Wulff: „Unsere Geschichte und Kultur eng mit Christentum verbunden“
Bundespräsident Christian
Wulff hat Papst Benedikt vor dem Berliner Schloss Bellevue offiziell begrüßt. „Sie
kommen in ein Land, dessen Geschichte und Kultur eng verflochten sind mit dem christlichen
Glauben und mit dem Ringen um diesen Glauben“, so der katholische Politiker. Allerdings
verstehe sich in Deutschland „der christliche Glaube nicht mehr von selbst“, das sei
gerade auch in Berlin spürbar. Wulff betonte, es sei „wichtig, dass die Kirchen den
Menschen nahe bleiben, dass sie sich trotz Sparzwängen und Priestermangel nicht auf
sich selbst zurückziehen“. Wir dokumentieren hier den Text der Ansprache von Bundespräsident
Wulff in voller Länge. Quelle ist das Bundespräsidialamt.
„Heiligkeit,
mit allen, die hier im Park von Schloss Bellevue versammelt sind, und im Namen der
Menschen in unserem Land sage ich Ihnen: Herzlich willkommen! Herzlich willkommen
in Deutschland! Sie kommen in Ihr Heimatland. Sie kommen in ein Land,
dessen Geschichte und Kultur eng verflochten sind mit dem christlichen Glauben und
mit dem Ringen um diesen Glauben. Sie kommen in ein Land, wo aufrechte Glaubenszeugen
wie Dietrich Bonhoeffer, Bernhard Lichtenberg und Edith Stein mit ihrem Leben gegen
ein gottloses und verbrecherisches Regime einstanden. Sie kommen in ein Land,
das vor 22 Jahren das Wunder einer friedlichen Revolution und die Wiederherstellung
der Einheit Deutschlands und Europas erlebte. Ohne Ihren mutigen Vorgänger Johannes
Paul II., ohne die katholischen Arbeiter in Polen und ohne die christlichen Kirchen
in der DDR, die den Freiheitssuchenden Obdach gaben, wäre das so nicht möglich gewesen.
Dafür danke ich von Herzen! Sie kommen in ein Land, in dem Millionen von Frauen
und Männern sich Tag für Tag aus ihrem Glauben heraus engagieren. In dem gerade in
der kirchlichen Jugendarbeit so viele junge Menschen Verantwortung für sich und andere
übernehmen. Sie kommen auch in ein Land, in dem der christliche Glaube sich
nicht mehr von selbst versteht, in dem die Kirche ihren Ort in einer pluralen Gesellschaft
neu bestimmen muss. Auch hier in Berlin, wo Ihre Reise beginnt, ist das spürbar.
Viele Menschen sind auf der Suche. Eines Ihrer ganz großen Themen, Heiliger Vater,
ist das Verhältnis von Glaube und Vernunft. Das ist alles andere als eine akademische
Debatte: Angesichts ökologischer und wirtschaftlicher Krisen, angesichts von
Unfrieden und Ungerechtigkeit in der Welt, angesichts von Erfahrungen persönlicher
Unsicherheit und Entwurzelung wächst die Sehnsucht nach Sinn. Hier liegt eine Chance
und eben gerade auch eine große Verantwortung der Kirchen und Religionsgemeinschaften.
Auch deshalb ist es so wichtig, dass die Kirchen den Menschen nahe bleiben, dass sie
sich trotz Sparzwängen und Priestermangel nicht auf sich selbst zurückziehen. Was
die christlichen Kirchen leisten, in Diakonie und Caritas, in der Sorge um Arme und
Schwache in unserem Land und überall auf der Welt, das ist einfach großartig und unverzichtbar
für den Zusammenhalt! Wenn Menschen diese Nähe und diesen selbstlosen Einsatz
erfahren, dann hören sie auch die christlichen Botschaften, die nicht immer bequem
für sie sind. Heiliger Vater, Ihre Aussagen zum Schutz der Schöpfung und des menschlichen
Lebens, zum Umgang mit Fremden und Fremdem sind unendlich wertvoll als Mahnung zur
Menschlichkeit unserer Gesellschaft. Auch dafür danke ich Ihnen und allen engagierten
Christen in unserem Land. Kirche und Staat sind bei uns zu Recht getrennt.
Aber: Kirche ist keine Parallelgesellschaft. Sie lebt mitten in dieser Gesellschaft,
mitten in dieser Welt und mitten in dieser Zeit. Deswegen ist sie auch selbst
immer wieder von neuen Fragen herausgefordert: Wie barmherzig geht sie mit Brüchen
in den Lebensgeschichten von Menschen um? Wie mit den Brüchen in ihrer eigenen Geschichte
und mit dem Fehlverhalten von Amtsträgern? Welchen Platz haben Laien neben Priestern,
Frauen neben Männern? Was tut die Kirche, um ihre eigene Spaltung in katholisch, evangelisch
und orthodox zu überwinden? Deutschland ist Stammland der Reformation. Ich
freue mich, dass Sie morgen nach Erfurt fahren, an eine wichtige Wirkungsstätte Martin
Luthers, und dass Sie sich dort mit den Vertreterinnen und Vertretern der evangelischen
Kirchen treffen. Ich bin überzeugt: Das Trennende bedarf der Begründung, nicht das
Gemeinsame. Ich freue mich, dass die katholische Kirche in Deutschland in ihren
eigenen Reihen einen Dialogprozess begonnen hat. Ich weiß aus vielen Gesprächen, dass
nicht nur die engagierten Laien davon sehr viel erwarten. Und die Kirche braucht sie
doch alle. Heiligkeit, Millionen Menschen sehen mit großer Freude und Neugier
auf die kommenden Tage. Ihr Besuch wird die Christen und ihr Engagement stärken.
Und er wird uns allen helfen, Orientierung und Maßstäbe zu finden. Noch einmal
von ganzem Herzen willkommen und Gottes Segen für die Tage bei uns in Deutschland
– in Ihrer Heimat!“