D: Wiederverheiratete, „eine Frage der Barmherzigkeit“
Es ist für ihn eine
„Frage der Barmherzigkeit“: Der Freiburger Erzbischof, Robert Zollitsch, rechnet mit
Reformen im Umgang der Kirche mit Menschen, die geschieden und wiederverheiratet sind.
Der Wochenzeitung „Die Zeit“ sagte er wenige Wochen vor dem Papstbesuch in Deutschland
– und auch in Freiburg – wörtlich: "Wir stehen ja ganz allgemein vor der Frage, wie
wir Menschen helfen, deren Leben in wichtigen Dingen unglücklich verlaufen ist. Dazu
gehört auch eine gescheiterte Ehe."
„Darüber werden wir in nächster Zeit
intensiv sprechen“, so Zollitsch. Und er zeigt sich überzeugt, dass die katholische
Kirche in den nächsten Jahren in dieser Frage weiterkomme. Der Erzbischof bezieht
sich in dem Interview auch auf Bundespräsident Christian Wulff, der als Katholik geschieden
ist und wieder geheiratet hat: Wulff sei ein Katholik, der „seinen Glauben lebt und
darunter leidet, wie die Situation ist".
„Erzbischof Zollitsch hat in keiner
Weise die Unauflösbarkeit der Ehe in Frage gestellt. Das steht auch überhaupt nicht
zur Disposition, das ist in der katholischen Kirche selbstverständlicher Bestandteil
ihres Glaubens.“
Darauf weist der Freiburger Moraltheologe Eberhard Schockenhoff
hin. Er hat gerade ein Buch zum Thema geschrieben – der Titel: „Chancen zur Versöhnung“...
mit Fragezeichen. Im Gespräch mit dem Kölner Domradio meint er:
„Was Erzbischof
Zollitsch angemahnt hat, ist ein barmherziger Umgang mit denjenigen Christen, die
in ihrer ersten Ehe gescheitert sind, vielleicht auch schuldlos verlassen wurden,
und die nun aus Gründen, die sie in ihrem Gewissen, in der Deutung ihrer Lebenserfahrung
verantworten können, ein zweites Mal geheiratet haben, vielleicht auch um Verantwortung
für den Partner und Kinder, die in dieser zweiten Ehe leben, zu übernehmen.“
Diese
Christen sind von Sakramenten ausgeschlossen. Überdies, und das ist weniger bekannt,
sind sie auch mit anderen Kirchenstrafen belegt: Sie dürfen zum Beispiel kein kirchliches
Amt übernehmen, im Pfarrgemeinderat oder als Lektor. Bei einem kirchlichen Dienstherrn
müssen sie sogar die Kündigung befürchten.
„Da lautet der Vorstoß nun,
dass diese kirchenrechtlichen Disziplinarmaßnahmen, die die Kirche bisher für unabdingbar
hält, überprüft werden und dass man einen anderen Weg geht, der barmherziger ist und
der auch mehr dem Wesen der Eucharistiefeier entspricht, die ja nicht nur eine Anerkennung
für tadelloses Verhalten darstellt, auch nicht nur die Dankesfeier der Erlösten ist,
sondern gleichzeitig auch selbst sündenvergebende Kraft hat: der ausgestreckte Arm
der Liebe Gottes, den er auch den Sündern hinhält, so dass auch die wiederverheirateten
Geschiedenen an der Eucharistiefeier teilnehmen könnten. Dadurch würde deutlich, dass
die Kirche auch Versöhnungsgemeinschaft ist.“
Das ist sie allerdings auch
jetzt schon. So besteht etwa unter kirchenrechtlich genau umrissenen Bedingungen die
Möglichkeit abzuklären, ob die Ehe wirklich gültig zustande gekommen ist. Wenn nicht,
kann sie annulliert werden, was den Weg für eine neue kirchliche Ehe freimacht. Zugegeben:
ein manchmal langwieriges Verfahren, dessen Ausgang überdies von Fall zu Fall offen
ist. Dem Moraltheologen Schockenhoff geht es aber um einen anderen Fall: Eine erste
Ehe hatte Bestand, war gültig - und scheiterte. Wenn ein katholischer Partner in einer
solchen Situation eine neue Verbindung eingehe, dann müsse es doch eine Möglichkeit
geben, ihn zu den Sakramenten zuzulassen, vor allem zum Empfang der Kommunion. „Das
könnte die Kirche einmal dadurch tun, dass sie die Gewissensentscheidung der Betreffenden
anerkennt und das moralische Verdikt, das über einer zivilen Zweitehe liegt, aufhebt.
Wie gesagt, das kann ein verantwortlicher Weg sein, man kann von außen nicht jede
Entscheidung für eine zivile Zweitehe als objektiv schwere Sünde qualifizieren. Man
kann das Leben in einer zivilen Zweitehe auch nicht als fortgesetzten Ehebruch darstellen,
wie das die kirchenamtliche Lösung tut. Sondern es ist durchaus möglich, dass die
Einzelnen, auch wenn sie Schuldanteile beim Zerbrechen der ersten Ehe zu bereuen haben,
das wiedergutmachen. Damit sie nun in der zweiten Ehe das leben können, was eigentlich
von den menschlichen Werten her, auch nach katholischem Verständnis, einer Ehe entspricht:
also Treue, Entschiedenheit für einander, das gegenseitige für einander Einstehen,
Verantwortung für die Kinder.“
Das wäre dann nicht „Ausdruck von Verantwortungslosigkeit
oder von Verharren in offensichtlicher öffentlicher Sünde“, sondern könne „durchaus
ein verantwortlicher Lebensweg sein“, glaubt Schockenhoff. Und wörtlich: „Das sollte
die Kirche aus Respekt vor der Lebenserfahrung ihrer Gläubigen und ihrem eigenen Gewissensurteil
anerkennen.“
„Und diese Anerkennung könnte sie dadurch zum Ausdruck bringen,
zum Beispiel in einer Segensfeier für in einer zivilen Zweitehe lebende Christen oder
in einem Akt der Wiederaufnahme in die Kommunionsgemeinschaft, da gäbe
es verschiedene Möglichkeiten. Mit seinem Vorstoß möchte Erzbischof Zollitsch die
Debatte innerhalb der deutschen Diözesen darüber eröffnen. Das ist sicher auch im
Zusammenhang mit dem Dialogprozess zu sehen.“
Beim Dialogprozess der deutschen
Kirche, der vor kurzem in Mannheim startete, war tatsächlich der Ruf nach einer barmherziger
auftretenden Kirche deutlich zu hören. Schockenhoff glaubt, dass im Rahmen des Dialogprozesses
– und in der Tradition eines berühmten Hirtenbriefes von oberrheinischen Bischöfen
vor zwanzig Jahren – die deutsche Kirche vielleicht zu einem neuen Umgang mit Geschiedenen
und Wiederverheirateten findet. Dazu müssten sich jetzt die einzelnen Bischöfe einmal
über die Frage austauschen.
Der erste, der damit anfängt, ist der Kölner Kardinal
Joachim Meisner: Er hat sich, nachdem ihn viele Anfragen erreichten, den kompletten
Text des Interviews mit Erzbischof Zollitsch kommen lassen.
„Und da war
ich doch zunächst positiv überrascht - das muss ich ehrlich sagen - aufgrund der vielen
Anfragen. Das erste, was ich sagen muss: Ich war froh, dass der Erzbischof von Freiburg
das Interview gegeben hat und nicht der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz.
Denn wenn der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz ein solches Interview gibt,
dann kann er nur der Sprecher aller Bischöfe sein und dann muss er sich auch des Konsenses
der Bischöfe vergewissern. Aber so hat der Erzbischof von Freiburg ein Interview gegeben
und ich betone es noch einmal: Ich war sehr berührt von dem Glaubenszeugnis, das er
darin gegeben hat.“
Allerdings sieht der Kardinal von Köln nicht viel Spielraum
für die Kirche, sich gegenüber Geschiedenen und Wiederverheirateten barmherziger zu
gebärden. Schließlich dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass die Kirche an der Unauflöslichkeit
der Ehe rüttle.
„Ich kann nur ganz schlicht Folgendes sagen: Die Ehe ist
und bleibt unauflöslich. Und zwar ist das keine Marotte der Kirche, sondern die Ehe
ist die reale Repräsentanz für die unaufkündbare Hingabe Christi an die Kirche und
damit an die Welt. Und das macht auch die große Würde und die Schönheit und vielleicht
auch die Last der Ehe aus, weil die Hingabe Christi an die Welt, an die Menschen,
an die Kirche unkündbar ist. Deswegen kann ich mir nicht vorstellen, dass die Unauflöslichkeit
der Ehe von der Kirche aufgegeben werden kann.“
Schon in der Bibel ist
die unkündbare Ehe Abbild des dauerhaften Bundes Gottes mit seinem Volk. Das weiß
auch der Moraltheologe Schockenhoff.
„In die Theologie der Ehe müssen natürlich
die Unauflöslichkeit der Ehe, die Forderung nach Einhaltung der ehelichen Treue, die
Monogamie, die Ausrichtung auf Kinder, als Grundaussagen auf weltkirchlicher Ebene
gemeinsam bekannt werden. Das gehört zum katholischen Glaubensverständnis.“
Das
sei das eine - die seelsorgerische Praxis im Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen
sei aber das andere, meint Schockenhoff.
„Da könnte auch eine Ortskirche
einen Vorstoß wagen, der dann von der Weltkirche zunächst einmal entgegengenommen
oder auch positiv angenommen wird. Das müsste also nicht immer ein Akt des Papstes
von oben sein, sondern da könnten auch die deutschen Diözesen untereinander, vielleicht
als Ergebnis des Dialogprozesses, zu einer Neuregelung kommen“.
Der Papst
immerhin wird gelegentlich auch von Priestern darauf angesprochen, ob sie nicht barmherziger
verfahren können mit wiederverheiratet Geschiedenen, die zu ihnen in die Kirche kommen.
„Ja, das ist ein schmerzliches Problem, und gewiss gibt es kein einfaches
Rezept, mit dem es gelöst werden könnte. Wir alle leiden unter diesem Problem, weil
wir alle in unserer Nähe Menschen haben, die sich in solchen Situationen befinden.
Und wir wissen, dass es für sie schmerzhaft und leidvoll ist, weil sie in voller Gemeinschaft
mit der Kirche stehen wollen.“
Das meinte Benedikt XVI. im Sommer 2007
bei einem Frage-Antwort-Auftritt mit Priestern im Aosta-Tal. Was tun? Der Papst setzt
zunächst einmal auf Prävention: Bessere Ehevorbereitung vor allem. Ein Priester könne
heute nicht mehr einfach davon ausgehen, dass zwei Partner vor dem Altar heiraten
wollen, weil sie wirklich zu einer christlichen Ehe entschlossen sind. Vielleicht
geht es den beiden ja auch nur um ein schönes Foto fürs Familienalbum: Hochzeit in
Weiß, weil das alle so machen.
„Und das, was heute alle tun, entspricht
nicht mehr einfach nur der natürlichen Ehe gemäß dem Schöpfer, gemäß der Schöpfung.
Das, was die meisten tun, ist zu heiraten mit der Vorstellung, dass die Ehe eines
Tages scheitern könnte und man so eine andere, eine dritte und eine vierte Ehe eingehen
könne. Dieses Modell »wie alle es tun« wird so zu einem Modell, das im Gegensatz zu
dem steht, was die Natur sagt. So wird es normal, zu heiraten, sich scheiden zu lassen,
sich wiederzuverheiraten, und niemand meint, dass es etwas sei, das gegen die menschliche
Natur geht, oder wenigstens findet man nur sehr schwer jemanden, der so denkt.“
Als
Benedikt XVI. New York besuchte, da ging auch der frühere Bürgermeister Rudy Giuliani
bei der Papstmesse in der St. Patrick Cathedral zur Kommunion: ein Katholik, der mittlerweile
zum dritten Mal verheiratet ist. Benedikt XVI. betont: Die Priester müssten schon
bei der Ehevorbereitung ganz klar machen, dass die kirchliche Ehe nicht auflösbar
ist.
„Wir müssen hinter dem, was alle tun, das wiederentdecken, was die
Natur selbst uns sagt. Und sie sagt etwas anderes als das, was heute zur Gewohnheit
geworden ist. Sie lädt uns nämlich ein zu einer Ehe für das ganze Leben, in lebenslanger
Treue, auch mit den Leiden, die das gemeinsame Wachsen in der Liebe mit sich bringt.“
Doch
der Papst aus Deutschland ist Realist: „Die Vorbereitung allein genügt nicht; die
großen Krisen kommen später“, sagt er. Und darum sei „eine ständige Begleitung“ der
Eheleute „wenigstens in den ersten zehn Jahren sehr wichtig“. Aus seiner Sicht eine
Aufgabe für die Pfarreien: nicht nur für die Seelsorger, sondern auch für Familien,
die schon durch Krisen gegangen sind.
„Es ist wichtig, dass es ein Netzwerk
von Familien gibt, die einander helfen, und verschiedene Bewegungen können hier einen
großen Beitrag leisten.“
Und wenn die Ehe trotzdem scheitert? Dann verweist
Benedikt XVI. als erstes auf die Möglichkeit des Ehenichtigkeits-Verfahrens. Aber:
„Wenn
es eine wirkliche Ehe war und sie also nicht wieder heiraten können, dann hilft die
ständige Gegenwart der Kirche diesen Personen, eine andere Form des Leidens zu tragen:
... das Leiden, in einer neuen Bindung zu stehen, die nicht die sakramentale Bindung
ist und die daher die volle Gemeinschaft in den Sakramenten der Kirche nicht zulässt.
Hier muss gelehrt und gelernt werden, mit diesem Leiden zu leben.“
Der
Papst ist davon überzeugt, dass die Menschen unserer Zeit ganz allgemein wieder „den
Wert des Leidens lernen“ und Leiden aushalten sollten.
„Wir müssen lernen,
dass das Leiden eine sehr positive Wirklichkeit sein kann, die uns dabei hilft zu
reifen, mehr zu uns selbst zu kommen, näher beim Herrn zu sein, der für uns gelitten
hat und der mit uns leidet. Auch in dieser Lage ist daher die Gegenwart des Priesters,
der Familien, der Bewegungen, die persönliche und gemeinschaftliche Nähe, die Hilfe
der Nächstenliebe, eine ganz besondere Liebe, außerordentlich wichtig.“
Die
Christen sollten wiederverheiratet Geschiedenen „in vielerlei Form“ ihre Liebe zeigen
und ihnen zur Seite stehen. Dann könnten die Betroffenen erkennen, dass sie „von Christus
geliebte Menschen“ sind und „Glieder der Kirche, auch wenn sie sich in einer schwierigen
Situation befinden“.
Zurück zur Debatte in Deutschland: Der Nuntius hat in
dieser Frage vor überhöhten Erwartungen an den Papstbesuch gewarnt. In Sachen wiederverheirat
Geschiedene sei „die Lehre der Kirche klar und mit einer Veränderung nicht
zu rechnen“, so Erzbischof Jean-Claude Périsset.