2011-09-03 13:29:14

Mathias Énard: Zone


RealAudioMP3 Die französische Originalausgabe dieses Romans (oder eher Epos) ist im Verlag Babel erschienen. Das passt. Denn Mathias Enards Buch „Zone“ hat das Zeug zum Mythos: 24 Kapitel wie die „Ilias“ des Homer, mit dem die Rezensenten es denn auch prompt verglichen haben. Ein ununterbrochener Gedankenstrom ohne trennende Punkte – wie bei den in Wachstafeln geritzten Epen der Antike. Eine gedankliche Bahnreise, nachts, durch neun Bahnhöfe zwischen Milano und Roma Termini, die die neun Kreise von Dantes Hölle heraufbeschwören.

Der Ich-Erzähler ist ein früherer Mitkämpfer der Balkankriege, der auch mal für den CIA gearbeitet hat; er führt in seinem durch die Nacht rumpelnden Abteil Listen mit sich, die er dem Vatikan übergeben will. Schließlich ist dieser doch für das Ewige zuständig. Penibel sind in diesen Listen die Namen von Kriegsverbrechern aller großen Konflikte des zwanzigsten Jahrhunderts aufgeführt: Namen, die sich bei der Reise durchs Dunkle mit der Erinnerung an frühere Kämpfe und Schlachtfelder mischen. Wie im Rausch verklumpt hier die neuere Geschichte des ganzen Mittelmeerraumes zu einer Geschichte von Blut und Gewalt. Das Fehlen der Punkte sorgt dafür, dass die 24 Kapitel (oder, wenn man den Vergleich mit Homer pointieren will, „Gesänge“) zu einem Kaddisch werden, einem Totengesang auf die Rasereien und Irrtümer unserer Zone.

Erst ganz am Schluss dieser nächtlichen Hetzjagd steht ein Punkt: „Laßt uns noch schnell eine Zigarette rauchen, bevor die Welt untergeht“. Punkt. Das ist von einer Eindringlichkeit, die den Leser nachdenklich, ja bestürzt – und doch irgendwie erleichtert zurückläßt. Ja, vielleicht ist dieses Buch wirklich eine Ilias (oder eher eine Odyssee) unserer Zeit, wert, auch im Vatikan zu den Akten genommen zu werden, wie sich der Ich-Erzähler das so wünscht.

Das Buch ist im Berlin Verlag erschienen und kostet 28 Euro.

(rv 03.09.2011 sk)








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