Im europäischen Teil
Russlands sind dieMenschen mehrheitlich russisch-orthodoxen Glaubens. Die Belastungen
des Kommunismus haben das kirchliche Leben nahezu ausgelöscht. Zum Wiederaufbau kirchlichen
Lebens werden auch unkonventionelle ldeen in die Tat umgesetzt.
Es ist Mittag,
irgendwo in einer russischen Siedlung am Ufer der Wolga. Alles ist ruhig. Plötzlich
durchbricht ein unbekannter Klang die Stille, zunächst leise, dann immer lauter. Der
Klang kommt vom Fluss her. Und dort taucht - auf dem Wasser - eine kleine Kuppel auf,
ein Zwiebelturm, wie von einer orthodoxen Kappelle...
Seit Ende der 90er Jahre
sind im europäischen Teil Russlands Kapellenboote unterwegs. Während der eisfreien
Zeit zwischen April und Oktober steuern sie kleine und größere Siedlungen entlang
der Flüsse Don und Wolga an. In diesem Gebiet hatte es früher viele orthodoxe Kirchen
gegeben. Siebzig Jahre Kommunismus haben die Situation jedoch grundlegend verändert.
„Viele
Kirchen sind zerstört worden unter dem Kommunismus“, erklärt Berthold Pelster
von dem katholischen Hilfswerk „Kirche in Not“. „Dann kam der Zweite Weltkrieg,
wo weitere Kirchen zerstört worden sind, und nach dem Weltkrieg ist eigentlich nichts
mehr aufgebaut worden, im Gegenteil, die Kommunismen haben das kirchliche Leben weiterhin
unterdrückt und die Kirchen, die es noch gab, sind nach und nach verfallen, weil sie
einfach vernachlässigt wurden, und so war es dann so, dass nach dem Zusammenbruch
des Kommunismus das kirchliche Leben fast ausgelöscht war.“
Die Straßen
in den betroffenen Gebiete sind in einem schlechten Zustand, was es noch schwerer
macht, gerade die kleineren Siedlungen zu erreichen. Die Idee, den Menschen die Kirche
auf dem Wasserweg zu bringen, hatte der orthodoxe Bischof von Wolgograd, German Timofejew.
Bei der Umsetzung seiner Idee ist man zunächst relativ einfach vorgegangen.
„Ganz
am Anfang hat man einen Lastkahn genommen, einen Kahn ohne eigenen Motor, und hat
auf diesem Kahn einfach eine kleine Kapelle errichtet, eine kleine Kirche nach orthodoxer
Art mit einem kleinen Zwiebelturm, also ganz typisch, eine Kapelle, die einige Dutzend
Leute aufnehmen kann. Diese Kapelle aus Holz hat man auf dem Kahn errichtet und hat
den Kahn dann mit einem Schleppschiff von Siedlung zu Siedlung hingeschoben, hingefahren.“
Die
Menschen wurden dazu eingeladen, zum Teil nach Jahrzehnten zum ersten Mal wieder einen
orthodoxen Gottesdienst mitzufeiern. Das Besondere an dem Projekt ist übrigens auch
dessen ökumenischer Ansatz. „Kirche in Not“ war von Anfang an daran beteiligt, um
den Wiederaufbau der orthodoxen Kirche zu unterstützen.
Wenn die Seelsorger
an den Siedlungen entlang der Flüsse anlegen, werden aber nicht nur Gottesdienste
gefeiert, sondern auch andere Arten der Seelsorge angeboten. Was heißt das genau?
„Diese
Menschen hatten vielleicht noch nie Gelegenheit, sich taufen zu lassen, wissen kaum
etwas über den christlichen Glauben, und so werden Taufen gespendet, auch Trauungen
zum Beispiel. Ehepaare, die schon seit Jahren, seit Jahrzehnten zusammenleben, aber
noch nie die Gelegenheit hatten, sich durch einen orthodoxen Priester trauen zu lassen,
können das nachholen. Die Priester und Diakone gehen aber auch zu den Menschen nach
Hause, machen Hausbesuche und segnen die Wohnungen, oder sie gehen zu den Friedhöfen
hin und ehren die Toten und beten für sie. Also, es gibt eine ganze Palette von Zeremonien
und Seelsorge, die dort betrieben wird."
Papst Johannes Paul II. war damals
selbst an „Kirche in Not“ herangetreten mit dem Anliegen, der orthodoxe Kirche Russlands
zu helfen, die wie keine andere Kirche unter der Christenverfolgung gelitten hat.
Außerdem war es ihm besonders wichtig, zur Versöhnung aller Christen seinen Beitrag
zu leisten. Und so erfüllen die Kapellenboote bis heute eine wichtige Aufgabe in der
Ökumene.
„Nach der langen Zeit des Kommunismus ist Russland heute Missionsgebiet.
Es ist wirklich ein Gebiet, wo Neuevangelisierung geleistet werden muss, eine immense
Aufgabe für die orthodoxe Kirche. Aber was Hoffnung macht, ist eben, dass kirchliches
Leben ganz langsam wieder in Gang kommt, dass Gemeinden entstehen, dass sich Gemeinden
ausdehnen können, dass sie größer werden können, und so kann das Land ganz langsam
wieder mit christlichem Geist und christlichem Leben durchdrungen werden.“