Der Papst und die Politik: Die Begrüßungsrede in Berlin
Der Papst und die
Politik. Im ersten Teil unserer Schwerpunktsendungen zum Papstbesuch in Deutschland
widmen wir uns ganz den politischen Gedanken und Anregungen, die Benedikt XVI. seinem
Heimatland geschenkt hat. Der Papst stellte schon am ersten Tag seiner Reise vor dem
Schloss Bellevue in Berlin, dem Amtssitz des Bundespräsidenten, klar, dass er nicht,
wie es andere Staatsmänner zu Recht tun, nur politische und wirtschaftliche Ziele
verfolge. Bei seiner ersten Rede auf deutschem Boden deutete Benedikt an, dass es
ihm um die Grundsätze geht, auf denen auch die deutsche Gesellschaft fußt.
„Der
Religion gegenüber erleben wir eine zunehmende Gleichgültigkeit in der Gesellschaft,
die bei ihren Entscheidungen die Wahrheitsfrage eher als ein Hindernis ansieht und
statt dessen Nützlichkeitserwägungen den Vorrang gibt. Es bedarf aber für unser Zusammenleben
einer verbindlichen Basis, sonst lebt jeder nur noch seinen Individualismus.“
Die
Religion sei eine der Grundlagen für ein gelingendes Minteinander, so der Papst. Und
zitiert den Arbeiterbischof aus Mainz, Wilhelm von Ketteler, der sich im 19. Jahrhundert
für die Arbeiterklasse und die Armen eingesetzt hat. Unter dem Einfluss Adolph Kolpings
erkannte der Bischof die Bedeutung der Sozialen Frage in der neu entstehenden Industriegesellschaft
und trug mit dazu bei, dass sich die katholische Kirche mehr mit den sozialen Probleme
der Arbeiter auseinandersetzte. Er gilt damit als einer der Begründer der katholischen
Soziallehre. Der Zusammenhang zwischen Solidarität und Freiheit - dem Papst geht
es in seiner Rede um die Bedeutung großer Begriffe, die ein friedliches Zusammenleben
überhaupt erst ermöglichen.
„Freiheit braucht die Rückbindung an eine höhere
Instanz. Dass es Werte gibt, die durch nichts und niemand manipulierbar sind, ist
die eigentliche Gewähr unserer Freiheit. Der Mensch, der sich dem Wahren und dem Guten
verpflichtet weiß, wird dem sofort beipflichten: Freiheit entfaltet sich nur in der
Verantwortung vor einem höheren Gut. Dieses Gut gibt es nur für alle gemeinsam; deshalb
muss ich immer auch meine Mitmenschen im Blick haben. Freiheit kann nicht in Beziehungslosigkeit
gelebt werden.“
An diesem Punkt offenbart sich der Zusammenhang zwischen
Freiheit und Solidarität. Im menschlichen Miteinander gehe Freiheit nicht ohne Solidarität,
so Benedikt.
„Was ich auf Kosten des anderen tue, ist keine Freiheit, sondern
schuldhaftes Handeln, das den anderen und auch mich selbst beeinträchtigt. Wirklich
frei entfalten kann ich mich nur, wenn ich meine Kräfte auch zum Wohl der Mitmenschen
einsetze. Das gilt nicht nur für den Privatbereich, sondern auch für die Gesellschaft.
Diese hat gemäß dem Subsidiaritätsprinzip den kleineren Strukturen ausreichend Raum
zur Entfaltung zu geben und zugleich eine Stütze zu sein, damit sie einmal auf eigenen
Beinen stehen können.“
Eine direkte Aufforderung an die Politik, diese
grundlegenden Voraussetzungen für eine funktionierende Gesellschaft niemals außer
Acht zu lassen. Mit Blick auf das Schloss Bellevue weist der Papst auf die dunklen
Seiten der deutschen Vergangenheit hin, die er später dann auch in seiner Rede vor
dem Bundestag wieder aufgreift. Und erinnert daran, dass wir auch heute von unserer
Vergangenheit lernen können:
„Das Schloss ist - wie viele Gebäude der Stadt
- mit seiner bewegten Vergangenheit ein Zeugnis deutscher Geschichte. Der klare Blick
auch auf ihre dunklen Seiten ermöglicht uns, aus der Vergangenheit zu lernen und Anstöße
für die Gegenwart zu erhalten. Die Bundesrepublik Deutschland ist durch die von der
Verantwortung vor Gott und voreinander gestaltete Kraft der Freiheit zu dem geworden,
was sie heute ist. Sie braucht diese Dynamik, die alle Bereiche des Humanen einbezieht,
um unter den aktuellen Bedingungen sich weiter entfalten zu können. Sie braucht dies
in einer Welt, die einer tiefgreifenden kulturellen Erneuerung und der Wiederentdeckung
von Grundwerten bedarf, auf denen eine bessere Zukunft aufzubauen ist.“