht genug dankbar sein, dass er einem einen Sinn gegeben hat.“
(rv 26.09.2011 ap)








All the contents on this site are copyrighted ©.