2011-07-25 17:34:12

Terrorexperte: „Er will sich an seiner Tat erfreuen“


RealAudioMP3 Der Doppelanschlag in Norwegen – ein christlich motivierter Akt? „Diese Vokabel benutzte der Attentäter um sein perfides und brutales makabres Tun zu rechtfertigen“, sagte der Terrorexperte Rolf Tophoven im Gespräch mit Radio Vatikan. Der Attentäter habe bewusst die islamistischen Anschläge von Madrid und London studiert und sich Anleihen bei dem rechtsnationalen Anschlag von 1995 in Oklahoma City geholt, so der Leiter des Instituts für Krisenprävention in Essen. Birgit Pottler hat mit ihm gesprochen.


„Perfides und brutales Tun“

RV: Das Attentat von Oslo, der Doppelanschlag, kann man denn nach den ersten Informationen und auch der ersten Lektüre des Manifestes von einem christlichen motivierten Anschlag sprechen?

Rolf Tophoven: „Diese Vokabel benutzte der Attentäter um sein perfides und brutales makabres Tun zu rechtfertigen. Fundamentalisten haben wir ja in allen großen Religionen, ob im Christentum, ob im Judentum oder auch im Islam. Neu in der Bewertung solcher extremistischer Anschläge sind die ungeheure Dimension und die Taktik, die jetzt der Attentäter an den Tag gelegt hat. Das führte ja zur ersten Interpretation, dass man von militanten Islamisten die Bilder von ungeheurer Zerstörungswucht in der Stadt Oslo kannte. Dann drehte sich plötzlich die Analyse, als bekannt wurde, dass der Attentäter wohl ein Einzeltäter ist, der auf der Ferieninsel dann die Jugendlichen und Kinder ermordete.“

Hat sich der Attentäter bewusst Anleihen von den in den vergangenen Jahren verübten Anschlägen genommen?

„Ich gehe davon aus, dass er die großen Anschläge, besonders die Anschläge von militanten Islamisten, aber besonders auch den Anschlag von 1995 in Oklahoma City, wo ein amerikanischer Rechtsnationalist 198 Menschen tötete, ausführlich studiert hat; auch die Anschläge 2004 in Madrid und 2005 in London. Die Dimension hat er genau kalkuliert. Er wusste anscheinend auch wie viel Sprengstoff erforderlich war, um die immense Zerstörung im Zentrum Oslos anzurichten. Was dann auf der Ferieninsel passierte, ist die Vollendung seiner hasserfüllten und wahnhaften Tat.“

Haltung ernst nehmen

Sie sagen eine „wahnhafte“ Tat. Handelt es sich um einen einzelnen kranken Irren, oder ist das Motiv, ist das Manifest wirklich ernst zu nehmen?

Es ist sicherlich die Haltung des Mannes ernst zu nehmen. Er hat sich ja über Jahre in diesen Wahn gebracht, sich jetzt als Retter zu profilieren, als Heilsbringer für die Gesellschaft, auch für eine christliche Gesellschaft, wie er in dem Manifest sagt. Sozusagen als Vorkämpfer, als Kreuzritter gegen Marxismus, gegen den Multi-Kulti Wahn, wie er ja schreibt, und die Islamisierung Europas. Er sieht sich in seinem Profil, wie ich es deute, als der Heilsbringer, der sozusagen auch noch für seine Tat gelobt werden will. Darauf deutet ja hin, dass er sich nicht so zur Wehr setzt, dass die Polizei ihn erschießen muss. Er hat auch keinen Suizid begangen, und das ist eigentlich das Besondere. Hier liegt der Unterschied zu den - bitte mit Anführungszeichen - normalen Amokläufern, der sich am Ende umbringt. Dieser Amokläufer, nehmen wir den Begriff weiter, hat den großen Unterschied, dass er seine Tat sehen will. Er will sich an der Tat erfreuen und er will die Tat erleben. Sonst hätte er sich wahrscheinlich nicht widerstandslos festnehmen lassen.“

Er selbst spricht von christlich motiviertem Terrorismus. Er ist aber bekannt als Vertreter der Neo-Nazi Szene, der neuen rechtsradikalen Szene in Skandinavien. Wurde der Terrorismus in dieser Ecke in den letzten Jahren unterschätzt? Vielleicht auch die Verbindung zu Deutschland?

„Ob er unterschätzt wurde – davon gehe ich, was Deutschland betrifft, nicht aus. Wir haben in Skandinavien eine bekannt sehr brutale und radikale gewaltbereite rechte Szene. Im Vergleich zu Norwegen ist die Szene besonders in Schweden sehr gewaltbereit. Möglicherweise hat man allerdings die rechte Szene in Norwegen unterschätzt. Gleichwohl hat es in der Vergangenheit dort Anschläge gegeben. Aber einen Anschlag dieser Perfidie hatte wohl keiner auf der Rechnung.

Rechter als rechts

Was Deutschland betrifft, so wird jetzt intensiv nach Spuren zum Attentäter gesucht. Da wird man kaum fündig werden, denn der Attentäter war zwar dem rechtsnationalen fanatischen Spektrum zugetan. Er war aber nicht in einer rechtsradikalen Gruppe als Mitglied aktiv. Das heißt also, dass die bekannten rechtsradikalen nazistischen Gruppen in Skandinavien ihm nicht rechts genug, nicht brutal genug, nicht konsequent genug in ihrem Tun erschienen.“

In seinem Manifest nennt er auch namentlich Angela Merkel. Sie sagten schon, man sucht in Deutschland nach Spuren zu dem Mann. Wäre so ein Attentat in Deutschland denn zu verhindern?

„Sie könne eine solche Tat, die so vorbereitet wird, grundsätzlich nicht verhindern, wenn der Täter nicht zuvor auf den Radarschirmen der Sicherheitsbehörden auftaucht; wenn wir von einem Profil ausgehen, dass sich im stillen Kämmerlein selbst radikalisiert und diese Tat plant. Man kannte ihn ja nicht. Von daher greift hier wohl die Definition: Der Täter kam aus dem Nichts.

Kaum zu verhindern

Ob eine solche Tat in Deutschland in dieser Dimension zu verhindern wäre, das muss doch mit Skepsis betrachtet werden. Ich glaube, eher nein. Denn gegen den sich radikalen, fanatisierten, wie gesagt, sich selbst radikalisierenden Einzeltäter haben sie wenig Chancen.

Vorratsdatenspeicherung einführen

Wichtig ist, dass die Polizei, die Sicherheitsbehörden, die sogenannte Vorratsdatenspeicherung endlich bekommt. Denn es gibt ja immer wieder Spuren, besonders heute im Internet, in Facebook, in Twitter Meldungen, wo durchaus radikales Gedankengut eben zu finden ist. Jede radikale Äußerung, so abstrus, so wirr, sie vielleicht Außenstehenden erscheinen mag, kann für die Polizei ein wichtiges Indiz sein, dass hier eine größere Aktion geplant ist.
Aber noch einmal: Eine Dimension dieser Art, einen Anschlag, der sich so darstellt, wie jetzt in Norwegen, den können sie in einer freien offenen Gesellschaft so gut wie nicht verhindern, denn das ist eben das Risiko, das wir gesellschaftspolitisch zu tragen haben: dass wir durchaus in unserer gesellschaftlichen Offenheit einem potentiellen Täter Weichteile anbieten, in die er hineinstoßen kann.“

Die Bestseller-Krimis von Stieg Larsson, dem schwedischen Autor, und das was man jetzt über die Enthüllungen und Untersuchungen nach dem Attentat liest, ähneln sich doch sehr. Was war zuerst? Das Manifest des Anders B, oder die Kriminalromane von Stieg Larsson?

„Das müssen die weiteren Untersuchungen ergeben; auch das psychologische Profil des Täters, was ja jetzt mehr und mehr zutage tritt, was mehr und mehr enthüllt wird, von woher er seine Impulse bekommen hat. Offensichtlich ist es ein bodenloser Hass auf die norwegische Gesellschaft, auf die Regierung, auf die Sozialdemokratie, die ja vom Täter für alles verantwortlich gemacht wird, auch in seinem Manifest. Von daher ist ja auch die Stoßrichtung, das sozialdemokratische Jugendlager, was er angegriffen hat, zu erklären.

Kriminalroman oder Wirklichkeit?

Es ist schwierig jetzt zu fragen oder zu spekulieren, wie weit Kriminalromane und irgendwelche Vorlagen ihn inspiriert haben. Grundsätzlich kann man nie ausschließen, dass Terroristen, dass Attentäter Vorbilder haben. Möglicherweise auch aus Science Fiction-Romanen.“

(rv 25.07.2011 bp)








All the contents on this site are copyrighted ©.