2011-09-30 14:07:14

Nachlese Papstreise: Die deutsche Kirche


RealAudioMP3 Für die Ökumene hatte er, wie er selber sagte, keine Gastgeschenke mitgebracht. Aber für seine eigene Kirche schon: Benedikt XVI. hinterließ der deutschen katholischen Kirche, aus der er kommt, einen ganzen Packen von Ratschlägen, Kritiken und Ermutigungen. Das Paket wird zusammengehalten von einem Faden namens „Entweltlichung“. Nicht alle sind begeistert von diesem Gastgeschenk des Papstes – aber wie sagt der Geistliche und Vatikanberater Wilhelm Imkamp aus dem Bistum Augsburg: „Der Papst ist ja nicht der Aushilfskellner, der für einen Lieferservice Bestellungen abarbeitet. Und zweitens sind geteilte Reaktionen eigentlich positiv: Das Schlimmste, was dem Papst und der Kirche überhaupt passieren kann, ist, dass ihre Worte und ihre Botschaft im Zeitgeistlob ersäuft werden und sozusagen zu Tode gelobt werden“ (in einem Interview mit dem Domradio Köln). Der Papst und seine deutsche Kirche: Machen wir das Paket mal auf, und schauen wir hinein.

Verfremdung
„Der Fremde“, hatte die Wochenzeitschrift „Der Spiegel“ getitelt in der Woche, als der Papst nach Hause kam. Und wirklich: Auch Benedikt selbst greift – nach über einem Vierteljahrhundert im fernen Rom – gern zum Stilmittel der Verfremdung, wenn er auf die deutsche Kirche blickt. Vor fünf Jahren beim Besuch in München bemühte er in seiner Predigt Bischöfe aus den Entwicklungsländern, und was die ihm über die deutsche Kirche erzählten. Diesmal, in Freiburg, ließ er gedanklich Kirchenleute aus Afrika, Asien oder Lateinamerika in Deutschland einfliegen. „Experten aus einem fernen Land würden sich aufmachen, um eine Woche bei einer deutschen Durchschnittsfamilie zu leben. Sie würden vieles hier bewundern, z. B. den Wohlstand, die Ordnung und die Effizienz. Aber sie würden mit unvoreingenommenen Blick auch viel Armut feststellen: Armut, was die menschlichen Beziehungen betrifft, und Armut im religiösen Bereich“ (Ansprache an das ZdK).
Der Verfremdungs-Trick hat Methode: Benedikt geht es darum, den starren Blick der deutschen Kirche auf sich selbst und ihre Probleme zu lockern. Er will seine Heimatkirche ins Weite ziehen, in das große Rund der Weltkirche, so wie er es als oberster Schäfer immer wieder erlebt: Ein Blick über den Tellerrand, das Aufbrechen der Selbstvernarrtheit. Die deutsche Kirche, so meint Benedikt, kreist zu sehr um sich selbst. Er fordert ihre Öffnung zur Welt.
„Die Kirche in Deutschland wird für die weltweite katholische Gemeinschaft weiterhin ein Segen sein, wenn sie treu mit den Nachfolgern des heiligen Petrus und der Apostel verbunden bleibt, die Zusammenarbeit mit den Missionsländern in vielfältiger Weise pflegt und sich dabei auch von der Glaubensfreude der jungen Kirchen anstecken lässt“ (Predigt in Freiburg).


Einheit mit Rom, Einheit mit der Weltkirche
Sich nicht selbst für den Nabel der Welt oder der Weltkirche zu halten – das rät der Papst der deutschen Kirche. Von anderen lernen, nicht nur Schecks in die Dritte Welt schicken, sondern neugierig sein auf den Rest der Weltkirche. Immer wieder er Benedikt eindringlich, auch abweichend vom vorbereiteten Redetext, zur Einheit mit Rom und mit der Weltkirche auf. „Kirche sind wir nicht allein, sondern nur gemeinsam“, ist sein Mantra. „Wenn wir uns dem ganzen Glauben in der ganzen Geschichte und dessen Bezeugung in der ganzen Kirche öffnen, dann hat der katholische Glaube auch als öffentliche Kraft in Deutschland Zukunft“ (Predigt in Erfurt). Dabei spielt der Papst sogar ironisch mit dem Namen der kirchenkritischen deutschen Gruppe „Wir sind Kirche“: „Wenn wir sagen: „Wir sind Kirche“ – ja, es ist wahr: Wir sind es, nicht irgend jemand. Aber das „Wir“ ist weiter als die Gruppe, die das gerade sagt. Das „Wir“ ist die ganze Gemeinschaft der Gläubigen, heute und aller Orten und Zeiten“ (an Seminaristen in Erfurt).

Entweltlichung
Offenheit zur Welt, Offenheit zur Weltkirche hin – das ist das eine. Entweltlichung – das ist das andere Stichwort der Papstreden an seine deutsche Kirche. Wie passt das zusammen? Ganz eindeutig: Benedikt sieht die deutsche Kirche sehr gut (fast zu gut) organisiert, aber nicht entsprechend glaubensstark.
„Ehrlicherweise müssen wir doch sagen, dass es bei uns einen Überhang an Strukturen gegenüber dem Geist gibt. Ich füge hinzu: Die eigentliche Krise der Kirche in der westlichen Welt ist eine Krise des Glaubens“ (an das ZdK).
Das ist, wie gleich gesagt werden muss, nichts Neues aus dem Mund Joseph Ratzingers; schon in den sechziger Jahren, kurz nach dem Konzil, ließ sich der damalige Theologieprofessor mit ähnlichen Mahnungen vernehmen.

Warnung vor Selbstzufriedenheit
Dass die Kirche nicht zu eng mit dem Staat verbandelt wirkt, weil das sonst ihr manchmal sperriges Zeugnis in der deutschen Öffentlichkeit schwächt – das war für Kardinal Ratzinger in den 90er Jahren das Argument, die deutsche Kirche zum Ausstieg aus dem staatlichen System der Schwangerenberatung zu drängen. Und auch heute glauben Gegner der deutschen Kirchensteuer, dass der Papst insgeheim so denkt wie sie. Wie auch immer – die Diagnose Benedikts des „Fremden“ muss man zuerst mal anhören und in ihrem Ernst aushalten: „dass die Kirche zufrieden wird mit sich selbst, sich in dieser Welt einrichtet, selbstgenügsam ist und sich den Maßstäben der Welt angleicht. Sie gibt nicht selten Organisation und Institutionalisierung größeres Gewicht als ihrer Berufung zu der Offenheit auf Gott hin, zur Öffnung der Welt auf den Anderen hin“ (im Konzerthaus in Freiburg).
Eine solche selbstzufriedene Kirche lässt nicht mehr Gott durchscheinen, sondern verdunkelt ihn eher, fürchtet Benedikt XVI. Und darum schreibt er den deutschen Katholiken „drastische Worte“ Jesu ins Stammbuch: „Zöllner und Dirnen gelangen eher in das Reich Gottes als ihr“ (Mt 21,31). Ein Bibelzitat, das er in die heutige Zeit hinein so übersetzt:
„Agnostiker, die von der Frage nach Gott umgetrieben werden; Menschen, die unter unserer Sünde leiden und Sehnsucht nach dem reinen Herzen haben, sind näher am Reich Gottes als kirchliche Routiniers, die in ihr nur noch den Apparat sehen, ohne dass ihr Herz vom Glauben berührt wäre“ (Predigt in Freiburg).
Aber was heißt das jetzt alles? Gibt es in Deutschland zu viele kirchliche Gremien, oder sind die Bischöfe etwa nicht fromm genug? Wer genauer hinschaut, der findet in Benedikts verbalem Gastgeschenk immer wieder auch die Mahnung, es sich nicht zu einfach zu machen. Er will gerade nicht Munition für weiteren Zwist innerhalb der deutschen Kirche liefern oder anklagend auf die Hierarchen zeigen. Bei aller deutlichen Kritik an der Glaubensvergessenheit betont der Papst:
„Dies bedeutet aber wahrhaftig nicht, dass nun alle, die in der Kirche leben und für sie arbeiten, eher als fern von Jesus und Gottes Reich einzustufen wären. Ganz und gar nicht!“ (Predigt in Freiburg)
Ja, er dankt mehrmals den kirchlichen Hilfswerken – und die gehören ja schließlich auch zu den ansonsten kritisch beobachteten Strukturen.

Vor allem aber gilt Benedikts Bitte um Demut auch jenen, die sich in innerkirchlichen Debatten in Deutschland auf ihn, den Papst, berufen. „Demut ist eine Tugend, die in der Welt von heute nicht hoch im Kurs steht. Aber die Jünger des Herrn wissen, daß diese Tugend gleichsam das Öl ist, das Gesprächsprozesse fruchtbar, Zusammenarbeit einfach und Einheit herzlich macht. Humilitas, das lateinische Wort für Demut, hat mit Humus, Erdnähe zu tun. Demütige Menschen stehen mit beiden Beinen auf der Erde. Vor allem aber hören sie auf Christus, auf Gottes Wort, das die Kirche und jedes Glied in ihr unaufhörlich erneuert“ (Predigt in Freiburg). Die Rufe des Papstes nach innerer Einheit in der deutschen Kirche sind auf alle gemünzt: auch auf diejenigen, die sich auf den Papst berufen, dabei aber den Streit mit der Bischofskonferenz suchen.

„Entweltlichung“
Offenheit zur Weltkirche, hatten wir gesagt. Und, gleichzeitig, „Entweltlichung“, Entschlackung der deutschen Kirche: Abwerfen von Ballast, der ihr Zeugnis in der Gesellschaft uneindeutiger macht. Benedikt drückt den „reset“-Knopf der deutschen Kirche. Er könne zwar verstehen, dass Menschen, die aus der Nähe von kirchlichen Missbrauchsskandalen betroffen seien, daran dächten, aus der Kirche auszutreten – das sagte der Papst schon im Anflug auf Deutschland. Aber er bitte doch alle eindringlich, mal zu überlegen, ob sie in der Kirche nur wie in irgendeinem „Kulturverein“ seien. Oder ob die Zugehörigkeit zur Kirche nicht eher etwas ist, was „den Grund ihres Seins berührt“.
„Im Gleichnis vom Weinstock sagt Jesus nicht: „Ihr seid der Weinstock“, sondern: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben“ (Joh 15,5). Das heißt: „So wie die Rebzweige mit dem Weinstock verbunden sind, so gehört ihr zu mir! Indem ihr aber zu mir gehört, gehört ihr auch zueinander. Und dieses Zueinander- und Zu-ihm-Gehören ist nicht irgendein ideales, gedachtes, symbolisches Verhältnis, sondern – fast möchte ich sagen – ein biologisches, lebensvolles Zu-Jesus-Christus-Gehören. Das ist die Kirche.“ (Predigt in Berlin).
Sich zurückbesinnen auf das, was Kirche eigentlich ist, „zu den Wurzeln, zum wesentlichen Kern der Frohbotschaft Christi zurückzukehren“ (beim Abschied in Freiburg) – das rät Papst Benedikt den deutschen Katholiken, auch denen, die innerlich auf Distanz gegangen sind. Wer unzufrieden ist mit der Kirche, der solle doch mal bitte bei sich selbst anfangen mit der Reform.
„Die selige Mutter Teresa wurde einmal gefragt, was sich ihrer Meinung nach als erstes in der Kirche ändern müsse. Ihre Antwort war: Sie und ich!“ (im Freiburger Konzerthaus)
Das ist, wie Benedikt betont, keine Ablenkung vom Änderungsbedarf in der Kirche, sondern vielmehr ein wesentlicher Ausgangspunkt für jedwede Reform. „Wenn wir nicht zu einer wirklichen Erneuerung des Glaubens finden, wird alle strukturelle Reform wirkungslos bleiben“
(an das ZdK).

Reform? Reform!
An keiner Stelle in seinen deutschen Ansprachen hat der Papst gesagt, er sähe gar keinen Reformbedarf in der deutschen oder aber in der Weltkirche. Ganz im Gegenteil:
„Ja, es gibt Anlass zur Änderung. Es ist Änderungsbedarf vorhanden. Jeder Christ und die Gemeinschaft der Gläubigen als Ganzes sind zur stetigen Änderung aufgerufen“ (im Freiburger Konzerthaus).
Änderung oder Reform der Kirche, damit sie noch besser ihrem eigentlichen Auftrag entspricht, Sauerteig für die Welt zu sein. Auch die Führungspersönlichkeiten in der Kirche – Priester, Bischöfe – sollen dringend in sich gehen, sich bekehren, sich um Heiligkeit bemühen, weil sie sonst dem Bösen Raum geben.
„Der Schaden der Kirche kommt nicht von ihren Gegnern, sondern von den lauen Christen“ (bei der Vigil in Freiburg) – eine Anspielung auf die Missbrauchsskandale, die letztes Jahr über die deutsche Kirche hereinbrachen.

Vertrauensverlust
Diese Skandale sprach während der Papstreise am deutlichsten Alois Glück an, der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken.
„Die Schock-Erlebnisse des Jahres 2010 haben die katholische Kirche in Deutschland im Innern und ihre gesellschaftliche und öffentliche Position verändert. Der große Vertrauensverlust ist nachhaltig spürbar. Die Erschütterungen dieses Skandals haben über diesen Sachverhalt hinaus in unserer Kirche zu vielen Diskussionen geführt, die nur um den Preis der weiteren Entfremdung und des Auszugs vieler Gläubiger aus der Kirche blockiert werden könnten“ (an den Papst in Freiburg).
Darum sei es wichtig, dass die deutsche Kirche jetzt einen internen Dialogprozess begonnen habe, so Glück. Und er beteuerte: „Wir verstehen ‚Dialog’ nicht als ‚alles in Frage stellen’. Wir erstehen Dialog als Hinhören, Zuhören und vor allem als Bereitschaft, sich auch selbst zu verändern.“
Der Chef des katholischen Laien-Verbands hat im Beisein des Papstes auch sehr klar ausgesprochen, was sich viele Katholiken in Deutschland an Änderungen wünschen. Da habe der Dialogprozess schon jetzt in seinen Anfängen sehr schnell ein klares Ergebnis gebracht:
„Das zeigt sich besonders im Ruf nach der Zuwendung zu Menschen, die Brüche und Krisen in ihrem Leben erfahren haben, im Ruf nach einer – wie es oft formuliert wurde – ‚barmherzigen Pastoral’. Dies wurde als die dringlichste Aufgabe benannt.“
Auch der Bundespräsident und Katholik Christian Wulff hat dem Papst in Berlin einen ganzen Katalog von Reformpunkten für die Kirche vorgelegt, in Frageform gekleidet:
„Wie barmherzig geht sie mit Brüchen in den Lebensgeschichten von Menschen um? Wie mit den Brüchen in ihrer eigenen Geschichte und mit dem Fehlverhalten von Amtsträgern? Welchen Platz haben Laien neben Priestern, Frauen neben Männern? Was tut die Kirche, um ihre eigene Spaltung in katholisch, evangelisch und orthodox zu überwinden?“
Alois Glück betont die lauteren Motive der Reformfreunde:
„In unserem kirchlichen Engagement geht es uns nicht um eine vordergründige Modernisierung oder Anpassung der Kirche. Uns bewegt vielmehr die Frage, wie wir Jesus Christus und seine Botschaft den Menschen von heute vermitteln können.“

Einigkeit mit dem Papst
Und in diesem Anliegen – das hat die Papstreise gezeigt – wissen sich Deutschlands Katholiken mit dem Papst sehr einig. Wie wird die Kirche wieder attraktiv für Menschen auf der Suche? „Sie brauchen Orte, wo sie ihr inneres Heimweh zur Sprache bringen können. Hier sind wir gerufen, neue Wege der Evangelisierung zu suchen“ (an das ZdK). Ein solcher Weg, so sinniert Benedikt, könnten „kleine Gemeinschaften“ sein, „wo Freundschaften gelebt und in der regelmäßigen gemeinsamen Anbetung vor Gott vertieft werden. …Da sind Menschen, die an ihrem Arbeitsplatz und im Verbund von Familie und Bekanntenkreis von diesen kleinen Glaubenserfahrungen erzählen und so eine neue Nähe der Kirche zur Gesellschaft bezeugen“ (ebd.).

Von unten anfangen, in der kleinen Gruppe, in der Pfarrei oder einer geistlichen Bewegung – darauf läuft Benedikts Rezept hinaus. Wieder steht dahinter der Gedanke: Ballast abwerfen, Privilegien aufgeben, kleiner werden, ehrlicher. Und so neue Strahlkraft entwickeln.
„Es wird kleine Gemeinschaften von Glaubenden geben – und es gibt sie schon –, die in die pluralistische Gesellschaft mit ihrer Begeisterung hineinstrahlen und andere neugierig machen, nach dem Licht zu suchen, das Leben in Fülle schenkt... Aus dieser Erfahrung wächst schließlich die Gewissheit: Wo Gott ist, da ist Zukunft!“ (beim Abschied)

Ist das der Abschied vom Modell der Volkskirche, wie einige Auguren meinen? Nun, es ist zumindest keine römische Rückendeckung für das in Deutschlands Bistümern derzeit zu beobachtende Aufgeben des Pfarreiprinzips zugunsten immer größerer (und anonymerer) Seelsorgeeinheiten. Auch ZdK-Präsident Glück sagt:
„Wir sind in großer Sorge, dass große Seelsorgeeinheiten gemacht werden und damit aber kirchliche Gemeinschaft verloren wird, der Glaube nicht mehr im eigenen Umkreis als Gemeinschaft erlebt wird“ (Interview mit Radio Vatikan).

Fazit
Benedikt und seine deutsche Kirche – die Reden der letzten Tage sind fast eine Art Vermächtnis. „Es geht hier nicht darum, eine neue Taktik zu finden, um der Kirche wieder Geltung zu verschaffen. Vielmehr gilt es, jede bloße Taktik abzulegen und nach der totalen Redlichkeit zu suchen... Leben wir als einzelne und als Gemeinschaft der Kirche die Einfachheit einer großen Liebe, die auf der Welt das Einfachste und das Schwerste zugleich ist...“ (im Konzerthaus in Freiburg).








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