Der Papstbeobachter
schlechthin für unser Programm in diesen Tagen war P. Bernd Hagenkord. Unser Redaktionsleiter
begleitete Benedikt XVI. aus nächster Nähe bei allen Terminen seiner Deutschlandreise,
er saß im Journalistentross der Papstmaschine und durfte in abgeschlossene VIP-Bereiche,
die fast allen anderen Sterblichen verschlossen blieben. Bei unserem Bilanzgespräch
gehen wir chronologisch vor.
Donnerstag, 22. September, Berlin, erste Station:
Bundespräsident Wulff empfängt Benedikt XVI. als Staatsgast an seinem Dienstsitz,
dem Schloss Bellevue, und fragt in seiner öffentlichen Rede, ob die katholische Kirche
mehr seelsorgerliche Barmherzigkeit für wiederverheiratete Geschiedene (einer Gruppe,
die Wulff selbst angehört) praktizieren könnte. Wie würden Sie eine solche Anfrage
einordnen?
„Zum einen ist das ja in gewisser Weise eine Anspielung auf
die persönliche Lebenssituation des Bundespräsidenten, die im Vorfeld von einigen
anderen angesprochen worden war, und was er quasi in seine Ansprache aufnimmt. Auf
der anderen Seite war das natürlich nur ein Element von drei oder vieren. Der Bundespräsident
hat in meinen Augen sehr gut zusammengefasst, was die Erwartungshaltung an den Papst
– bzw. eigentlich sogar die Erwartungshaltung an die Kirche war. Also das, was in
der Gesellschaft gedacht und gewünscht wird. Von daher fand ich es sehr angemessen
und vor allem auch die Form sehr angemessen, in der er das getan hat.“
Zweite
Station: Die Papstrede vor dem Deutschen Bundestag. Auf die Grundlage unserer Gesetze
können wir nicht selbst zugreifen, sagt der Papst den Abgeordneten, die in Deutschland
die Gesetze machen. Und ein unerwartetes Lob der Grün-Bewegung mit ihrer Sensibilisierung
für den Herzschlag des Planeten. Welche Kreise wird diese Rede jetzt ziehen?
„Ich
vermute, dass viele Abgeordnete nachher noch einmal nachgelesen haben, weil es natürlich
keine einfache Kost war. Das war schon sehr philosophisch, teilweise sogar abstrakt.
Aber ich glaube, was es gesagt hat, war im Großen und Ganzen ja nichts Neues. Er hat
in diesem Sinne nicht das Rad neu erfunden. Viele Dinge, die wir gehört haben – und
das meine ich im guten Sinne – setzten Gedanken von ihm fort, zugeschnitten auf die
Situation in Deutschen Bundestag. Gerade die Geschichte: Wo ist das Recht eigentlich
verankert und das Recht muss die Macht einfangen und bändigen, sonst wird es ein Unrechtstaat
usw.. Das sind Gedanken, bei denen glaube ich sehr viele Menschen zumindest innerlich
mit dem Kopf genickt haben. Bei die Frage nach der Grünenbewegung ging es gar nicht
so sehr um die Grünen, sondern vielmehr darum, dass es über die praktische Vernunft
hinaus Sehnsüchte, Ideen oder auch nur ein Unverständnis darüber gibt, wie wir mit
der Welt umgehen, und danach wird gehandelt. Das passt in sein Vernunftverständnis–
der Papst hat ganz deutlich gesagt, Vernunft muss größer sein, muss über die reine
Funktionalität hinaus wachsen. Und ich glaube, das wird noch in einigen Jahren oder
Jahrzehnten immer wieder hervorgezogen werden: der Papst hat damals im Bundestag gesagt…“.
Die Messe im Berliner Olympiastadion: Wie war die, aus der Nähe betrachtet?
„Stadionmessen
haben immer eine eigene Atmosphäre. Papst Benedikt mag das ja eigentlich nicht so.
Stadionmessen gibt es verhältnismäßig eher wenige im Vergleich zu Johannes Paul II.
Wir haben als Journalisten in den Bänken gesessen, wo normalerweise Fernsehreporter
bei zum Beispiel Fußballspielen sitzen. Wir hatten einen phantastischen Blick, das
war schon toll. Es war phantastisch, vor allem, weil wir auch die Bundestagsrede im
Stadion gesehen haben. Wir waren quasi schon vorher da. Man konnte die Stecknadel
fallen hören, obwohl immer wieder Leute kamen und gingen. Das Stadion hört sehr gut
und es war sehr still. Die Leute waren still und wollten wissen: Was sagt der Papst
Deutschland, was wird er uns gleich sagen? Insgesamt war das eine wunderbare Atmosphäre.
Fast schon ein bisschen zu gut, wenn man das Wetter betrachtet, als die Wolken zum
Schluss noch angeleuchtet von der Sonne ein wunderbares Bild am Himmel zauberten.
Das war schon fast grenzwertig, aber die Atmosphäre war wunderbar.“
Stichwort
Musik: In bestimmten Internetforen wurde die musikalische Gestaltung des Papstgottesdienstes
kritisiert. Zu Recht?
„Das ist fast schon Usus geworden, dass man die Musik
kritisiert. Zum einen ist das eine Geschmacksfrage, außerdem besteht auch die Frage,
wie man möglichst viele Menschen im Singen mit einbezieht. Leider ist es ein bisschen
aus der Mode gekommen, mitzusingen. Das mag an den Liedern liegen, das mag aber auch
daran liegen, dass Menschen es nicht mehr gewohnt sind, selber mitzusingen. Kritisieren
kann man viel, insgesamt über den ganzen Papstbesuch betrachtet – in Erfurt zum Beispiel
bei der Messe, oder in Freiburg – gab es immer wieder Lieder und Musik, in die die
Leute einstimmen und auch die emotionale Seite des Gottesdienstes zum Ausdruck bringen
konnten. Und es gab auch immer wieder konzertante Sachen oder neues geistliches Liedgut,
das eher schwer zu singen ist. Insgesamt fand ich, war es eine ausgewogene Mischung.“
Danach,
gleich nebenan im Bundestag, ein Treffen mit Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats
der Juden. Dieser bedankte sich außergewöhnlich herzlich bei Benedikt für „gelebte
Solidarität und gewachsene Loyalität“ zwischen Katholiken und Juden, aber er benannte
auch Schmerzpunkte: Die Annäherung an die traditionalistische Piusbruderschaft, die
Karfreitagsfürbitte im alten Messritus, eine eventuelle Seligsprechung Papst Pius
XII. Dem Papst war das nicht neu, wie hat er darauf reagiert?
„Ich will
das nicht abtun, aber ich glaube die Grundstimmung war viel wichtiger. Graumann hat
im Vorfeld in einer jüdischen Tageszeitung den Papst sehr gelobt, über den Klee gelobt
sogar fast schon. Der Papst hat selber noch einmal gesagt, „Das Heil kommt von den
Juden“, also fast schon eine theologische Umkehrung, dass der neue Bund sich im alten
erfüllt. Das ist eine volle theologische Formulierung. Da muss man glaube ich noch
einmal ganz genau darüber nachdenken, was er den Juden sagt. Das ist voll, das ist
dicht, das ist sehr würdigend. Ich glaube das war die Botschaft. Dass es natürlich
auch immer wieder kritische Punkte gibt ist klar. Dass man darüber reden kann bringt
zum Ausdruck, dass der Papst auf die Juden immer schon zugegangen ist, dass er sie
schätzt und dass es eine Gesprächssituation gibt, die das trägt.“
Freitag,
23. September: Das Treffen mit den Muslimen in Berlin. Ein Routinetermin?
„Auf
der einen Seite haben sie gesagt, das gehört zum Papstbesuchsprogramm schon fast dazu.
Auf der anderen Seite zeigt eben auch diese Formulierungsweise, dass das nicht selbstverständlich
ist, sondern dass der Papst – wie übrigens alle anderen Begegnungen auch – das sehr
ernst genommen hat. Das war kein Routinepunkt, sondern er hat noch einmal ganz klar
gesagt, was für eine Wertschätzung er für die Religion hegt, wie er die Religion innerhalb
von Deutschland einschätzt und was er ihr mit auf den Weg gibt. Es war nicht nur ein
Fototermin, bei dem man sich gegenseitig Reden vorliest, sondern es war dem Papst
ein Anliegen, das auch vorkommen und sichtbar werden zu lassen, auch wenn es bei insgesamt
18 Ansprachen in der Wahrnehmung ein bisschen zu kurz gekommen ist.“
In
Erfurt dann eine Etappe, die wegen ihres ökumenischen Gehalts mit höchstem Interesse
verfolgt wurde. Nach der Begegnung im Augustinerkloster mit den Spitzen der evangelischen
Kirche war manchen die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. Waren die Erwartungen
an ein „ökumenisches Gastgeschenk“ des Papstes zu hoch?
„Ich glaube die
Erwartungshaltungen waren zu hoch. Das merkte man auch an den Vorgesprächen und Vorinterviews.
Meistens waren es sogar unausgesprochene Erwartungshaltungen. Die Ökumene, das merken
wir hier im Radio auch sehr deutlich, wenn wir darüber sprechen, was bei der Deutschlandreise
passiert ist. Die Ökumene findet nicht nur in Deutschland statt, aber in Deutschland
hat sie eine bestimmte Form. Der Papst kann aber nicht auf alles so reagieren, dass
es nur auf Deutschland zugeschnitten ist. Auf der anderen Seite glaube ich, hat er
noch einmal sehr deutlich die gemeinsame Basis hervorgehoben. Ich erinnere mich an
die Formulierung, die er im Flugzeug auf dem Weg nach Deutschland gebraucht hat. Da
wurde er auch darauf angesprochen und er sagte ganz deutlich, dass wir auf einem gemeinsamen
Fundament stehen und dass das das Wichtigste ist. Er hat dieses gemeinsame Fundament
im Bezug auf Luther auch noch einmal wiederholt. Es kommt alles vom Glauben her. Ökumene,
Einheit muss aus dem Glauben kommen. Das lässt sich nicht per Entschluss ändern. Da
muss man gemeinsam daran ringen, da muss man gemeinsam daran herum denken, aber das
geht nicht einfach von heute auf morgen, so schmerzhaft das auch ist.“
Die
marianische Vesper in Etzelsbach im katholischen Eichsfeld: Ihre Eindrücke?
„Der
schönste Augenblick war, als das Papamobil hinter dem Altar verschwand, damit der
Papst sich die liturgische Kleidung anziehen konnte. Der Chor sang nicht und es war
ein Moment der Stille und plötzlich fingen die ca. 40.000 an, ein „Großer Gott wir
loben dich“ anzustimmen. Es war still und man hatte nichts zu tun, also sang man.
Da merkte man, dass diese Würdigung des Volksglaubens nichts Historisches ist. Das
war kein Museumsstück, das vom Papst gewürdigt wurde, sondern das ist lebendig, das
ist noch da, das ist nichts Altertümliches, nichts Altmodisches, sondern etwas sehr
Lebendiges und das war ein wunderbarer Augenblick.“
Samstag, 24. September:
Die Messe auf dem Erfurter Domplatz. Dabei hat der Papst u.a. die Standhaftigkeit
von Christen in der DDR gewürdigt, die für ihren Glauben auch persönliche Nachteile
in Kauf nahmen. Das war eine von vielen ersehnte, eindringliche Würdigung. Kam das
an?
„Übererfüllt sicherlich nicht. Er hat glaube ich genau das gesagt, was
auch angemessen ist, nämlich die Würdigung auszusprechen. Er ist aber noch einmal
darüber hinaus gegangen, wie ich fand. Er zog keine Linie, das war nicht nur eine
historische Sache, sondern er hat die vorhergehende Diktatur mit einbezogen und er
hat noch einmal gesagt, dass wir heute auch unter Umständen leben, die unseren Glauben
herausfordern. Das hat nichts mit Diktatur zu tun und nichts mit Unterdrückung, aber
sehr wohl mit Gefährdung des Glaubens oder mit Herausforderungen an den Glauben. Das
heißt, dieses Aufrechterhalten des katholischen Glaubens auch unter Diktaturumständen,
das kann für heute auch eine Lehre sein und weiterhelfen. Und das ist glaube ich auch
noch einmal eine Extra-Würdigung, dass dies nichts ist, was nur in die Vergangenheit
gehört, sondern auch heute noch Lehren bereitstellt.“
Danach die Etappe
im relativ grundkatholischen Freiburg. Zunächst vier Sondertermine: Das Treffen mit
Altkanzler Helmut Kohl, mit Orthodoxen, mit Seminaristen und schließlich mit den katholischen
Laien vom Zentralkomitee der Katholiken. „Wir sind Kirche“, sagt der Papst den angehenden
Priestern und mahnt sie dazu, sich nicht allein zu Maß zu nehmen. Es war eine Stegreifrede,
ein typischer Ratzinger, anders als die Rede an die katholischen Laien. Die Laien
haben ein Deutschland, was ihnen vielleicht selber nur am Rand bewusst ist, eine sehr
starke Stellung. Wie ordnen Sie die Ausführungen des Papstes da ein?
„Im
Prinzip war sein Thema – was er im Flugzeug und selbst im Wort zum Sonntag bereits
angekündigt hatte – er wollte über Gott reden. Das hört sich sehr naiv an, aber er
hat das immer wieder ausbuchstabiert. Er hat immer wieder gesagt, worauf es ankommt,
muss im Engagement der Glaube sein. Das ist ja nichts Neues und Alois Glück hat auch
sehr deutlich gesagt, dass er das genauso sieht. Der Papst hat noch einmal gesagt,
die ganzen starken Strukturen, die wir haben, den Einsatz, den wir haben, da darf
es nicht nur um diesen Einsatz gehen. Das gleiche hat er übrigens auch den Seminaristen
gesagt. „Nehmt euch selber nicht so wichtig.“ Die Warnung vor dem Klerikalismus, das
gilt für alle. Das ist nicht nur für die Laien. Noch einmal zu sagen: kümmert euch
um den Glauben, fragt nach diesem Glauben, der euch trägt und entwickelt dann von
dort aus, was ihr tut.“
Die Gebetsvigil mit Jugendlichen. Davor gab es
– was interessant war – eine Art öffentliche Umfrage unter den jungen Leuten, die
hielten rote oder grüne Ballons hoch, um Zu- oder Abstimmung auszudrücken. Frauen
sollten in der katholischen Kirche eine größere Rolle spielen, kam da heraus, und
dass die Jugendlichen Homosexualität nicht als Sünde betrachten. Dennoch war die Vorfreude
auf den Papst groß und diese Vigil war vielleicht die schönste Feier überhaupt mit
Benedikt XVI. in Deutschland. Ein Widerspruch?
„Ich habe es als Widerspruch
empfunden, ja. Ich war dabei und habe diese wunderbare Stimmung, die niemals kitschig
wurde, als großartig empfunden. Das war nicht nur für Jugendliche, auch für mich selber
war das eine sehr feierliche Stimmung. Die Jugendliche, die vortraten, ihr Engagement
vorstellten, gewürdigt wurden, das Ausbreiten des Lichtes, das war wunderbar. Ich
habe es als Widerspruch empfunden, weil ich das als Verzweckung empfunden habe. Dass
fast schon diese kirchenpolitischen Fragen gestellt wurden – es ging dabei ja auch
um Frauenpriestertum und so weiter – da dachte ich mir, das kann man eigentlich nicht
machen. Das ist eigentlich ziemlich frech, im Vorfeld solche Fragen, die da gar nichts
zu suchen haben – denn es geht um die Jugendlichen und ihr Engagement – quasi in Abstimmungsverhalten
sichtbar zu machen. Der Papst hat ihnen selber noch einmal gesagt: was ihr macht ist
gut. Wie ihr das macht, ist das gut, behaltet eure Kraft und so weiter. Das dann zu
übersetzen oder zu versuchen, das in etwas fast schon kirchenpolitisches zu übersetzen,
habe ich wirklich als sehr schade empfunden.“
Vier Tage Deutschland, drei
Nächte immer anderswo für den Papst, ein sehr dichtes Programm: wie hat der 84-jährige
Papst das überstanden?
„Wenn ich die Kolleginnen und Kollegen im Journalistentross
betrachte, dann war das nicht nur eine Herausforderung für Papst Benedikt XVI., sondern
für jeden, der so ein Programm mitmacht. Ich glaube, er hat das gut überstanden. Es
gibt immer so ein paar Signale, körperlich und auch geistig ist das natürlich anstrengend,
aber ich glaube insgesamt hat er das gewollt und auch gut getragen. Es war nicht so,
dass er zum Schluss schlapp gemacht hätte, sondern das war eine volle und gute Ausführung
dessen, was er sich vorgenommen hat.“
Was bleibt?
„Viel zu tun,
viel nachzudenken und viel nachzulesen. Wir werden sehen, jetzt vor allem im Gesprächsprozess
in der deutschen Kirche, aber auch in den anderen deutschsprachigen Kirchen, sich
genau noch einmal durchzuhören, was der Papst uns eigentlich gesagt hat.“