Im Internet ist am
Tag nach dem Doppelanschlag ein mehr als 1.500 Seiten langes Manifest des mutmaßlichen
alleinigen Täters aufgetaucht. Der Titel „2083 – Eine europäische Unabhängigkeitserklärung“.
Anders Behring Breivik schreibt, er habe Europa „vor Kulturmarxismus und Islamisierung
retten“ wollen. Das englischsprachige Dokument wurde teilweise als Tagebuch geführt,
beansprucht wissenschaftlichen Charakter und offenbart die Fremdenfeindlichkeit des
Autors und die bedingungslose Ablehnung einer multikulturellen Gesellschaft. Die Tat
war offensichtlich jahrelang und minutiös geplant. Laut Medienberichten soll das Manifest
kurz vor den Anschlägen per Email verschickt worden sein.
Ein christlich motivierter
Anschlag? „Diese Vokabel benutzte der Attentäter um sein perfides und brutales makabres
Tun zu rechtfertigen.“ Das sagte der Terrorexperte Rolf Tophoven im Gespräch mit Radio
Vatikan. Der Attentäter habe bewusst die islamistischen Anschläge von Madrid und London
studiert und sich Anleihen bei dem rechtsnationalen Anschlag von 1995 in Oklahoma
City geholt, so der Leiter des Instituts für Krisenprävention in Essen. Fundamentalisten
gebe es in allen großen Religionen, „neu ist die ungeheure Dimension und die Taktik,
die jetzt der Attentäter an den Tag gelegt hat“.
Die Tat sei „hasserfüllt und
wahnhaft“, doch die Haltung des Mannes als Heilsbringer und Vorkämpfer für eine christliche
Gesellschaft sei ernst zu nehmen, unterstreicht Tophoven. „Er sieht sich in
seinem Profil, wie ich es deute, als der Heilsbringer, der sozusagen für seine Tat
auch noch gelobt werden will. Darauf deutet ja hin, dass er sich nicht so zur Wehr
setzt, dass die Polizei ihn erschießen muss, er hat auch keinen Suizid begangen und
das ist eigentlich das Besondere. Hier liegt eigentlich der Unterschied zu den – mit
Anführungsstrichen – normalen Amokläufern. Dieser Amokläufer, nehmen wir den Begriff
weiter, hat den großen Unterschied, dass er seine Tat sehen will. Er will sich an
der Tat erfreuen und er will die Tat erleben. Sonst hätte er sich wahrscheinlich nicht
widerstandslos festnehmen lassen.“
Tophoven berichtet von einer „sehr brutalen
und radikalen, gewaltbereiten rechten Szene“ in Skandinavien. Möglicherweise habe
man diese in Norwegen unterschätzt. „Doch der Täter kam aus dem Nichts“, so der Terrorexperte. „Der
Attentäter war zwar dem rechtsnationalen fanatischen Spektrum zugetan. Er war aber
nicht in einer rechtsradikalen Gruppe als Mitglied aktiv. Das heißt also, dass die
bekannten rechtsradikalen nazistischen Gruppen in Skandinavien ihm nicht rechts genug,
nicht brutal genug, nicht konsequent genug in ihrem Tun erschienen.“
Deutschland
und andere EU-Staaten nennt Anders Breivik als Ziel weiterer Anschläge und erwähnt
auch deutsche Parteien und Politiker, darunter Bundeskanzlerin Angela Merkel. Eine
solche Tat wie in Norwegen wäre auch in Deutschland kaum zu verhindern gewesen, sagt
Terrorexperte Tophoven: „Ein Anschlag, der sich so darstellt, den können sie
in einer freien und offenen Gesellschaft so gut wie nicht verhindern. Denn das ist
eben das Risiko, das wir gesellschaftspolitisch zu tragen haben: dass wir durchaus
in unserer gesellschaftlichen Offenheit einem potentiellen Täter Weichteile anbieten,
in die er hineinstoßen kann. “