Terrorexperte: „Er will sich an seiner Tat erfreuen“
Der Doppelanschlag
in Norwegen – ein christlich motivierter Akt? „Diese Vokabel benutzte der Attentäter
um sein perfides und brutales makabres Tun zu rechtfertigen“, sagte der Terrorexperte
Rolf Tophoven im Gespräch mit Radio Vatikan. Der Attentäter habe bewusst die islamistischen
Anschläge von Madrid und London studiert und sich Anleihen bei dem rechtsnationalen
Anschlag von 1995 in Oklahoma City geholt, so der Leiter des Instituts für Krisenprävention
in Essen. Birgit Pottler hat mit ihm gesprochen.
„Perfides und brutales
Tun“
RV: Das Attentat von Oslo, der Doppelanschlag, kann man denn
nach den ersten Informationen und auch der ersten Lektüre des Manifestes von einem
christlichen motivierten Anschlag sprechen?
Rolf Tophoven: „Diese Vokabel
benutzte der Attentäter um sein perfides und brutales makabres Tun zu rechtfertigen.
Fundamentalisten haben wir ja in allen großen Religionen, ob im Christentum, ob im
Judentum oder auch im Islam. Neu in der Bewertung solcher extremistischer Anschläge
sind die ungeheure Dimension und die Taktik, die jetzt der Attentäter an den Tag gelegt
hat. Das führte ja zur ersten Interpretation, dass man von militanten Islamisten die
Bilder von ungeheurer Zerstörungswucht in der Stadt Oslo kannte. Dann drehte sich
plötzlich die Analyse, als bekannt wurde, dass der Attentäter wohl ein Einzeltäter
ist, der auf der Ferieninsel dann die Jugendlichen und Kinder ermordete.“
Hat
sich der Attentäter bewusst Anleihen von den in den vergangenen Jahren verübten Anschlägen
genommen?
„Ich gehe davon aus, dass er die großen Anschläge, besonders
die Anschläge von militanten Islamisten, aber besonders auch den Anschlag von 1995
in Oklahoma City, wo ein amerikanischer Rechtsnationalist 198 Menschen tötete, ausführlich
studiert hat; auch die Anschläge 2004 in Madrid und 2005 in London. Die Dimension
hat er genau kalkuliert. Er wusste anscheinend auch wie viel Sprengstoff erforderlich
war, um die immense Zerstörung im Zentrum Oslos anzurichten. Was dann auf der Ferieninsel
passierte, ist die Vollendung seiner hasserfüllten und wahnhaften Tat.“
Haltung
ernst nehmen
Sie sagen eine „wahnhafte“ Tat. Handelt es sich um
einen einzelnen kranken Irren, oder ist das Motiv, ist das Manifest wirklich ernst
zu nehmen?
Es ist sicherlich die Haltung des Mannes ernst zu nehmen. Er
hat sich ja über Jahre in diesen Wahn gebracht, sich jetzt als Retter zu profilieren,
als Heilsbringer für die Gesellschaft, auch für eine christliche Gesellschaft, wie
er in dem Manifest sagt. Sozusagen als Vorkämpfer, als Kreuzritter gegen Marxismus,
gegen den Multi-Kulti Wahn, wie er ja schreibt, und die Islamisierung Europas. Er
sieht sich in seinem Profil, wie ich es deute, als der Heilsbringer, der sozusagen
auch noch für seine Tat gelobt werden will. Darauf deutet ja hin, dass er sich nicht
so zur Wehr setzt, dass die Polizei ihn erschießen muss. Er hat auch keinen Suizid
begangen, und das ist eigentlich das Besondere. Hier liegt der Unterschied zu den
- bitte mit Anführungszeichen - normalen Amokläufern, der sich am Ende umbringt.
Dieser Amokläufer, nehmen wir den Begriff weiter, hat den großen Unterschied, dass
er seine Tat sehen will. Er will sich an der Tat erfreuen und er will die Tat erleben.
Sonst hätte er sich wahrscheinlich nicht widerstandslos festnehmen lassen.“
Er
selbst spricht von christlich motiviertem Terrorismus. Er ist aber bekannt als Vertreter
der Neo-Nazi Szene, der neuen rechtsradikalen Szene in Skandinavien. Wurde der Terrorismus
in dieser Ecke in den letzten Jahren unterschätzt? Vielleicht auch die Verbindung
zu Deutschland?
„Ob er unterschätzt wurde – davon gehe ich, was Deutschland
betrifft, nicht aus. Wir haben in Skandinavien eine bekannt sehr brutale und radikale
gewaltbereite rechte Szene. Im Vergleich zu Norwegen ist die Szene besonders in Schweden
sehr gewaltbereit. Möglicherweise hat man allerdings die rechte Szene in Norwegen
unterschätzt. Gleichwohl hat es in der Vergangenheit dort Anschläge gegeben. Aber
einen Anschlag dieser Perfidie hatte wohl keiner auf der Rechnung.
Rechter
als rechts
Was Deutschland betrifft, so wird jetzt intensiv nach Spuren
zum Attentäter gesucht. Da wird man kaum fündig werden, denn der Attentäter war zwar
dem rechtsnationalen fanatischen Spektrum zugetan. Er war aber nicht in einer rechtsradikalen
Gruppe als Mitglied aktiv. Das heißt also, dass die bekannten rechtsradikalen nazistischen
Gruppen in Skandinavien ihm nicht rechts genug, nicht brutal genug, nicht konsequent
genug in ihrem Tun erschienen.“
In seinem Manifest nennt er auch namentlich
Angela Merkel. Sie sagten schon, man sucht in Deutschland nach Spuren zu dem Mann.
Wäre so ein Attentat in Deutschland denn zu verhindern?
„Sie könne eine
solche Tat, die so vorbereitet wird, grundsätzlich nicht verhindern, wenn der Täter
nicht zuvor auf den Radarschirmen der Sicherheitsbehörden auftaucht; wenn wir von
einem Profil ausgehen, dass sich im stillen Kämmerlein selbst radikalisiert und diese
Tat plant. Man kannte ihn ja nicht. Von daher greift hier wohl die Definition: Der
Täter kam aus dem Nichts.
Kaum zu verhindern
Ob eine solche
Tat in Deutschland in dieser Dimension zu verhindern wäre, das muss doch mit Skepsis
betrachtet werden. Ich glaube, eher nein. Denn gegen den sich radikalen, fanatisierten,
wie gesagt, sich selbst radikalisierenden Einzeltäter haben sie wenig Chancen.
Vorratsdatenspeicherung
einführen
Wichtig ist, dass die Polizei, die Sicherheitsbehörden, die
sogenannte Vorratsdatenspeicherung endlich bekommt. Denn es gibt ja immer wieder Spuren,
besonders heute im Internet, in Facebook, in Twitter Meldungen, wo durchaus radikales
Gedankengut eben zu finden ist. Jede radikale Äußerung, so abstrus, so wirr, sie vielleicht
Außenstehenden erscheinen mag, kann für die Polizei ein wichtiges Indiz sein, dass
hier eine größere Aktion geplant ist. Aber noch einmal: Eine Dimension dieser Art,
einen Anschlag, der sich so darstellt, wie jetzt in Norwegen, den können sie in einer
freien offenen Gesellschaft so gut wie nicht verhindern, denn das ist eben das Risiko,
das wir gesellschaftspolitisch zu tragen haben: dass wir durchaus in unserer gesellschaftlichen
Offenheit einem potentiellen Täter Weichteile anbieten, in die er hineinstoßen kann.“
Die
Bestseller-Krimis von Stieg Larsson, dem schwedischen Autor, und das was man jetzt
über die Enthüllungen und Untersuchungen nach dem Attentat liest, ähneln sich doch
sehr. Was war zuerst? Das Manifest des Anders B, oder die Kriminalromane von Stieg
Larsson?
„Das müssen die weiteren Untersuchungen ergeben; auch das psychologische
Profil des Täters, was ja jetzt mehr und mehr zutage tritt, was mehr und mehr enthüllt
wird, von woher er seine Impulse bekommen hat. Offensichtlich ist es ein bodenloser
Hass auf die norwegische Gesellschaft, auf die Regierung, auf die Sozialdemokratie,
die ja vom Täter für alles verantwortlich gemacht wird, auch in seinem Manifest. Von
daher ist ja auch die Stoßrichtung, das sozialdemokratische Jugendlager, was er angegriffen
hat, zu erklären.
Kriminalroman oder Wirklichkeit?
Es
ist schwierig jetzt zu fragen oder zu spekulieren, wie weit Kriminalromane und irgendwelche
Vorlagen ihn inspiriert haben. Grundsätzlich kann man nie ausschließen, dass Terroristen,
dass Attentäter Vorbilder haben. Möglicherweise auch aus Science Fiction-Romanen.“