Liebe muslimische Freunde! Ich freue mich, Sie als Vertreter verschiedener muslimischer
Gemeinschaften in Deutschland heute hier willkommen zu heißen. Von Herzen danke ich
Professor Mouhanad Khorchide für die freundlichen Worte der Begrüßung. Sie zeigen
mir, wie zwischen der katholischen Kirche und den muslimischen Gemeinschaften in Deutschland
ein Klima des Respekts und des Vertrauens gewachsen ist. Berlin ist ein günstiger
Ort für ein solches Treffen, nicht nur weil sich hier die älteste Moschee auf deutschem
Boden befindet, sondern auch weil in Berlin die meisten Muslime im Vergleich zu allen
anderen Städten in Deutschland wohnen. Die Anwesenheit zahlreicher muslimischer
Familien ist seit den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zunehmend ein Merkmal
dieses Landes geworden. Allerdings wird es notwendig sein, beständig daran zu arbeiten,
sich gegenseitig besser kennenzulernen und zu verstehen. Dies ist nicht nur für ein
friedvolles Zusammenleben wichtig, sondern auch für den Beitrag, den jeder für den
Aufbau des Gemeinwohls in dieser Gesellschaft zu leisten vermag. Viele Muslime
messen der religiösen Dimension des Lebens große Bedeutung bei. Das wird zuweilen
als Provokation aufgefaßt in einer Gesellschaft, die dazu neigt, diesen Aspekt an
den Rand zu drängen oder ihn höchstens im Bereich der persönlichen Entscheidungen
des einzelnen gelten zu lassen. Die katholische Kirche setzt sich entschieden dafür
ein, daß der öffentlichen Dimension der Religionszughörigkeit eine angemessene Anerkennung
zuteil wird. In einer überwiegend pluralistischen Gesellschaft wird dieser Anspruch
nicht bedeutungslos. Allerdings ist darauf zu achten, daß der Respekt gegenüber den
anderen stets gewahrt bleibt. Der gegenseitige Respekt füreinander wächst nur auf
der Basis des Einvernehmens über einige unveräußerliche Werte, die der Natur des Menschen
eigen sind, insbesondere der unverletzlichen Würde jeder einzelnen Person. Dieses
Einvernehmen schränkt den Ausdruck der verschiedenen Religionen nicht ein; im Gegenteil
erlaubt es jedem Menschen, konstruktiv zu bezeugen, woran er glaubt, ohne sich dem
Vergleich mit dem anderen zu entziehen. In Deutschland – wie in vielen anderen,
nicht nur westlichen Ländern – ist dieser allgemeine Bezugsrahmen durch die Verfassung
vorgegeben, deren rechtlicher Gehalt für jeden Bürger verbindlich ist, sei er nun
Mitglied einer Glaubensgemeinschaft oder nicht. Sicher ist die Diskussion über
die beste Formulierung von Prinzipien wie der öffentlichen Religionsausübung weitgreifend
und immer offen, allerdings ist die Tatsache bedeutsam, daß das Grundgesetz sie nun
schon seit über 60 Jahren in einer bis heute gültigen Weise zum Ausdruck bringt (vgl.
Art. 4, 2). In ihm finden wir vor allem jenes gemeinsame Ethos, das Grundlage des
menschlichen Zusammenlebens ist und das in gewisser Weise auch die scheinbar nur formalen
Regeln des Funktionierens der institutionellen Organe und des demokratischen Lebens
prägt. Wir könnten uns fragen, wieso ein solcher Text, der in einer radikal verschiedenen
geschichtlichen Epoche, also in einer fast einheitlich christlichen kulturellen Situation,
erarbeitet worden ist, auch für das heutige Deutschland paßt, das in einer Situation
einer globalisierten Welt lebt und durch einen bemerkenswerten Pluralismus im Bereich
der Glaubensüberzeugungen geprägt ist. Mir scheint, der Grund dafür liegt in der
Tatsache, daß den Vätern des Grundgesetzes in jenem wichtigen Augenblick voll bewußt
war, einen besonders soliden Grund suchen zu müssen, auf dem alle Bürger sich wiederfinden
konnten. Indem sie so handelten, sahen sie nicht von der eigenen Glaubenszugehörigkeit
ab; für nicht wenige von ihnen war ja das christliche Menschenbild die wahre inspirierende
Kraft. Sie wußten aber, daß sie sich mit Menschen anderen konfessionellen und auch
nichtreligiösen Hintergrundes auseinandersetzen mußten: Der gemeinsame Grund wurde
in der Anerkennung einiger unveräußerlicher Rechte gefunden, die der menschlichen
Natur eigen sind und jeder positiven Formulierung vorausgehen. In dieser Weise
legte eine im wesentlichen homogene Gesellschaft das Fundament, das wir heute als
gültig für eine vom Pluralismus geprägte Welt ansehen. Ein Fundament, das in Wirklichkeit
auch einem solchen Pluralismus seine offensichtlichen Grenzen zeigt: Es ist nämlich
nicht denkbar, daß eine Gesellschaft sich auf lange Sicht ohne einen Konsens über
die grundlegenden ethischen Werte halten kann. Liebe Freunde! Auf der Grundlage
dessen, was ich hier angedeutet habe, scheint mir eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen
Christen und Muslimen möglich zu sein. Und damit tragen wir zum Aufbau einer Gesellschaft
bei, die in vieler Hinsicht von dem, was wir aus der Vergangenheit mitbrachten, verschieden
ist. Als Menschen des Glaubens können wir, von unseren jeweiligen Überzeugungen ausgehend,
ein wichtiges Zeugnis in vielen entscheidenden Bereichen des gesellschaftlichen Lebens
geben. Ich denke hier z. B. an den Schutz der Familie auf der Grundlage der Ehegemeinschaft,
an die Ehrfurcht vor dem Leben in jeder Phase seines natürlichen Verlaufs oder an
die Förderung einer größeren sozialen Gerechtigkeit. Auch deshalb halte ich es
für wichtig, einen Tag der Reflexion, des Dialogs und des Gebets für Frieden und Gerechtigkeit
in der Welt zu begehen. Und dies wollen wir am kommenden 27. Oktober durchführen,
25 Jahre nach dem historischen Treffen in Assisi unter der Leitung meines Vorgängers,
des seligen Papst Johannes Pauls II. Mit dieser Zusammenkunft wollen wir in schlichter
Weise zum Ausdruck bringen, daß wir als Menschen des Glaubens unseren besonderen Beitrag
für den Aufbau einer besseren Welt leisten, wobei wir zugleich die Notwendigkeit anerkennen,
für die Wirksamkeit unserer Taten im Dialog und in der gegenseitigen Wertschätzung
zu wachsen. Mit diesen Gedanken entbiete ich Ihnen nochmals meinen herzlichen Gruß
und danke Ihnen für diese Begegnung, die für den Aufenthalt in meinem Vaterland eine
große Bereicherung ist. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! (rv 23.09.2011 sk)
Vor
der Rede Benedikts XVI. hielt der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof
Robert Zollitsch, ein kurzes Grußwort. Hier ist der offizielle Text:
Heiliger
Vater, Eminenzen, Exzellenzen, sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der
Muslime in Deutschland!
Ich bin dankbar, dass Sie, Heiliger Vater, diese Begegnung
ermöglichen. Das gute Zusammenleben der Menschen verschiedener Religionszugehörigkeit,
die Offenheit und Freimütigkeit des interreligiösen Gesprächs und das gemeinsame Zeugnis
von Christen und Muslimen für die Werte der Gerechtigkeit und des Friedens – das sind
die Ziele, denen Sie, Heiliger Vater, sich als Theologe und Papst stets verpflichtet
wissen. Und es sind nicht weniger auch die Ziele der Bischöfe und der ganzen katholischen
Kirche in Deutschland. In diesem Geist sind wir heute Morgen mit Ihnen, verehrte Vertreterinnen
und Vertreter der Muslime, zusammen. So danke ich allen, die zu dieser Begegnung gekommen
sind. Ich wünsche uns eine fruchtbare gemeinsame Zeit, die von dem Einen Gott behütet
und erfüllt ist.