Krise zwischen dem
Vatikan und Irland: Der Vatikan hat, wie wir berichteten, seinen Botschafter in Dublin
zu Konsultationen einberufen. Warum ist die irische Regierung so aufgebracht über
den Heiligen Stuhl, und wie wird es jetzt weitergehen? Darüber sprach unser Redakteur
Stefan v. Kempis mit unserer irischen Kollegin von Radio Vatikan, Emer McCarthy.
Emer,
wie wird die irische Regierung wohl auf den neuesten Schritt des Vatikans reagieren?
„Schon
in den ersten acht Stunden nach dem Bekanntwerden der Nachricht, dass der Nuntius
aus Irland für Konsultationen in den Vatikan zurückkehrt, hat der Dubliner Ministerpräsident
Enda Kelly darauf reagiert: Er meinte, der Vatikan solle doch möglichst auch mit Leuten
vor Ort in Irland sprechen, um zu begreifen, wie ernst die Lage sei. Wir müssen im
Auge behalten, dass wir es mit einer anderen Regierung zu tun haben als mit der, die
während der Veröffentlichung früherer Missbrauchs-Berichte an der Macht war: Die jetzige
Führung ist links-gemäßigt und nicht mehr die konservative Führung, die zwölf Jahre
am Ruder gewesen war.
Aus Sicht der Regierung ist es wohl das Wichtigste,
dass der Vatikan innerhalb eines normalen Zeitraums zu einer Antwort findet: Sie wollen
bald eine Antwort. Die Apostolische Visitation in Irland ist ja seit Februar offiziell
beendet, alle Berichte sind geschrieben und überreicht, und wir warten immer noch
auf die Ergebnisse. Der Brief des Papstes ist von März 2010: Darin steht, Benedikt
werde etwas tun mit Blick auf die Lage in Irland, auch von der Visitation abgesehen.
Jetzt sind anderthalb Jahre vorüber – jetzt will die irische Regierung Taten sehen.
Drei Bistümer sind derzeit ohne Bischöfe, und viele Katholiken sind enttäuscht von
der Kirche, weil sie finden: Rom ist zu langsam mit seiner Reaktion auf das, was in
Irland vorgeht. Menschen im Vatikan oder in seinem Umfeld wissen natürlich, dass die
vatikanischen Mühlen ihre Zeit brauchen, um zu mahlen.
Wegen dieser
Ungeduld war wohl auch, aus meiner Sicht, der Ton in der Rede des Ministerpräsidenten
so populistisch, wenn man das so sagen will. Er war sehr harsch – ungewöhnlich für
einen Regierungschef. Fast eine Brandrede gegen den Vatikan…“
Es stehen
doch Wahlen vor der Tür im Herbst – ist das der Grund, warum Ministerpräsident Kelly
so scharf formulierte?
„Vergessen wir nicht: Diese Regierung ist seit
März 2011 an der Macht, und natürlich sind dieRegionalwahlen (es sind keine
nationalen Wahlen) ein Test, wie hoch das Ansehen für die Regierung in diesem Moment
ist. Ich persönlich als irische Journalistin finde es bemerkenswert, zu welchem Medienecho
der Cloyne-Bericht geführt hat. Um es klar zu sagen: Das ist ein wichtiger Bericht,
und was er zum Thema Umgang der Kirche mit Missbrauchsskandalen zutage gefördert hat,
ist sehr, sehr schwerwiegend. Aber das Medienecho war gewaltig, und die Regierung
musste darauf eigentlich nur einsteigen. Dadurch wurde von anderen, für Irland ebenso
wichtigen Themen abgelenkt, allem voran dem EU-Sondergipfel letzte Woche, bei dem
es eben nicht nur um Griechenland und Spanien ging, sondern eben auch um Irland. Unsere
Banken sind am Ende, das Land hat kein Geld mehr; die Regierung hat versprochen, die
Banker für den Untergang des irischen Bankensystems zur Verantwortung zu ziehen, und
dennoch hat die Regierung bis heute noch nicht einen Banker auch nur vor Gericht gebracht.
Da bietet es sich an, die öffentliche Aufmerksamkeit von einem wichtigen Thema auf
ein anderes umzulenken – ein anderes, das zwar ebenfalls wichtig ist, aber das tägliche
Leben der Iren doch weniger betrifft. Also: Die Regierung gibt keine Antwort auf die
wirklich wichtigen Fragen. Sie hat ein neues Schulsystem versprochen, ein neues Rentensystem
– und beides ist bisher Fehlanzeige.
Der Ministerpräsident ist absichtlich
mit einer solchen Brandrede vor das Parlament gegangen, unmittelbar bevor die Abgeordneten
in die Sommerpause aufbrachen: Es gibt jetzt bis zum Herbst keine Sitzungen mehr.
Das war Absicht. Die Kirche in Irland ist ein dankbares Opfer im Moment – er zielte
aber gar nicht auf die Kirche in Irland, sondern auf den Vatikan. Kein Wort über die
Bischöfe, die verantwortlich waren für das Vertuschen von Missbrauchsfällen; kein
Wort zur Verteidigung der vielen, vielen Männer und Frauen in der irischen Kirche,
die sich weiterhin mit all ihrer Zeit und Kraft engagieren. Stattdessen ein Angriff
auf den Vatikan, weil der ja nicht sofort antwortet.“
Besteht jetzt
die Gefahr, dass die diplomatischen Beziehungen zwischen Irland und dem Vatikan abgebrochen
werden?
„Das glaube ich nicht. Man kann natürlich über den Stil der
Rede des Regierungschefs diskutieren, aber sein Ruf nach einer Antwort aus dem Vatikan
spricht doch vielen aus der Seele. Ich glaube nicht, dass die Gefahr eines Abbruchs
der Beziehungen bestünde; die Beziehungen sind zwar offiziell erst achtzig Jahre alt,
aber in Wirklichkeit doch viel älter: Die Bande reichen indie Zeit zurück,
als Irland noch unter britischer Herrschaft und der Katholizismus verboten war. Damals
fungierte das Päpstliche Irische Kolleg hier in Rom fast als eine Art Botschaft –
dreihundert Jahre lang. Ich glaube allerdings, dass sich die Art der Beziehungen zwischen
Irland und dem Vatikan jetzt doch verändert hat: Früher waren sie sehr herzlich, jetzt
könnte sich das ändern.
Wenn wir daran denken, dass Irland in einer
schweren wirtschaftlichen Krise ist, dann steht auch immer noch die Ankündigung im
Raum, mit der diese Regierung an die Macht kam: dieAnkündigung von Einsparungen
und Reformen nämlich. Diese Einsparungen und Reformen sollten, wie es von Anfang an
hieß, auch das Außenministerium betreffen – also die irischen Botschaften und Konsulate
rund um den Globus. Das Außenministerium hatte schon lange angekündigt, dass es die
Zahl dieser diplomatischen Vertretungen zurückfahren werde. Da könnte es passieren,
dass auch die Position des irischen Botschafters beim Heiligen Stuhl in diese Kürzungsliste
gerät: Schon vor dieser jetzigen Krise rund um den Cloyne-Rapport wurde das schon
in Erwägung gezogen, weil zwei Botschafter eines kleinen, wirtschaftlich gebeutelten
Landes in Italien und am Vatikan einen ziemlichen Ausgabe-Posten darstellen. Also,
das könnte auf uns zukommen. Derzeit ist der Stuhl des irischen Botschafters beim
Heiligen Stuhl vakant; der letzte Botschafter ging im Juni in Rente und wurde noch
nicht durch einen neuen ersetzt. Wird er im Herbst durch einen neuen Botschafter ersetzt
werden? Das werden wir sehen. Wenn nicht, ist das dann auf die derzeitige Krise zwischen
Irland und dem Vatikan zurückzuführen? Ich glaube, da steckt dann eher die Wirtschaftskrise
dahinter, auch wenn die Medien und der Ministerpräsident an diese Wirtschaftskrise
manchmal nicht so gerne denken.
Die irische Regierung war bisher nicht
sehr schnell, wenn es um Gesetze für Kinder- und Minderjährigenschutz geht. Sie hat
noch kein neues Gesetz als Antwort auf die Missbrauchs-Fälle durchgesetzt, kritisiert
aber die irische Kirche, die seit 2001 – im Fall des Vatikans – und seit 1997 – im
Fall der irischen Bischöfe – längst ein solches Regelwerk hat! Sie geht auch nur sehr
schleppend Fälle von Kindesmissbrauch in der irischen Gesellschaft an, wenn die nicht
mit der Kirche zusammenhängen: In derselben Woche, in der der Cloyne-Bericht vorgestellt
wurde, wurde auch der Fall eines Hausmeisters bekannt, der trotz einer Missbrauchs-Vorgeschichte
an einer Grundschule in Nordirland angestellt wurde. Da hat also offenbar auch die
Schulbehörde nicht ihre Aufgaben gemacht!
Das Thema Missbrauch ist
aus meiner Sicht zu wichtig, um alle Schuld einfach immer nur auf die irische Kirche
abzuwälzen oder auch auf den Vatikan. Das ist ein Thema, das die Gesellschaft im Ganzen
betrifft. Wie Erzbischof Martin von Dublin formuliert hat: Das Entscheidende ist,
dass wir in Irland klare Strukturen haben, um Kinder in Irland zu beschützen.“