Der Fall ist vielen
Menschen in schlimmer Erinnerung: Die Entführung und Ermordung eines Frankfurter Bankierssohn
durch den Jura-Studenten Markus Gäfgen. Ein Aspekt dieses spektakulären Kriminalfalls
beschäftigt aktuell wieder die deutsche Justiz, aber auch Ethiker und Theologen: Durften
Frankfurter Polizeibeamte Gäfgen im Verhör Folterung androhen, für den Fall, dass
er den Aufenthaltsort des entführten Jungen nicht verrät? Nein, das war illegal, sagte
jetzt das Landgericht Frankfurt und sprach dem mittlerweile wegen Mordes verurteilten
Gäfgen eine finanzielle Entschädigung zu. Wessen Rechte wiegen schwerer, fragt sich
mancher. Das Recht auf Leben des Entführten oder das Recht auf körperliche Unversehrtheit
des Täters? Michael Hermann hat über die ethische Problematik mit dem Theologieprofessor
Herbert Rommel von der PH Weingarten gesprochen.
Der hessische Innenminister
bezeichnete das Urteil als nur schwer erträglich. Hat Sie dieses Urteil ebenfalls
empört?
"Nein, empört hat mich dieses Urteil nicht. Freilich steht dieses
Urteil im Widerspruch zu den moralischen Intuitionen, die sich jetzt bei vielen Menschen
melden. Unser Recht sagt demgegenüber, dass die Würde des Menschen unantastbar ist.
Dies gilt sowohl für die Opfer als auch die Täter. Deshalb ist auch nach allen Menschenrechtskatalogen
verboten, Menschen zu foltern."
Aus ethischer Perspektive handelt es sich
hier offensichtlich um ein echtes Dilemma. Zwei Normen konkurrieren hier. Wie kann
man einen solchen Konflikt lösen?
"Ich würde so sagen: Da es sich hier um
ein normatives Dilemma handelt, kann man diesen ethischen Konflikt nicht wirklich
lösen. Fatal für die Rechtsordnung wäre es aber, wenn sich der Staat auf die Seite
des Täters und nicht auf die Seite des Opfers schlagen würde. Folglich wird hier dafür
plädiert, unter engen Bedingungen die Folter zuzulassen. Die andere Auffassung ist
hier, dass Folter hier unter allen Umständen zu verbieten ist. Verboten ist die Folter,
weil sie gegen die Würde des Menschen verstößt. Die Würde des Menschen ist nun aber
nicht irgendein Rechtswert, sondern die Würde ist derjenige Wert, in dem alle Menschenrechte
gegründet sind. Würde sich der Staat entschließen, die Würde auch nur eines einzigen
Menschen zu verletzen, dann agierte er gegen seine eigene Legitimationsgrundlage."
In
Ihrer Argumentation hat jetzt eben der Staat eine große Rolle gespielt. Gibt es Unterschiede
zwischen christlichen und säkularen Ethikern?
"Ob es hier unter den christlichen
Ethikern einen Konsens gibt, weiß ich nicht. Es gibt ihn sicher nicht unter den säkularen
Ethikern. Sicher ist aber, dass dieses ethische Problem auch eine theologische Relevanz
hat. Diese Relevanz liegt meines Erachtens darin, dass der moralische Wert des Menschen,
den wir heute ja im Begriff der Menschenwürde zur Sprache bringen, wir biblisch als
die Gottebenbildlichkeit des Menschen bezeichnen. Gott hat als der Schöpfer des gesamten
Universums, so könnte man sagen, dem Menschen einen Wert eingestiftet, der dem Menschen
unverfügbar ist. Es ist also Gott, der über diesen Menschenwert verfügt und so Menschen
auch dazu auffordert, diesen Wert zu schützen. Von daher scheint es mir unter theologischen
Vorzeichen plausibel zu sein, die Unbedingtheit der menschlichen Würde zu verteidigen."