2011-10-01 11:59:17

Nachlese: Papst Benedikt an Juden und Muslime


RealAudioMP3 Deutliche Worte fanden bei ihren Begegnungen in Berlin sowohl der Papst als auch muslimische und jüdische Gesprächspartner. „Gute Freundschaft muss auch belastbar sein und sogar auch einmal den Gegenwind von gelegentlicher Differenz aushalten“ – das meinte der Präsident des „Zentralrats der Juden“, Dieter Graumann, beim Tete-a-tete mit Benedikt. „Deshalb lassen Sie mich in der gebotenen freundschaftlichen Offenheit auch jene Punkte ansprechen, die uns wirklich weh tun: Das Thema Piusbrüder, die unserer Meinung nach wie vor für Fanatismus, Fundamentalismus, Rassismus, Antisemitismus, ja schlicht für finsterstes Mittelalter und für Unversöhnlichkeit pur stehen, schmerzt uns nach wie vor.“ Dasselbe gelte für das Thema Karfreitagsfürbitte, fügte Graumann hinzu, ohne da weiter ins Detail zu gehen. „Und die in Aussicht genommene Seligsprechung von Papst Pius XII. würde uns, aus unserer Sicht und in unserem Empfinden, weiteren Schmerz und Enttäuschung verursachen.“

Das Heil kommt von den Juden
Doch die katholisch-jüdische Gemengelage besteht in der Ära Benedetto keineswegs nur im Abarbeiten einer Negativliste, auch das wurde in Berlin klar. Der Repräsentant der ca. 110.000 Mitglieder jüdischer Gemeinden in der Bundesrepublik lobte eine entscheidende theologische Feststellung, die der Papst in seinem neuen Jesusbuch getroffen hat: „Ihre Absage an jede Judenmission und Ihre mehr als deutliche Zurückweisung des Jahrhunderte alten Vorwurfes des Gottesmords. Das hat uns allen gut getan. Denn unter dem Vorwand des Gottesmords wurden Juden schließlich jahrhundertelang verfolgt, vertrieben und getötet. Dem haben Sie nun endgültig den Boden entzogen. Es ist daher gut, dass Sie so klare Worte hier gefunden haben.“ Auch der Papst selbst liess keinen Zweifel daran, wie nahe er sich den jüdischen Brüdern in theologischer Hinsicht fühlt: „Für Christen kann es keinen Bruch im Heilsgeschehen geben. Das Heil kommt nun einmal von den Juden (vgl. Joh 4,22)“ – das steht zwar im Johannesevangelium so, doch hat es nicht oft ein römischer Pontifex so klar ausgesprochen.

Auch „Professor Papst“ hatte offenbar bei der Vorbereitung seiner Rede noch einmal in seinen bislang zwei Büchern über Jesus von Nazareth geblättert: Nein, der „Konflikt Jesu mit dem Judentum seiner Zeit“ habe keine „Loslösung“ vom alten Bund bedeutet, und nein, Jesus sei es nicht um eine Distanzierung von der Tora gegangen. „Tatsächlich hebt die Bergpredigt das mosaische Gesetz nicht auf, sondern enthüllt seine verborgenen Möglichkeiten und läßt neue Ansprüche hervortreten. Sie verweist uns auf den tiefsten Grund menschlichen Tuns, das Herz, wo der Mensch zwischen dem Reinen und dem Unreinen wählt, wo sich Glaube, Hoffnung und Liebe entfalten.“ Jesus setzt also die Tora nicht außer Kraft, sondern baut auf ihr auf und verkörpert sie gleichsam, so hatte Benedikt das in seinem ersten Jesusbuch ausgeführt. Schade nur, so meinte er nun in Berlin, dass jüdische und christliche Deutung des Ersten Testaments in so vielen Punkten auseinanderlaufen, ohne sich wirklich gegenseitig zu inspirieren. „Wir erkennen es nach Jahrhunderten des Gegeneinanders als unsere heutige Aufgabe, dass diese beiden Weisen der Schriftlektüre – die christliche und die jüdische – miteinander in Dialog treten müssen, um Gottes Willen und Wort recht zu verstehen.“

Auch um die Schoah ging es in Berlin. Als Benedikt XVI. im Mai 2006 auf einer Reise durch Polen das Gelände des früheren Vernichtungslagers Auschwitz besuchte, da hatte er die Nazis als ein Regime dargestellt, die durch die Vernichtung der Juden letztlich Gott töten wollten. „Mit dem Zerstören Israels“, so der Papst damals wörtlich, „sollte im letzten auch die Wurzel ausgerissen werden, auf der der christliche Glaube beruht“. Das hatte damals zu einer Kontroverse geführt. Bei seiner Begegnung mit Juden in Berlin ging der Papst diesem Punkt noch einmal nach, weil er ihm: „Die nationalsozialistische Schreckensherrschaft gründete auf einem rassistischen Mythos, zu dem die Ablehnung des Gottes Abrahams, Isaaks und Jakobs, des Gottes Jesu Christi und der an ihn glaubenden Menschen gehörte. Der „allmächtige“ Adolf Hitler war ein heidnisches Idol, das Ersatz sein wollte für den biblischen Gott, den Schöpfer und Vater aller Menschen.“ Mit der Verweigerung der Achtung vor diesem einen Gott gehe immer auch die Achtung vor der Würde des Menschen verloren, mahnte der Papst. „Wozu der Mensch, der Gott ablehnt, fähig ist, und welches Gesicht ein Volk im Nein zu diesem Gott haben kann, haben die schrecklichen Bilder aus den Konzentrationslagern bei Kriegsende gezeigt.“

Erbarmen und Liebe im Islam
Nein, keine Regensburger Rede auf dieser Reise – aber eine Vorlesung gab es dann doch. Sie kam aber nicht von Benedikt selbst, sondern von einem muslimischen Professor: Mouhanad Khordiche, Lehrstuhl für islamische Religionspädagogik an der Uni Münster. Der Professor, einer der ersten seiner Art in Deutschland, hielt dem Papst in Berlin eine Vorlesung über das Kriterium der Liebe und Barmherzigkeit im Islam: „Die im Koran am häufigsten vorkommende Eigenschaft Gottes ist die Bezeichnung ar-Rahman bzw. ar-Rahim, zu Deutsch der Allerbarmer, der Barmherzige.“ Khordiche griff damit eine Dialoglinie auf, die etwa 140 islamische Rechtsgelehrte vor ein paar Jahren in einem Brief an den Papst skizziert hatten: Muslimisch-christliches Gespräch über die Liebe, und wie zentral sie in der jeweiligen Religion ist. „Das im Jahre 2008 ins Leben gerufene katholisch-muslimische Forum betont die Liebe zu Gott und zum Nächsten als das zentral Verbindende zwischen Islam und Christentum.“

Zum Beweis führte der Islamgelehrte eine Erzählung des Propheten Mohammed an, die tatsächlich stark an das Matthäus-Evangelium erinnert: „Im Jenseits wird Gott einen Mann fragen: ‚Ich war krank und du hast mich nicht besucht, ich war hungrig und du hast mir nichts zu essen gegeben und ich war durstig und du hast mir nichts zu trinken gegeben‘, der Mann wird daraufhin erstaunt fragen: ‚Aber du bist Gott, wie kannst du krank, durstig, oder hungrig sein?‘, da wird ihm Gott antworten: An jenem Tag war ein Bekannter von dir krank und du hast ihn nicht besucht. Hättest du ihn besucht, hättest du mich dort bei ihm gefunden.“ In seiner Rede von Regensburg hatte Benedikt eigentlich dringende Anfragen in Sachen Gewaltbereitschaft an den Islam gestellt. Aber Gesprächsparter aus der muslimischen Welt wollten offenbar zuerst über die Liebe als zentrales Postulat beider Religionen reden, und dieser Dialog ist im Vatikan – beim Rat für das interreligiöse Gespräch – schon in Gang gekommen. Wobei es viele überrascht hat, dass gerade unter dem Regensburg-Papst der Austausch zwischen beiden Credos derart Fahrt aufgenommen hat. „Gott, christlich gesprochen, als die Liebe und islamisch gesprochen als die Barmherzigkeit, offenbart sich also in der erfahrbaren und gelebten Liebe und Barmherzigkeit hier und jetzt in dieser Welt… Liebe und Barmherzigkeit sind daher das Kriterium, das wir Muslime und Christen miteinander teilen.“

Zur Situation in Deutschland
Benedikt XVI. griff in seiner Ansprache von Berlin diese Vorlage aber nicht direkt auf; stattdessen schien er an die berühmte Formulierung des deutschen Bundespräsidenten Christian Wulff zu denken, dass der Islam mittlerweile zu Deutschland gehöre. Benedikt fasste das merklich zurückhaltender: „Die Anwesenheit zahlreicher muslimischer Familien ist seit den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zunehmend ein Merkmal dieses Landes geworden. Allerdings wird es notwendig sein, beständig daran zu arbeiten, sich gegenseitig besser kennenzulernen und zu verstehen.“ Muslime in Deutschland hätten ein Recht darauf, ihren Glauben auch öffentlich zu leben, unterstrich der Papst: „Das wird zuweilen als Provokation aufgefaßt…“, und trotzdem, die Kirche unterstütze den Wunsch der Muslime nach der „öffentlichen Dimension der Religionszugehörigkeit“. Allerdings müssten auch sie ihre Kritiker respektieren – und zwar, so der Papst ausdrücklich, auf dem Boden des Grundgesetzes, das einen Grundkonsens in einigen fundamentalen Werten vorgebe. „Dieses Einvernehmen schränkt den Ausdruck der verschiedenen Religionen nicht ein; im Gegenteil erlaubt es jedem Menschen, konstruktiv zu bezeugen, woran er glaubt, ohne sich dem Vergleich mit dem anderen zu entziehen.“

Überraschend ausführlich legte Benedikt XVI. dar, dass die Formulierungen des Grundgesetzes aus seiner Sicht auch sechzig Jahre nach ihrer Entstehung in einer stark veränderten Republik nicht an Gültigkeit eingebüsst haben. „Der gemeinsame Grund wurde in der Anerkennung einiger unveräußerlicher Rechte gefunden, die der menschlichen Natur eigen sind und jeder positiven Formulierung vorausgehen. In dieser Weise legte eine im wesentlichen homogene Gesellschaft das Fundament, das wir heute als gültig für eine vom Pluralismus geprägte Welt ansehen.“ Ein Fundament, das in Wirklichkeit auch einem solchen Pluralismus seine offensichtlichen Grenzen zeige, so der Papst: „Es ist nämlich nicht denkbar, dass eine Gesellschaft sich auf lange Sicht ohne einen Konsens über die grundlegenden ethischen Werte halten kann.“

Und genau hier sah der Papst ganz praktische Möglichkeiten für eine, wie er sagte, „fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Christen und Muslimen“: „Als Menschen des Glaubens können wir, von unseren jeweiligen Überzeugungen ausgehend, ein wichtiges Zeugnis in vielen entscheidenden Bereichen des gesellschaftlichen Lebens geben. Ich denke hier z. B. an den Schutz der Familie auf der Grundlage der Ehegemeinschaft, an die Ehrfurcht vor dem Leben in jeder Phase seines natürlichen Verlaufs oder an die Förderung einer größeren sozialen Gerechtigkeit.“

Gemeinsames Eintreten
Auffallend war schon, dass der Papst Christen und Muslime in der deutschen Gesellschaft zum gemeinsamen Eintreten für ihre Werte ermunterte – schliesslich bedauerte er kurz darauf beim Treffen mit Lutheranern in Erfurt, dass Katholiken und Protestanten häufig nicht zu übereinstimmenden ethischen Stellungnahmen finden. Und nur Stunden vor der Begegnung mit Muslimen war Benedikt nicht direkt auf das Ansinnen des Zentralrats der Juden eingegangen, doch mal öfter gemeinsame Statements abzugeben.

Fazit von Berlin: Benedikt XVI. setzt im Verhältnis zum Judentum vor allem auf das theologische Gespräch. Mit den Muslimen hingegen wünscht er sich häufigere Allianzen für Ehe, Familie, Lebensschutz – wie das der Vatikan mit mehrheitlich islamischen Staaten schon seit etwa zehn Jahren auf internationaler Ebene immer wieder praktiziert. In die Sarrazin-Debatte hat sich das Oberhaupt der katholischen Kirche (natürlich) nicht hineinziehen lassen. Aber immer, wenn es um das Bekenntnis zum Grundgesetz ging, hat der deutsche Papst „Wir“ gesagt, sich selbst also mit eingeschlossen.

(rv 01.10.2011 sk)








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