Deutliche Worte fanden
bei ihren Begegnungen in Berlin sowohl der Papst als auch muslimische und jüdische
Gesprächspartner. „Gute Freundschaft muss auch belastbar sein und sogar auch einmal
den Gegenwind von gelegentlicher Differenz aushalten“ – das meinte der Präsident des
„Zentralrats der Juden“, Dieter Graumann, beim Tete-a-tete mit Benedikt. „Deshalb
lassen Sie mich in der gebotenen freundschaftlichen Offenheit auch jene Punkte ansprechen,
die uns wirklich weh tun: Das Thema Piusbrüder, die unserer Meinung nach wie vor für
Fanatismus, Fundamentalismus, Rassismus, Antisemitismus, ja schlicht für finsterstes
Mittelalter und für Unversöhnlichkeit pur stehen, schmerzt uns nach wie vor.“ Dasselbe
gelte für das Thema Karfreitagsfürbitte, fügte Graumann hinzu, ohne da weiter ins
Detail zu gehen. „Und die in Aussicht genommene Seligsprechung von Papst Pius XII.
würde uns, aus unserer Sicht und in unserem Empfinden, weiteren Schmerz und Enttäuschung
verursachen.“
Das Heil kommt von den Juden Doch die katholisch-jüdische
Gemengelage besteht in der Ära Benedetto keineswegs nur im Abarbeiten einer Negativliste,
auch das wurde in Berlin klar. Der Repräsentant der ca. 110.000 Mitglieder jüdischer
Gemeinden in der Bundesrepublik lobte eine entscheidende theologische Feststellung,
die der Papst in seinem neuen Jesusbuch getroffen hat: „Ihre Absage an jede Judenmission
und Ihre mehr als deutliche Zurückweisung des Jahrhunderte alten Vorwurfes des Gottesmords.
Das hat uns allen gut getan. Denn unter dem Vorwand des Gottesmords wurden Juden schließlich
jahrhundertelang verfolgt, vertrieben und getötet. Dem haben Sie nun endgültig den
Boden entzogen. Es ist daher gut, dass Sie so klare Worte hier gefunden haben.“ Auch
der Papst selbst liess keinen Zweifel daran, wie nahe er sich den jüdischen Brüdern
in theologischer Hinsicht fühlt: „Für Christen kann es keinen Bruch im Heilsgeschehen
geben. Das Heil kommt nun einmal von den Juden (vgl. Joh 4,22)“ – das steht zwar im
Johannesevangelium so, doch hat es nicht oft ein römischer Pontifex so klar ausgesprochen.
Auch „Professor Papst“ hatte offenbar bei der Vorbereitung seiner Rede noch
einmal in seinen bislang zwei Büchern über Jesus von Nazareth geblättert: Nein, der
„Konflikt Jesu mit dem Judentum seiner Zeit“ habe keine „Loslösung“ vom alten Bund
bedeutet, und nein, Jesus sei es nicht um eine Distanzierung von der Tora gegangen.
„Tatsächlich hebt die Bergpredigt das mosaische Gesetz nicht auf, sondern enthüllt
seine verborgenen Möglichkeiten und läßt neue Ansprüche hervortreten. Sie verweist
uns auf den tiefsten Grund menschlichen Tuns, das Herz, wo der Mensch zwischen dem
Reinen und dem Unreinen wählt, wo sich Glaube, Hoffnung und Liebe entfalten.“ Jesus
setzt also die Tora nicht außer Kraft, sondern baut auf ihr auf und verkörpert sie
gleichsam, so hatte Benedikt das in seinem ersten Jesusbuch ausgeführt. Schade nur,
so meinte er nun in Berlin, dass jüdische und christliche Deutung des Ersten Testaments
in so vielen Punkten auseinanderlaufen, ohne sich wirklich gegenseitig zu inspirieren.
„Wir erkennen es nach Jahrhunderten des Gegeneinanders als unsere heutige Aufgabe,
dass diese beiden Weisen der Schriftlektüre – die christliche und die jüdische – miteinander
in Dialog treten müssen, um Gottes Willen und Wort recht zu verstehen.“
Auch
um die Schoah ging es in Berlin. Als Benedikt XVI. im Mai 2006 auf einer Reise durch
Polen das Gelände des früheren Vernichtungslagers Auschwitz besuchte, da hatte er
die Nazis als ein Regime dargestellt, die durch die Vernichtung der Juden letztlich
Gott töten wollten. „Mit dem Zerstören Israels“, so der Papst damals wörtlich, „sollte
im letzten auch die Wurzel ausgerissen werden, auf der der christliche Glaube beruht“.
Das hatte damals zu einer Kontroverse geführt. Bei seiner Begegnung mit Juden in Berlin
ging der Papst diesem Punkt noch einmal nach, weil er ihm: „Die nationalsozialistische
Schreckensherrschaft gründete auf einem rassistischen Mythos, zu dem die Ablehnung
des Gottes Abrahams, Isaaks und Jakobs, des Gottes Jesu Christi und der an ihn glaubenden
Menschen gehörte. Der „allmächtige“ Adolf Hitler war ein heidnisches Idol, das Ersatz
sein wollte für den biblischen Gott, den Schöpfer und Vater aller Menschen.“ Mit der
Verweigerung der Achtung vor diesem einen Gott gehe immer auch die Achtung vor der
Würde des Menschen verloren, mahnte der Papst. „Wozu der Mensch, der Gott ablehnt,
fähig ist, und welches Gesicht ein Volk im Nein zu diesem Gott haben kann, haben die
schrecklichen Bilder aus den Konzentrationslagern bei Kriegsende gezeigt.“
Erbarmen
und Liebe im Islam Nein, keine Regensburger Rede auf dieser Reise – aber
eine Vorlesung gab es dann doch. Sie kam aber nicht von Benedikt selbst, sondern von
einem muslimischen Professor: Mouhanad Khordiche, Lehrstuhl für islamische Religionspädagogik
an der Uni Münster. Der Professor, einer der ersten seiner Art in Deutschland, hielt
dem Papst in Berlin eine Vorlesung über das Kriterium der Liebe und Barmherzigkeit
im Islam: „Die im Koran am häufigsten vorkommende Eigenschaft Gottes ist die Bezeichnung
ar-Rahman bzw. ar-Rahim, zu Deutsch der Allerbarmer, der Barmherzige.“ Khordiche griff
damit eine Dialoglinie auf, die etwa 140 islamische Rechtsgelehrte vor ein paar Jahren
in einem Brief an den Papst skizziert hatten: Muslimisch-christliches Gespräch über
die Liebe, und wie zentral sie in der jeweiligen Religion ist. „Das im Jahre 2008
ins Leben gerufene katholisch-muslimische Forum betont die Liebe zu Gott und zum Nächsten
als das zentral Verbindende zwischen Islam und Christentum.“
Zum Beweis führte
der Islamgelehrte eine Erzählung des Propheten Mohammed an, die tatsächlich stark
an das Matthäus-Evangelium erinnert: „Im Jenseits wird Gott einen Mann fragen: ‚Ich
war krank und du hast mich nicht besucht, ich war hungrig und du hast mir nichts zu
essen gegeben und ich war durstig und du hast mir nichts zu trinken gegeben‘, der
Mann wird daraufhin erstaunt fragen: ‚Aber du bist Gott, wie kannst du krank, durstig,
oder hungrig sein?‘, da wird ihm Gott antworten: An jenem Tag war ein Bekannter von
dir krank und du hast ihn nicht besucht. Hättest du ihn besucht, hättest du mich dort
bei ihm gefunden.“ In seiner Rede von Regensburg hatte Benedikt eigentlich dringende
Anfragen in Sachen Gewaltbereitschaft an den Islam gestellt. Aber Gesprächsparter
aus der muslimischen Welt wollten offenbar zuerst über die Liebe als zentrales Postulat
beider Religionen reden, und dieser Dialog ist im Vatikan – beim Rat für das interreligiöse
Gespräch – schon in Gang gekommen. Wobei es viele überrascht hat, dass gerade unter
dem Regensburg-Papst der Austausch zwischen beiden Credos derart Fahrt aufgenommen
hat. „Gott, christlich gesprochen, als die Liebe und islamisch gesprochen als die
Barmherzigkeit, offenbart sich also in der erfahrbaren und gelebten Liebe und Barmherzigkeit
hier und jetzt in dieser Welt… Liebe und Barmherzigkeit sind daher das Kriterium,
das wir Muslime und Christen miteinander teilen.“
Zur Situation in Deutschland Benedikt
XVI. griff in seiner Ansprache von Berlin diese Vorlage aber nicht direkt auf; stattdessen
schien er an die berühmte Formulierung des deutschen Bundespräsidenten Christian Wulff
zu denken, dass der Islam mittlerweile zu Deutschland gehöre. Benedikt fasste das
merklich zurückhaltender: „Die Anwesenheit zahlreicher muslimischer Familien ist seit
den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zunehmend ein Merkmal dieses Landes geworden.
Allerdings wird es notwendig sein, beständig daran zu arbeiten, sich gegenseitig besser
kennenzulernen und zu verstehen.“ Muslime in Deutschland hätten ein Recht darauf,
ihren Glauben auch öffentlich zu leben, unterstrich der Papst: „Das wird zuweilen
als Provokation aufgefaßt…“, und trotzdem, die Kirche unterstütze den Wunsch der Muslime
nach der „öffentlichen Dimension der Religionszugehörigkeit“. Allerdings müssten auch
sie ihre Kritiker respektieren – und zwar, so der Papst ausdrücklich, auf dem Boden
des Grundgesetzes, das einen Grundkonsens in einigen fundamentalen Werten vorgebe.
„Dieses Einvernehmen schränkt den Ausdruck der verschiedenen Religionen nicht ein;
im Gegenteil erlaubt es jedem Menschen, konstruktiv zu bezeugen, woran er glaubt,
ohne sich dem Vergleich mit dem anderen zu entziehen.“
Überraschend ausführlich
legte Benedikt XVI. dar, dass die Formulierungen des Grundgesetzes aus seiner Sicht
auch sechzig Jahre nach ihrer Entstehung in einer stark veränderten Republik nicht
an Gültigkeit eingebüsst haben. „Der gemeinsame Grund wurde in der Anerkennung einiger
unveräußerlicher Rechte gefunden, die der menschlichen Natur eigen sind und jeder
positiven Formulierung vorausgehen. In dieser Weise legte eine im wesentlichen homogene
Gesellschaft das Fundament, das wir heute als gültig für eine vom Pluralismus geprägte
Welt ansehen.“ Ein Fundament, das in Wirklichkeit auch einem solchen Pluralismus seine
offensichtlichen Grenzen zeige, so der Papst: „Es ist nämlich nicht denkbar, dass
eine Gesellschaft sich auf lange Sicht ohne einen Konsens über die grundlegenden ethischen
Werte halten kann.“
Und genau hier sah der Papst ganz praktische Möglichkeiten
für eine, wie er sagte, „fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Christen und Muslimen“:
„Als Menschen des Glaubens können wir, von unseren jeweiligen Überzeugungen ausgehend,
ein wichtiges Zeugnis in vielen entscheidenden Bereichen des gesellschaftlichen Lebens
geben. Ich denke hier z. B. an den Schutz der Familie auf der Grundlage der Ehegemeinschaft,
an die Ehrfurcht vor dem Leben in jeder Phase seines natürlichen Verlaufs oder an
die Förderung einer größeren sozialen Gerechtigkeit.“
Gemeinsames Eintreten Auffallend
war schon, dass der Papst Christen und Muslime in der deutschen Gesellschaft zum gemeinsamen
Eintreten für ihre Werte ermunterte – schliesslich bedauerte er kurz darauf beim Treffen
mit Lutheranern in Erfurt, dass Katholiken und Protestanten häufig nicht zu übereinstimmenden
ethischen Stellungnahmen finden. Und nur Stunden vor der Begegnung mit Muslimen war
Benedikt nicht direkt auf das Ansinnen des Zentralrats der Juden eingegangen, doch
mal öfter gemeinsame Statements abzugeben.
Fazit von Berlin: Benedikt XVI.
setzt im Verhältnis zum Judentum vor allem auf das theologische Gespräch. Mit den
Muslimen hingegen wünscht er sich häufigere Allianzen für Ehe, Familie, Lebensschutz
– wie das der Vatikan mit mehrheitlich islamischen Staaten schon seit etwa zehn Jahren
auf internationaler Ebene immer wieder praktiziert. In die Sarrazin-Debatte hat sich
das Oberhaupt der katholischen Kirche (natürlich) nicht hineinziehen lassen. Aber
immer, wenn es um das Bekenntnis zum Grundgesetz ging, hat der deutsche Papst „Wir“
gesagt, sich selbst also mit eingeschlossen.