Gebetsvigil mit Jugendlichen - die Rede im Wortlaut
Liebe junge Freunde! Ich
habe mich den ganzen Tag auf diesen Abend gefreut, hier mit euch zusammenzusein und
Gemeinschaft im Gebet mit euch zu haben. Einige von euch werden schon beim Weltjugendtag
dabeigewesen sein, wo wir die besondere Atmosphäre der Ruhe, der tiefen Gemeinschaft
und der inneren Freude erleben durften, die über einer abendlichen Gebetsvigil liegt.
Diese Erfahrung wünsche ich uns auch für diesen Moment: daß der Herr uns anrühre und
zu frohen Zeugen mache, die miteinander beten und füreinander einstehen, nicht nur
heute abend, sondern unser ganzes Leben. In allen Kirchen, in den Domen und Klöstern,
überall wo sich die Gläubigen zur Feier der Osternacht versammeln, wird die heiligste
aller Nächte mit dem Entzünden der Osterkerze eröffnet, deren Licht an alle Anwesenden
weitergereicht wird. Eine winzige Flamme verbreitet sich im Kreis vieler Lichter und
erhellt das dunkle Gotteshaus. In diesem wunderbaren liturgischen Ritus, den wir in
dieser Gebetsvigil nachgeahmt haben, offenbart sich uns in Zeichen, die mehr sagen
als Worte, das Geheimnis unseres christlichen Glaubens. Er, der von sich sagt: „Ich
bin das Licht der Welt“ (Joh 8,12), bringt unser Leben zum Leuchten, damit
wahr wird, was wir soeben im Evangelium gehört haben: „Ihr seid das Licht der
Welt“ (Mt 5,14). Es sind nicht unsere menschlichen Anstrengungen oder der technische
Fortschritt unserer Zeit, die Licht in diese Welt bringen. Immer wieder müssen wir
es ja erleben, daß unser Mühen um eine bessere und gerechtere Ordnung an seine Grenzen
stößt. Das Leiden der Unschuldigen und letztlich der Tod eines jeden Menschen sind
ein undurchdringliches Dunkel, das vielleicht von neuen Erfahrungen her für einen
Moment, wie durch einen Blitz in der Nacht, erhellt werden mag. Am Ende bleibt aber
doch eine beängstigende Finsternis. Es mag um uns herum dunkel und finster sein,
und doch schauen wir ein Licht: eine kleine, winzige Flamme, die stärker ist als die
so mächtig und unüberwindbar scheinende Dunkelheit. Christus, der von den Toten auferstanden
ist, leuchtet in dieser Welt und gerade dort am hellsten, wo nach menschlichem Ermessen
alles düster und hoffnungslos ist. Er hat den Tod besiegt – Er lebt – und der Glaube
an ihn durchbricht wie ein kleines Licht all das, was finster und bedrohlich ist.
Wer an Jesus glaubt, hat sicherlich nicht immer Sonnenschein im Leben, so als ob ihm
Leiden und Schwierigkeiten erspart bleiben könnten, aber stets gibt es da einen hellen
Schein, der ihm einen Weg zeigt, der zum Leben in Fülle führt (vgl. Joh 10,10).
Wer an Christus glaubt, dessen Augen schauen auch in der dunkelsten Nacht ein Licht
und sehen schon das Leuchten eines neuen Tages. Das Licht bleibt nicht allein.
Rings herum flammen weitere Lichter auf. In ihrem Schein erhält der Raum Konturen,
so daß man sich orientieren kann. Wir leben nicht allein auf der Welt. Gerade in den
wichtigen Dingen des Lebens sind wir auf Mitmenschen angewiesen. So stehen wir besonders
im Glauben nicht allein, wir sind Glieder in der großen Kette der Gläubigen. Niemand
kann glauben, wenn er nicht durch den Glauben der anderen gestützt wird, und durch
meinen Glauben trage ich wiederum dazu bei, die anderen in ihrem Glauben zu stärken.
Wir helfen uns, einander Vorbilder zu sein, lassen die anderen am Unsrigen teilhaben,
unseren Gedanken, unseren Taten, unserer Zuneigung. Und wir helfen einander, uns zurechtzufinden,
unseres Standpunkts in der Gesellschaft gewahr zu werden. Liebe Freunde, „Ich bin
das Licht der Welt – Ihr seid das Licht der Welt“, sagt der Herr. Es ist geheimnisvoll
und großartig, daß Jesus von sich selbst und von jedem von uns das gleiche sagt, nämlich
„Licht zu sein“. Wenn wir glauben, daß Er der Sohn Gottes ist, der Kranke geheilt
und Tote erweckt hat, ja selbst aus dem Grabe erstanden ist und wirklich lebt, so
verstehen wir, daß er das Licht, die Quelle aller Lichter dieser Welt ist. Wir dagegen
erleben doch immer wieder das Scheitern unserer Bemühungen und das persönliche Versagen
trotz bester Absichten. Die Welt, in der wir leben, wird trotz des technischen Fortschritts
scheinbar letztlich nicht besser. Noch immer gibt es Krieg und Terror, Hunger und
Krankheit, bittere Armut und erbarmungslose Unterdrückung. Und auch die, die sich
in der Geschichte als „Lichtbringer“ verstanden haben, ohne aber von Christus, dem
einzigen und wahren Licht, entzündet zu sein, haben gerade kein irdisches Paradies
geschaffen, sondern Diktaturen und totalitäre Systeme errichtet, in denen selbst der
kleinste Funke wahrer Menschlichkeit erstickt wurde. An diesem Punkt dürfen wir
nicht darüber schweigen, daß es das Böse gibt. Wir sehen es an so vielen Orten in
dieser Welt; wir sehen es aber auch – und das erschreckt uns – in unserem eigenen
Leben. Ja, in unserem eigenen Herzen gibt es die Neigung zum Bösen, den Egoismus,
den Neid, die Aggression. Mit einer gewissen Selbstdisziplin läßt sich das vielleicht
einigermaßen kontrollieren. Schwieriger wird es aber mit einem eher verborgenen Schlechtsein,
das sich wie ein dumpfer Nebel auf uns legen kann, und das ist die Trägheit, die Schwerfälligkeit,
das Gute zu wollen und zu tun. Immer wieder in der Geschichte haben aufmerksame Zeitgenossen
darauf hingewiesen: Der Schaden der Kirche kommt nicht von ihren Gegnern, sondern
von den lauen Christen. Aber wie kann Christus dann sagen, die Christen und damit
wohl auch diese schwachen und oft so lauen Christen seien das Licht der Welt? Vielleicht
verstünden wir, wenn er uns zuriefe: Bekehrt euch! Seid das Licht der Welt! Ändert
euer Leben, macht es hell und strahlend! Müssen wir nicht staunen, daß der Herr keinen
Appell an uns richtet, sondern sagt: Wir sind das Licht der Welt, wir leuchten, wir
strahlen im Dunkel? Liebe Freunde, der heilige Apostel Paulus scheut sich nicht,
in vielen seiner Briefe seine Zeitgenossen, die Mitglieder der Ortsgemeinde, „Heilige“
zu nennen. Hier wird deutlich, daß jeder Getaufte – noch ehe er gute Werke oder besondere
Leistungen tun kann – geheiligt ist von Gott. In der Taufe entzündet der Herr gleichsam
ein Licht in unserem Leben, das der Katechismus die heiligmachende Gnade nennt. Wer
dieses Licht bewahrt, wer in der Gnade lebt, der ist in der Tat heilig. Liebe Freunde,
immer wieder ist das Bild der Heiligen karikiert und verzerrt worden, so als ob heilig
zu sein bedeute, weltfremd, naiv und freudlos zu sein. Nicht selten meint man, ein
Heiliger sei nur der, der asketische und moralische Höchstleistungen vollbringe und
den man daher wohl verehren, aber im eigenen Leben doch nie nachahmen könne. Wie falsch
und entmutigend ist diese Meinung! Es gibt keinen Heiligen, mit Ausnahme der seligen
Jungfrau Maria, der nicht auch die Sünde gekannt und niemals gefallen wäre. Liebe
Freunde, Christus achtet nicht so sehr darauf, wie oft ihr im Leben strauchelt, sondern
wie oft ihr wieder aufsteht. Er fordert keine Glanzleistungen, sondern möchte, daß
Sein Licht in euch scheint. Er ruft euch nicht, weil ihr gut und vollkommen seid,
sondern weil Er gut ist und euch zu seinen Freunden machen will. Ja, ihr seid das
Licht der Welt, weil Jesus euer Licht ist. Ihr seid Christen – nicht weil ihr Besonderes
und Herausragendes tut, sondern weil Er, Christus, euer Leben ist. Ihr seid heilig,
weil seine Gnade in euch wirkt. Liebe Freunde, an diesem Abend, an dem wir uns im
Gebet um den einen Herrn versammeln, ahnen wir die Wahrheit des Wortes Christi, daß
die Stadt auf dem Berg nicht verborgen bleiben kann. Diese Versammlung leuchtet im
mehrfachen Sinn des Wortes – im Schein unzähliger Lichter, im Glanz so vieler Jugendlicher,
die an Christus glauben. Eine Kerze kann nur dann Licht spenden, wenn sie sich von
der Flamme verzehren läßt. Sie bliebe nutzlos, würde ihr Wachs nicht das Feuer nähren.
Laßt es zu, daß Christus in euch brennt, auch wenn das manchmal Opfer und Verzicht
bedeuten kann. Fürchtet nicht, ihr könntet etwas verlieren und sozusagen am Ende leer
ausgehen. Habt den Mut, eure Talente und Begabungen für Gottes Reich einzusetzen und
euch hinzugeben – wie das Wachs einer Kerze – damit der Herr durch euch das Dunkel
hell macht. Wagt es, glühende Heilige zu sein, in deren Augen und Herzen die Liebe
Christi strahlt und die so der Welt Licht bringen. Ich vertraue darauf, daß ihr und
viele andere junge Menschen hier in Deutschland Leuchten der Hoffnung sind, die nicht
verborgen bleiben. „Ihr seid das Licht der Welt.“ Amen.