Vatikanisches Geburtstagskind: Die Audienzhalle wird 40
Der Vatikan feiert
in diesem Sommer ein ganz besonderes Geburtstagskind: Die Audienzhalle des Papstes
wird 40 Jahre alt. Wer sie von Audienzen her kennt, vermutet hinter diesem Betonbau
zunächst einmal nicht viel, dabei ist sie aber gebautes Zweites Vatikanisches Konzil. Die
Halle, nach seinem Architekten Sala Nervi oder ihrem Erbauer Aula Paulo VI. genannt,
verkörpert die Ideen der Begegnung und der Gemeinschaft. So sieht es der Publizist
Conny Cossa, der sich eingehend mit dem Bau befasst und ein Buch über den Bau des
Architekten Pier Luigi Nervi geschrieben hat. Er sieht vor allem die Grundidee der
Pastoralkonstitution des Konzils, Gaudium et Spes, von Papst Paul VI. dort verwirklicht:
„Er wollte keine klassische Audienzhalle wo Leute hinkommen um jemandem
zuzuhören oder jemanden vorbeiziehen zu sehen, sondern er wollte eine Art Plattform,
wo Kommunikation möglich ist. Viele Leute kennen diese Audienzhalle von Nervi, es
waren ja bereits über 15 Mio Menschen bei Audienzen in der Halle. Im ersten Augenblick
glaubt man, dass es ein typischer Theaterraum ist: Man hat das Publikum, dann gibt
es ein par Stufen und eine Bühne und auf der Bühne ist der Papstthron. Aber die Halle
ist in Wirklichkeit viel komplexer. Der Fußboden der Halle ist natürlich
zum Bereich des Papstthrones hin geneigt, er ist aber auch zur Mitte hin geneigt.
Wenn sie als Pilger in der Halle sind, sehen sie nicht nur perfekt und ohne Blickhindernisse
den Papst, sie sehen auch alle anderen Leute, die in der Halle sind. Sie haben zum
einen dieses Gemeinschaftsgefühl mit der Masse, und sie haben das Gefühl, dass sie
dem Papst sehr nahe sind, weil sie ihn direkt sehen können. Diese doppelt
geneigte Gestaltung der Halle ist sehr wichtig. Für Paul VI. war dieses ganze Konzept
von Dialog von Kirche und Welt extrem wichtig.“
Insgesamt passen bis maximal
12.000 Menschen in die Halle, so Cossa. Aber es ist kein Raum, der nur dazu dient,
Massen unterzubringen. Der Raum entwickelt eine eigene Form der Veranstaltung, ein
eigenes Ritual. Die Audienz, wie wir sie heute kennen mit Begrüßung, Lesung und Katechese,
entsteht erst mit Paul VI. und drückt aus, was der Papst und seine Nachfolger beabsichtigen.
So ist die Halle gebaute Veränderung.
„Es war sicher eine große Revolution,
dass bereits unter Papst Johannes XXIII. die Audienz zu einem Event für alle wurde.
Die ürsprünglichen Audienzen waren nicht für jedermann. Man brauchte besondere Genehmigungen
und es war recht kompliziert, den Papst als lebendiges Wesen zu treffen und ihn zu
sehen. Die klassischen Audienzen bis Johannes XXIII. fanden in verschiedenen Räumen
im Apostolischen Palast statt, die je nach Anlass auch gewechselt wurden, da gab es
keine festgelegten Regeln. Es war auch der ganze Ablauf der Audienz sehr flexibel.
Die ältesten Aufzeichnungen aus dem 19. Jahrhundert gehen davon aus, das die Audienz
ein Moment ist, wo Pilger oder prominente Besucher – Pilger sind damals ausschließlich
prominente Besucher – den Papst treffen können und ihm den Ring küssen können. Das
ist der Höhepunkt der Audienz. Es war noch gar nicht üblich, dass in diesen
frühen Audienzen der Papst Ansprachen hielt und die Audienz als Plattform für Botschaften
verwendet hat. Papst Pius XII. hat begonnen, bei Audienzen Botschaften aus
dem Stehgreif an die Menschen zu richten. Diese wurden recht oft, weil sie die direkte
Aussage des Papstes waren, von Journalisten rezipiert und kamen dann auch in die Medien.“
Und
damit entsteht eine neue Form der Audienz, die sich im Gebäude links neben dem Petersdom
auch baulich verwirklicht. Einen Raum, wie es ihn so im Vatikan überhaupt noch nicht
gegeben hat.
„Es ist auffällig, wenn sie sich die Audienzhalle anschauen:
Es ist zwar zum einen ein spiritueller Ort, es ist aber trotzdem kein Sakralort. Es
wurden dort nie Gottesdienste zelebriert, es gibt keinen Altar und die Glasfenster
sind auch abstrakt. Es gab ganz kurz einmal den Gedanken, dass Chagall die
Fenster gestalten sollte. Chagall hat dann Themen für die Fenster vorgeschlagen und
fand dann aber die vehemente Opposition von Nervi, der befürchtet hat, dass zum einen
die Fenster von Chagall von seinem eigenen Werk ablenken, aber auch, dass bildliche
Darstellungen von der Audienz und vom Wort ablenken. In der Audienzhalle geht es hauptsächtlich
um das Wort.“
Die beiden Urheber – Papst Paul VI. und der Architekt Pier
Luigi Nervi – trafen sich in ihren Ideen. Nervi dachte ähnlich wie der Papst, so Cossa,
was wohl auch für die Auswahl gerade dieses Architekten gesprochen hat.
„Für
Paul VI. war Bauen von Anfang an etwas, was ihm wichtig war, weil er immer gedacht
hat, dass Bauen, aber auch Erschaffen, also auch der künstlerische Aspekt, eigentlich
so eine Art des Verständnisses von Gott ist, vom Göttlichen – Beten ist vielleicht
das falsche Wort. Durch das Erschaffen, das Bauen, durch das künstlerisch tätig sein,
hat man die Möglichkeit, etwas zu verstehen, was über den Dingen steht. Nervi
ist wenige Jahre älter als der Papst. Sie hatten sicherlich eine gemeinsame Basis
an Werten und an Erfahrungen. Nervi war wahrscheinlich der einzige internationale
Star der italienischen Architekturszene damals. Nervi hat in New York gebaut, Nervi
hat in Sydney gebaut, Nervi hat in Montreal gebaut. Nervi war ein ganz großer damals
und man kannte Nervi. Nervi hatte eine inhaltliche Ähnlichkeit mit der Philosophie
Pauls VI. Er war eigentlich Ingenieur. Für ihn war das ganze eine Art aktive Philosophie.
Er glaubte, dass die perfekten Formen bereits existieren. Es gibt sie, irgendwo, im
Himmel, man muss sie nur pflücken. Wenn man im Entwurfsprozess den Kräften der Statik
folgt, dann wird das, was man dadurch erreicht, automatisch schön und durch das, was
man baut, wird eine Art göttliche Poesie sichtbar. Alles, war gebaut wird, ist ein
Symbol für das, was über den Dingen steht. Das sind beides Personen einer
Zeit des Überganges, einer Zeit des Wechsels. Sie waren zum einen den Traditionen
verhaftet, aber andererseits standen sie mit einem Bein in der Zukunft. Beides sind
Persönlichkeiten des Wandels.“
Und das Ergebnis dieses Wandels wird in
diesem Sommar 40 Jahre alt. Die Aula Paulo VI., die Audienzhalle des Vatikan.