2011-09-21 14:46:35

Lammert: Nicht wirklich durchdachte Protestgesten


RealAudioMP3 Bald ist es soweit und Benedikt wird vor den Bundestagsabgeordneten sprechen. Der Gastgeber ist zuversichtlich: Bundestagspräsident Norbert Lammert ist katholisch. Der CDU-Politiker ist skeptisch, was die Kritik einiger Abgeordneter an der geplanten Rede Benedikts XVI. betrifft. Einen Tag vor dem großen Auftritt Benedikts XVI. unter der Kuppel des Reichstags hat unsere Korrespondentin Gudrun Sailer mit dem Präsidenten des Deutschen Bundestags gesprochen; es ist der (katholische) CDU-Politiker Norbert Lammert.

Herr Präsident, morgen kommt Papst Benedikt XVI. zu Besuch in den Bundestag. Man hat den Eindruck, dass die Gastgeber in Deutschland ein bisschen nervöser sind als der Papst selbst, täuscht der Eindruck?

„Beim Gastgeber habe ich bisher jedenfalls keine Nervosität registrieren können, da ich ihn eingeladen habe und im Deutschen Bundestag Gastgeber bin. Ich freue mich auf diesen Besuch und bin dem Papst ausgesprochen dankbar, dass er meine damalige Einladung angenommen hat. Die öffentliche Aufregung sehe ich mit einer Mischung aus Amusement und Fassungslosigkeit.“

Fassungslosigkeit bezieht sich vermutlich auf den angekündigten Boykott von mehreren Dutzend, bis zu hundert Abgeordneten, was steckt denn dahinter?

„Das müssen Sie die Beteiligten oder die Betroffenen selbst fragen. Es hätte allerdings die große öffentliche Aufmerksamkeit gar nicht gegeben, wenn man dieses scheinbar heldenhafte Auftreten in den Zusammenhang vergleichbarer Abwesenheiten bei wichtigen parlamentarischen Ereignissen gerückt hätte. Auch beispielsweise bei Regierungserklärungen zu wichtigen Themen sind aus unterschiedlichen Gründen unterschiedliche Anzahlen von Mitgliedern des Hauses nicht anwesend, ohne dass daraus gleich Grundsatzfragen hergeleitet würden. Es liegt in der Natur eines frei gewählten Parlamentes mit freien Abgeordneten, dass niemand gezwungen ist, sich etwas anzuhören, was er nicht für wichtig oder nicht akzeptabel hält. Und auch umgekehrt darf jeder Einzelne seine persönlichen Überzeugungen zur Grundlage der Zulässigkeit anderer Reden oder Einladungen machen.“

Dennoch ergibt sich für einen Beobachter von außen der Eindruck, die Argumente, die vorgetragen werden, würden mit einer großen Hitzigkeit vorgetragen. Woran liegt das? Dass ein deutscher Papst im Deutschen Bundestag spricht, erhitzt das die Gemüter?

„Ich glaube nicht, dass es die eine Erklärung dafür gibt. Es hängt sicher damit zusammen, dass sich aus diesem Anlass im wiedervereinigten Deutschland zwei sehr unterschiedliche Traditionen im Verhältnis von Staat und Kirche in besonderer Weise miteinander reiben. Die Situation haben wir in keinem anderen europäischen Land, falls überhaupt sonst irgendwo auf der Welt. Und zweitens haben wir innerkirchlich eine nicht erst mit diesem Besuch verbundene, seit langem zu beobachtende deutliche Auseinandersetzung über Erwartungen an Veränderungen, an Reformen in der Kirche, die sich mit diesem Besuch naturgemäß verbinden. Daraus ergibt sich insgesamt die kritische Masse, die dann leicht mit solchen meiner Meinung nach nicht wirklich durchdachten Protestgesten das Ereignis zu einem Medienspektakel hochschaukeln, das mir unter den genannten Gesichtspunkten unangemessen erscheint.“

Abgeordnete sitzen ja nicht für sich selbst im Parlament, sondern für die Bevölkerung. Wenn man diejenigen fragen würde, für die diese Boykottierenden im Parlament sitzen, was würden die Bürger dazu sagen? Wären sie einverstanden mit dem Fernbleiben ihrer Volksvertreter bei der Papstrede?

„Also soweit man das in Leserbriefen, in Zuschriften, in E-Mails und anderen Meldungen verfolgen kann, gibt es durchaus eine ähnlich breit gefächerte öffentliche Diskussion. Das heißt, die angekündigte demonstrative Abwesenheit von Mitgliedern des Bundestages bei der Rede führt sowohl zu erbosten Reaktionen als auch zu ausdrücklicher Zustimmung. Man muss einräumen, dass es nicht nur eine ganz überwiegend breite Zustimmung gibt, sondern auch einen hartnäckigen, teilweise auch wütenden Protest, von dem man nicht bestreiten kann, dass es ihn gibt. Und dass er legitim ist nach unserer Verfassungsordnung, daran kann auch kein Zweifel bestehen.“

2008 war Papst Benedikt an der römischen Sapienza-Universität eingeladen, da gab es auch Proteste und daraufhin hat der Papst seine Rede dort abgesagt. Haben Sie jemals befürchtet, dass sich so etwas Ähnliches auch im Deutschen Bundestag ergeben könnte?

„Nein, zu keinem Zeitpunkt.“

Man weiß, dass die Rolle der Laien in Deutschland im weltkirchlichen Vergleich eine ganz besondere ist. Die deutschen Laien sind sehr gut organisiert und sie treten mit Stellungnahmen in der Welt auf, die nicht immer zu hundert Prozent mit der katholischen Lehre übereinstimmen. Sie selbst zum Beispiel sind für eine Aufhebung des Pflichtzölibats für katholische Priester. Meinen Sie im allgemeinen, der Papst und der Vatikan schätzen diese sehr offenen Stellungnahmen und die Forderungen nach Reform?

„Uns geht es ja allen so, dass wir bei schwierigen Themen zustimmende Äußerungen zu den eigenen Überzeugungen lieber hören und lesen als anderslautende Überzeugungen. Deswegen könnte ich weder dem Papst noch den deutschen Bischöfen verübeln, wenn sie gelegentliche Stellungnahmen, wie ich sie mit Kollegen etwa zum Thema Seelsorge in Deutschland und zunehmender Priestermangel formuliert habe, nicht mit besonderer Begeisterung zur Kenntnis nehmen. Aber meine durch das II: Vatikanische Konzil geprägte Vorstellung der katholischen Kirche ist nicht die einer Verlautbarungskirche, sondern die einer lebendigen Kirche, in der alle ihre unterschiedlichen Verantwortungen wahrnehmen und sich nicht hinter dem Rücken anderer verstecken.“

Abschließende Frage, Herr Präsident: Was ist für Sie richtig toll daran, dass der Papst nach Deutschland kommt?

„Es ist ein unter jedem Gesichtspunkt ein historisches Ereignis. Zum ersten Mal seit fast 500 Jahren ist ein Deutscher in diesem höchsten Amt der katholischen Kirche. Manches spricht für die Vermutung, dass wir alle zu unseren Lebezeiten ähnliches nicht wieder erleben werden. Zum ersten Mal überhaupt spricht ein Papst vor einem gewählten deutschen Parlament. Das hat es in der jahrhundertealten Geschichte des Landes noch nie gegeben. Somit ist es mit und ohne kirchliche Bindungen und Überzeugungen ein herausragendes historische Ereignis. In respektvoller Würdigung der Skepsis und der Ablehnung , die es bei einzelnen Mitgliedern des Bundestages gibt, habe ich überhaupt keinen Zweifel daran, dass mit dem gebotenen zeitlichen Abstand später einmal niemand Verständnis dafür haben würde, wenn ein gewähltes deutsches Parlament diese Gelegenheit nicht genutzt hätte und den deutscher Papst nicht um eine Rede an die deutsche Bevölkerung gebeten hätte.“

(rv 21.09.2011 gudrun sailer aus berlin)







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