Papst Benedikt musste aufgrund eines starken Gewitters bei der Gebetsvigil seine Predigt
abbrechen. Wir dokumentieren hier seine gesamte vorbereitete Ansprache im Wortlaut.
Liebe junge Freunde! Ich begrüße euch alle, insbesondere denjenigen
unter euch, die mir ihre Fragen vorgelegt haben, und ich danke ihnen für die Aufrichtigkeit,
mit der sie formuliert haben, was euch bewegt und gewissermaßen den Wunsch von euch
allen zum Ausdruck bringt, im Leben etwas Großes zu erlangen, etwas, das euch Erfüllung
und Glück schenkt. Doch wie kann ein junger Mensch in der heutigen
Gesellschaft dem christlichen Glauben treu sein und weiter nach großen Idealen streben?
Im Evangelium, das wir gehört haben, gibt uns Jesus auf diese wichtige Frage eine
Antwort: „Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in
meiner Liebe!“ (Joh 15,9). Ja, liebe Freunde, Gott liebt uns.
Das ist die große Wahrheit unseres Lebens, die allem anderen Sinn gibt. Wir sind nicht
ein Ergebnis von Zufälligkeit oder Irrationalität, sondern am Anfang unserer Existenz
gibt es einen Liebesplan Gottes. In seiner Liebe zu bleiben bedeutet dann, im Glauben
verwurzelt zu leben, weil der Glaube nicht das bloße Annehmen einiger abstrakter Wahrheiten,
sondern eine innige Beziehung zu Christus ist, die uns diesem Geheimnis der Liebe
unser Herz öffnen läßt und als Menschen leben läßt, die sich von Gott geliebt wissen.
Wenn ihr in der Liebe Christi, im Glauben verwurzelt bleibt, werdet
ihr auch inmitten von Widrigkeiten und Leiden die Quelle für Freude und Heiterkeit
finden. Der Glaube steht euren höchsten Idealen nicht entgegen, im Gegenteil, er steigert
und vervollkommnet sie. Liebe junge Freunde, richtet euch nicht nach etwas Geringerem
als nach der Wahrheit und der Liebe aus, richtet euch nur nach Christus aus.
Gerade in der heutigen Zeit, in der die vorherrschende relativistische Kultur die
Suche nach der Wahrheit, die das erhabenste Bestreben des menschlichen Geistes ist,
aufgibt und verachtet, müssen wir mutig und voll Demut wieder die universale Bedeutung
Christi als Retter aller Menschen und Hoffnungsquelle für unser Leben darlegen. Er,
der unsere Leiden auf sich genommen hat, kennt das Geheimnis des menschlichen Schmerzes
und zeigt seine liebevolle Gegenwart in allen Leidenden. Jene wiederum, die mit dem
Leiden Christi vereint sind, nehmen ganz nahe an seinem Erlösungswerk teil. Zudem
wird unsere uneigennützige Aufmerksamkeit gegenüber den Kranken und Benachteiligten
immer ein demütiges und leises Zeugnis des mitleidsvollen Angesichts Gottes sein.
Liebe Freunde, keine Widrigkeit möge euch lähmen. Habt keine Angst vor der Welt, noch
vor der Zukunft oder vor eurer Schwachheit. Der Herr hat euch geschenkt, in diesem
Augenblick der Geschichte zu leben, damit dank eures Glaubens sein Name weiter in
der Welt erklingt. Bei dieser Gebetsvigil lade ich euch dazu ein,
Gott zu bitten, daß er euch helfen möge, eure Berufung in der Gesellschaft und in
der Kirche zu entdecken und froh und treu darin standzuhalten. Es ist der Mühe wert,
in unserem Inneren den Ruf Christi aufzunehmen sowie mutig und großherzig dem Weg
zu folgen, den er uns vorschlägt. Viele beruft der Herr zur Ehe, in
der ein Mann und eine Frau, indem sie ein Fleisch werden (vgl. Gen 2, 24),
sich in einem tiefen gemeinsamen Leben verwirklichen. Dies ist eine schöne und zugleich
anspruchsvolle Perspektive. Ein Vorhaben wahrhaftiger Liebe, die sich durch das Miteinanderteilen
der Freuden und Schwierigkeiten jeden Tag erneuert und vertieft und durch ein Bemühen
der gesamten Person gekennzeichnet ist. Die Schönheit und Vortrefflichkeit der Ehe
zu erkennen bedeutet deshalb, sich dessen bewußt zu sein, daß nur ein Bereich der
Treue und Unauflöslichkeit sowie der Öffnung für das göttliche Geschenk des Lebens
der Großartigkeit und Würde der ehelichen Liebe angemessen ist. Andere
wiederum beruft Christus dazu, ihm in noch größerer Nähe zu folgen, im Priestertum
oder im geweihten Leben. Wie schön ist es zu wissen, daß Jesus dich sucht, seinen
Blick auf dich richtet und mit seiner unverwechselbaren Stimme auch zu dir sagt: „Folge
mir nach!“ (Mk 2,14). Liebe junge Freunde, um der Lebensform
treu zu folgen, zu welcher der Herr jeden einzelnen von euch beruft, ist es unerläßlich,
daß ihr als Freunde in seiner Liebe bleibt. Und wie kann die Freundschaft anders Bestand
haben als durch häufigen Kontakt, durch das Gespräch, die gegenseitige Verbundenheit
und das Teilen von Hoffnungen und Sorgen? Die hl. Teresa von Jesus sagte, das Gebet
ist „ein freundschaftlicher Umgang, bei dem wir oftmals ganz allein mit dem reden,
von dem wir wissen, daß er uns liebt“ (Das Buch meines Lebens, 8).
Deshalb lade ich euch an, jetzt bei der Anbetung Christi dazubleiben, der in der Eucharistie
wirklich gegenwärtig ist – das Gespräch mit ihm aufzunehmen, eure Fragen an ihn zu
richten und auf ihn zu hören. Liebe Freunde, ich bete mit ganzem Herzen für euch.
Ich bitte euch, auch für mich zu beten. Bitten wir den Herrn in dieser Nacht, daß
wir, von der Schönheit seiner Liebe angezogen, immer treu als seine Jünger leben können.
Amen.(rv 21.08.2011)