D: Erinnerung an den 11. September „ohne Hassgefühle“
In München beginnt
an diesem Wochenende das neue Friedenstreffen der Religionen, ausgerichtet von der
römischen Basisgemeinschaft Sant`Egidio. Debatten, Gottesdienste, Gebete und – zum
Schluß – eine Friedenserklärung der Religionen stehen auf dem Programm. Marco Impagliazzo,
der Präsident von Sant`Egidio, sagte uns in einem Interview:
„Wir haben
in den letzten zehn Jahren versucht, dieses Gewebe des Zusammenlebens, des gegenseitigen
Respekts und auch der Sympathie zwischen den Völkern neu zu knüpfen. Die Terrordrohungen
haben Löcher darin aufgerissen, aber auch die Reaktionen, die es auf den Terrorismus
gab. In diesen zehn Jahren haben wir viel gearbeitet, um in die Welt wieder diese
Sympathie hineinzubringen, die vielen Völkern dringend gefehlt hat: diesen vom Evangelium
gelenkten Blick. Wir sind zu sehr auf uns selbst und unsere Ängste fixiert und haben
deswegen den ärmeren Teil der Welt etwas aus den Augen verloren. Dieser hat auch deswegen
stärker gelitten, weil wir mehr mit uns selbst beschäftigt waren.“
Die
Friedenstreffen von Sant`Egidio schreiben eine Tradition fort, die mit Papst Johannes
Paul II. begonnen hat. 1986 lud der Papst aus Polen erstmals Vertreter aller großen
Religionen und Konfessionen zu einem Treffen nach Assisi ein, in die Stadt des heiligen
Franziskus. Die Sant-Egidio-Treffen werden jedes Jahr in einer anderen Stadt ausgerichtet;
vor acht Jahren gab es schon mal eines in Aachen.
„Unser Leuchtturm war:
auf das Herz des Menschen zu schauen. Er braucht immer Bekehrung, aber vor allem Liebe.
Der selige Johannes Paul II., der letzte große Prophet, hat uns sehr ermutigt, wenn
er sich gegen den Zusammenprall der Kulturen einsetzte und gegen neue Kriege – er
hielt sie für „Abenteuer ohne Wiederkehr“. Viele, auch Nichtglaubende, haben uns unterstützt
und wollen jetzt auch in München darüber nachdenken, dass wir – so heißt auch der
Titel des Friedenstreffens – zum Zusammenleben berufen sind.“
Einer der
Höhepunkte des Münchner Treffens wird die Live-Schaltung zum New Yorker Ground Zero
sein – am 11. September, dem zehnten Jahrestag der Terroranschläge. Auch der deutsche
Bundespräsident Christian Wulff wird an diesem Moment teilnehmen.
„Ein Moment,
bei dem wir alle Hass- oder Rachegefühle beiseitelassen wollen. Wir sollten als erstes
die Gefühle der Angehörigen der Opfer respektieren und die Gefühle der Opfer selber.
In den letzten Tagen sind viele der letzten Botschaften der Opfer in den Zwillingstürmen
des World Trade Center veröffentlicht worden. Alle diese Botschaften bestehen aus
Gebeten, Grüßen an die Angehörigen, aber es gibt in ihnen kein einziges Wort der Rache
oder des Hasses! Wir selber haben vor zehn Jahren den 11. September in diesem Geist
erlebt. Wir haben gesagt: Wir sind alle Amerikaner, wir haben ein starkes Mitgefühl
mit dem Schmerz dieser Menschen gespürt. An diese Gefühle erinnern, die trotz ihrer
Trauer doch positive Gefühle waren – das wollen wir tun, um darauf eine bessere Welt
aufzubauen.“
Und noch ein Termin wird wohl sehr emotional: der Besuch auf
dem Gelände des früheren Konzentrationslagers Dachau. Der frühere Präsident des Päpstlichen
Friedensrates, Kardinal Roger Etchegaray, wird die Führung über das Gelände übernehmen.
Impagliazzo meint dazu:
„Dachau liegt sehr nahe an München. Dieses Lager
erinnert nicht nur an das Leiden der Juden, sondern auch an das Martyrium vieler Christen
aus allen Konfessionen. Außer Kardinal Etchegaray werden uns darum auch orthodoxe
und evangelische Bischöfe über das Lagergelände begleiten. Dachau ist nämlich auch
ein Symbol der Einheit der Christen im Martyrium. Wir wollen das frühere KZ vor allem
mit Jugendlichen aus Deutschland und aus vielen Teilen Europas besuchen, damit sie
dann sagen: So etwas darf nie wieder passieren! Das Europa, das wir in Frieden und
Einheit aufgebaut haben, muss immer mehr gestärkt werden.“