Bald ist es soweit
und Benedikt wird vor den Bundestagsabgeordneten sprechen. Der Gastgeber ist zuversichtlich:
Bundestagspräsident Norbert Lammert ist katholisch. Der CDU-Politiker ist skeptisch,
was die Kritik einiger Abgeordneter an der geplanten Rede Benedikts XVI. betrifft.
Einen Tag vor dem großen Auftritt Benedikts XVI. unter der Kuppel des Reichstags hat
unsere Korrespondentin Gudrun Sailer mit dem Präsidenten des Deutschen Bundestags
gesprochen; es ist der (katholische) CDU-Politiker Norbert Lammert.
Herr Präsident,
morgen kommt Papst Benedikt XVI. zu Besuch in den Bundestag. Man hat den Eindruck,
dass die Gastgeber in Deutschland ein bisschen nervöser sind als der Papst selbst,
täuscht der Eindruck?
„Beim Gastgeber habe ich bisher jedenfalls keine Nervosität
registrieren können, da ich ihn eingeladen habe und im Deutschen Bundestag Gastgeber
bin. Ich freue mich auf diesen Besuch und bin dem Papst ausgesprochen dankbar, dass
er meine damalige Einladung angenommen hat. Die öffentliche Aufregung sehe ich mit
einer Mischung aus Amusement und Fassungslosigkeit.“
Fassungslosigkeit
bezieht sich vermutlich auf den angekündigten Boykott von mehreren Dutzend, bis zu
hundert Abgeordneten, was steckt denn dahinter?
„Das müssen Sie die Beteiligten
oder die Betroffenen selbst fragen. Es hätte allerdings die große öffentliche Aufmerksamkeit
gar nicht gegeben, wenn man dieses scheinbar heldenhafte Auftreten in den Zusammenhang
vergleichbarer Abwesenheiten bei wichtigen parlamentarischen Ereignissen gerückt hätte.
Auch beispielsweise bei Regierungserklärungen zu wichtigen Themen sind aus unterschiedlichen
Gründen unterschiedliche Anzahlen von Mitgliedern des Hauses nicht anwesend, ohne
dass daraus gleich Grundsatzfragen hergeleitet würden. Es liegt in der Natur eines
frei gewählten Parlamentes mit freien Abgeordneten, dass niemand gezwungen ist, sich
etwas anzuhören, was er nicht für wichtig oder nicht akzeptabel hält. Und auch umgekehrt
darf jeder Einzelne seine persönlichen Überzeugungen zur Grundlage der Zulässigkeit
anderer Reden oder Einladungen machen.“
Dennoch ergibt sich für einen
Beobachter von außen der Eindruck, die Argumente, die vorgetragen werden, würden mit
einer großen Hitzigkeit vorgetragen. Woran liegt das? Dass ein deutscher Papst im
Deutschen Bundestag spricht, erhitzt das die Gemüter?
„Ich glaube nicht,
dass es die eine Erklärung dafür gibt. Es hängt sicher damit zusammen, dass sich aus
diesem Anlass im wiedervereinigten Deutschland zwei sehr unterschiedliche Traditionen
im Verhältnis von Staat und Kirche in besonderer Weise miteinander reiben. Die Situation
haben wir in keinem anderen europäischen Land, falls überhaupt sonst irgendwo auf
der Welt. Und zweitens haben wir innerkirchlich eine nicht erst mit diesem Besuch
verbundene, seit langem zu beobachtende deutliche Auseinandersetzung über Erwartungen
an Veränderungen, an Reformen in der Kirche, die sich mit diesem Besuch naturgemäß
verbinden. Daraus ergibt sich insgesamt die kritische Masse, die dann leicht mit solchen
meiner Meinung nach nicht wirklich durchdachten Protestgesten das Ereignis zu einem
Medienspektakel hochschaukeln, das mir unter den genannten Gesichtspunkten unangemessen
erscheint.“
Abgeordnete sitzen ja nicht für sich selbst im Parlament,
sondern für die Bevölkerung. Wenn man diejenigen fragen würde, für die diese Boykottierenden
im Parlament sitzen, was würden die Bürger dazu sagen? Wären sie einverstanden mit
dem Fernbleiben ihrer Volksvertreter bei der Papstrede?
„Also soweit man
das in Leserbriefen, in Zuschriften, in E-Mails und anderen Meldungen verfolgen kann,
gibt es durchaus eine ähnlich breit gefächerte öffentliche Diskussion. Das heißt,
die angekündigte demonstrative Abwesenheit von Mitgliedern des Bundestages bei der
Rede führt sowohl zu erbosten Reaktionen als auch zu ausdrücklicher Zustimmung. Man
muss einräumen, dass es nicht nur eine ganz überwiegend breite Zustimmung gibt, sondern
auch einen hartnäckigen, teilweise auch wütenden Protest, von dem man nicht bestreiten
kann, dass es ihn gibt. Und dass er legitim ist nach unserer Verfassungsordnung, daran
kann auch kein Zweifel bestehen.“
2008 war Papst Benedikt an der römischen
Sapienza-Universität eingeladen, da gab es auch Proteste und daraufhin hat der Papst
seine Rede dort abgesagt. Haben Sie jemals befürchtet, dass sich so etwas Ähnliches
auch im Deutschen Bundestag ergeben könnte?
„Nein, zu keinem Zeitpunkt.“
Man
weiß, dass die Rolle der Laien in Deutschland im weltkirchlichen Vergleich eine ganz
besondere ist. Die deutschen Laien sind sehr gut organisiert und sie treten mit Stellungnahmen
in der Welt auf, die nicht immer zu hundert Prozent mit der katholischen Lehre übereinstimmen.
Sie selbst zum Beispiel sind für eine Aufhebung des Pflichtzölibats für katholische
Priester. Meinen Sie im allgemeinen, der Papst und der Vatikan schätzen diese sehr
offenen Stellungnahmen und die Forderungen nach Reform?
„Uns geht es ja
allen so, dass wir bei schwierigen Themen zustimmende Äußerungen zu den eigenen Überzeugungen
lieber hören und lesen als anderslautende Überzeugungen. Deswegen könnte ich weder
dem Papst noch den deutschen Bischöfen verübeln, wenn sie gelegentliche Stellungnahmen,
wie ich sie mit Kollegen etwa zum Thema Seelsorge in Deutschland und zunehmender Priestermangel
formuliert habe, nicht mit besonderer Begeisterung zur Kenntnis nehmen. Aber meine
durch das II: Vatikanische Konzil geprägte Vorstellung der katholischen Kirche ist
nicht die einer Verlautbarungskirche, sondern die einer lebendigen Kirche, in der
alle ihre unterschiedlichen Verantwortungen wahrnehmen und sich nicht hinter dem Rücken
anderer verstecken.“
Abschließende Frage, Herr Präsident: Was ist für Sie
richtig toll daran, dass der Papst nach Deutschland kommt?
„Es ist ein unter
jedem Gesichtspunkt ein historisches Ereignis. Zum ersten Mal seit fast 500 Jahren
ist ein Deutscher in diesem höchsten Amt der katholischen Kirche. Manches spricht
für die Vermutung, dass wir alle zu unseren Lebezeiten ähnliches nicht wieder erleben
werden. Zum ersten Mal überhaupt spricht ein Papst vor einem gewählten deutschen Parlament.
Das hat es in der jahrhundertealten Geschichte des Landes noch nie gegeben. Somit
ist es mit und ohne kirchliche Bindungen und Überzeugungen ein herausragendes historische
Ereignis. In respektvoller Würdigung der Skepsis und der Ablehnung , die es bei einzelnen
Mitgliedern des Bundestages gibt, habe ich überhaupt keinen Zweifel daran, dass mit
dem gebotenen zeitlichen Abstand später einmal niemand Verständnis dafür haben würde,
wenn ein gewähltes deutsches Parlament diese Gelegenheit nicht genutzt hätte und den
deutscher Papst nicht um eine Rede an die deutsche Bevölkerung gebeten hätte.“