2011-07-14 13:37:42

Venezuela: „Messias Chavez“?


RealAudioMP3 Als unbesiegbar präsentiert sich der der venezolanische Staatschef Hugo Chavez gerne der Welt und seinem Volk. Nach seiner Krebsoperation im kubanischen Havanna war er Anfang Juli nach Venezuela zurückgekehrt, ein Paar Tage später schon schmückte er sich in einem Video mit Attributen von Nietzsches „Übermensch“. Mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen in Venezuela im kommenden Jahr legt Chavez jetzt schon vor. Im Notfall würde er sich aber auch über demokratische Spielregeln hinwegsetzen, meint Sebastian Grundberger von der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte. Venezuela sei seit 1999 zu einer funktionsfähigen Diktatur geworden, so der Experte im Gespräch mit dem Hilfswerk „Kirche in Not“. Wie konnte überhaupt so weit kommen? Dafür blickt Grundberger in die Phase vor Hugo Chavez Zeit:

„Es gab eine politische Elite, die absolut diskreditiert war in weiten Teilen der Bevölkerung, wo es Korruption gab, wo große Enttäuschung darüber herrschte, dass die enormen Öl-Einnahmen des Landes den breiten und vor allem armen Bevölkerungsschichten nicht zugute kamen. Und aus dieser Unzufriedenheit heraus ist ein Anti-System-Kandidat wie Chavez gekommen, der damals sicherlich eine attraktive Alternative gewesen ist, zumal er ja mit großer Rhetorik auftrat: Er versprach, alles zum Besseren zu wenden; 1999 allerdings hat auch gesagt: kein Kommunismus, keine Verstaatlichungen. Das liest sich heute wie ein Hohn!“

Chavez habe eine enorme PR-Maschine aufgebaut: Wenn man heute durch Caracas geht, sieht man überall Riesenposter mit Aufschriften wie „Danke, Präsident Chavez, für die zweite Unabhängigkeit, die Sie uns verschafft haben“, berichtet Grundberger:

„Es kommt zu einer permanenten Gehirnwäsche der ganzen Bevölkerung. Und dadurch, dass natürlich auch große Medienhäuser geschlossen worden sind, vor allem was den Fernsehbereich und den frei empfangbaren Fernsehbereich betrifft, gibt es große Teile der besonders bildungsferneren Schichten, die sich schon seit Jahren ohne unabhängige Informationen informieren müssen. Und das macht es Chavez leicht, Stimmen zu gewinnen.“
Stimmen vom Wahlvolk und Stimmen von ganz oben: Wer so unangefochten regiert, kann sich schon mal für den Messias halten. Der Chavismus auf dem Weg zur Ersatzreligion? Ja doch, schon, meint Sebastian Grundberger:
„Ja, wenn man zum Beispiel das Pantheon der Nationalhelden besuchen: da kann man sich vor der venezolanischen Flagge verneigen, und Hugo Chavez ist da auch mit einem Bild zugegen. Das sieht auch aus wie eine Kirche von außen. Es gibt ständig diese einpeitschenden Slogans. Auch die katholische Kirche und das Christentum wird von ihm ein bisschen als Bedrohung seines Vetternstaates gesehen. Chavez lässt sich ja auch öffentlich als Retter huldigen, als zweiter Simón Bolívar, als jemand, der es schafft, das Land in die sozialistische Zukunft zu führen. Er ist ja inzwischen auch geschieden, er will ganz der Revolution dienen, wie er sagt. Und es gibt da Parallelen zu dem, was auch von Fidel Castro lange Jahre kam. Er wird wie ein religiöser Führer von den Medien hochstilisiert, weil ihm die Staatsmedien total hörig sind.“

Da ist es wohl auch kein Zufall, dass Messias Chavez ausgerechnet am Tag des Herrn zu seinem Land spricht: Jeden Sonntag kommt die Fernsehsendung „Aló Presidente“, in der Chavez vor der Kamera regiert. Und das kann auch mal sieben oder acht Stunden dauern. Alle staatlichen Fernsehsender – und das ist mittlerweile die deutliche Mehrheit – müssen die Show live übertragen, ebenso viele Radiosender. Der Auftakt der Sendung besteht aus Sambatakten, danach geht es meistens ziemlich unterhaltsam weiter. Ein Langeweiler ist Chavez nämlich nicht.
Auch der kubanische Revolutionsführer Fidel Castro war sich nicht zu schade, während Chavez Krankenhausaufenthalt in Havanna den Krankenwärter zu machen. Castro ist das Vorbild für Chavez; der dankbare Venezolaner hält Kubas Wirtschaft einigermaßen über Wasser, indem er sie „schmiert“, so Grundberger.

„Wenn ich geschmiert sage, meine ich Erdöl. Venezuela ist, so glaube ich, der siebtgrößte Erölproduzent der Welt, es hat in Südamerika, zusammen mit Mexiko, die meisten Erdölreserven. Fidel Castro bekommt das von Chavez zum Spottpreis, dafür schickt Kuba Ärzte, die Chavez dringend braucht, um seine „Missionen“, wie er das immer nennt, durchzuführen – zum Beispiel die kostenlose Gesundheitsvorsorge für die armen Bevölkerungsschichten.“

Der Göttinger Experte geht davon aus, dass auch immer mehr kubanische Geheimdienstleute Einfluss auf Chavez haben: Er habe gesicherte Infos, dass Chavez ihnen mehr traue als seinen Landsleuten, weil er Angst vor einem Mordkomplott hat.

„Mittlerweile sind diese beiden Länder eine Symbiose eingegangen, die sogar zu Spekulationen geführt haben, das Hugo Chavez nach der kubanischen Präsidentschaft greifen könnte, wenn Fidel Castro bzw. Raoul Castro nicht mehr sind. Es ist zwar sehr unwahrscheinlich, aber das so etwas durch seinen Kopf gegangen ist, halte ich nicht für ausgeschlossen, zumal man immer sehen muss, dass Chavez eigentlich ganz Lateinamerika gerne unter seiner Führung vereinigen möchte.“

Anderthalb Millionen Venezolaner haben in den letzten Jahren das Land verlassen; Miami, das lange wegen seiner vielen Exilkubaner als Klein-Havanna galt, verfügt mittlerweile auch über eine stark wachsende Gemeinschaft von Exil-Venezolanern. Die Emigrationswelle liegt u.a. an dem Berufsverbot, das vielen Menschen in Venezuela, etwa Journalisten, ständig droht. Und sie liegt an der starken Rechtsunsicherheit in Venezuela – Chavez enteignet immer wieder mal spontan und vor laufender Kamera ein Unternehmen. Das schadet auch der Wirtschaft: Die Verstaatlichung des größten Erdölversorgers hat zu einem starken Rückgang der Erdöl-Produktion geführt. Und die Wirtschaftskrise kommt längst auch bei den Armen in Venezuela an.

„Es gibt schon ein assistenzialistisches Programm, wo Geld verteilt wird unter Armen, wo die Armen medizinische Versorgung welcher Qualität auch immer bekommen. Also ganz zu verneinen, dass es gewisse Verbesserungen gibt für die armen Menschen, wäre auch falsch. Wobei man sich darüber streiten kann, wie nachhaltig das alles ist. Chavez kauft sich dadurch Stimmen und hält die Leute damit dumm. Die sollen ihn vor allem wählen und vielleicht was zu essen haben, aber bloss nicht im gesellschaftlichen Diskurs mitreden sollen.“

Die Fassade in Caracas ist strikt rechtsstaatlich: Da finden Wahlen statt, es gibt ein Parlament und ein Oberstes Gericht. Doch im Kontrast dazu steht die Machtfülle von Chavez, der z.B. Richter ernennt oder rausschmeißt, ganz nach Belieben.

„Venezuela ist kein totalitärer Staat, denn die Gesellschaft hat noch Freiräume, die Chavez noch nicht okkupieren konnte. Es sind 27 Millionen Menschen, die im Prinzip ein recht freiheitliches System bis 1999 gewohnt waren. Und es war ja auch nicht so, dass da die Diktatur auf einmal Einzug gehalten hat, sondern das System ist schrittweise eingeführt worden. Wir haben sicherlich einen Staat, der die ganze Gesellschaft durchdringen möchte mit seiner Ideologie, der von daher sicherlich eine totalitäre Ausrichtung hat, es aber noch nciht ganz geschafft hat. Da gibt es immer wieder Diskussionen über neue Gesetze, zum Beispiel ein Bildungsgesetz, wo Cahvez die Vormundschaft aller Kinder ab sieben Jahre auf den Staat übertragen will.“

Das Gesetz kam allerdings nicht durch, wegen starker Proteste. Der Präsident musste den Vorschlag wieder zurücknehmen. Übrigens gibt es seit eineinhalb Jahren auch eine ernstzunehmende Opposition in Venezuela: die „mesa de la unitad“, der Tisch der Einheit. Ein Zusammenschluss aus vielen Oppositions-Parteien und –bewegungen.

„Die großen Traditionsparteien sind zerbrochen, es sind an ihrer Stelle viele Neugründungen entstanden. Man könnte heute von sieben bis acht wichtigen Oppositionsparteien im Land ausgehen. Durch ihren Zusammenschluss und ihren gemeinsamen Kandidaten bei der Präsidentschaftswahl 2012 ist hier nach langem Zögern und nach langer Agonie endlich ein Anfang gemacht. Auch in anderen Ländern zeigt die Erfahrung, dass Diktaturen eigentlich nur durch die gemeinsame Anstrengung aller demokratischen Kräfte – egal ob rechts oder links oder Mitte – gestürzt werden können.“

Wie Kuba kennt auch Venezuela seine politischen Gefangenen: Allerdings werden bei der Verurteilung oft andere Motive vorgeschoben. Beispiel: der Studentenführer Nixon Moreno. Ihm warf das Regime den Versuch vor, eine Studentin vergewaltigt zu haben. Damit sollte der Wortführer von Studentenprotesten mundtot gemacht werden.

„Der ist dann allerdings mal kurzfristig verhaftet worden, mal wieder frei gelassen worden und ist dann in die Apostolische Nuntiatur geflüchtet, wo er mehrere Jahre unter vatikanischem Schutz stand. Ich habe mit dem Apostolischen Nuntius damals persönlich gesprochen in Caracas 2007, als ich den Herrn Moreno auch gesehen habe. Der Bischof ist völlig davon überzeugt, dass der junge Mann unschuldig war. Und in so einem Fall glauben wir das auch.“

Die Beziehung zwischen Kirche und Regime war nie einfach; 2001 gab es mal eine richtige Anschlagswelle und Schikanen gegen kirchliche Einrichtungen, und auch in den letzten Wochen werden wieder Übergriffe gegen religiöse Bildnisse und Statuen gemeldet. 96 Prozent der Bevölkerung sind katholisch; die Kirche hat aber aus historischen Gründen in Venezuela eine viel schwächere Stellung und weniger Einfluss auf die Politik, als das etwa in Kolumbien der Fall ist.

„Die Venezolaner sind nicht so kirchennah wie Kolumbianer. Aber in der Chavez-Zeit hat die Kirche als eine der wichtigsten Stimmen der Opposition starkes öffentliches Profil gewonnen. Vor allem durch den Kardinal von Caracas, der den Staat auf dem Weg in eine totalitäre Diktatur beschreibt. Daraufhin hat Hugo Chavez ihn als Höhlenmenschen bezeichnet und ihm die Würdigkeit für sein Amt abgesprochen. Worauf der Vatikan erinnert hat, dass es immer noch Aufgabe des Vatikans sei, Kardinäle zu ernennen etc.“

Allerdings könne Chavez nicht zu weit gehen; das allgemeine religiöse Gefühl der Venezolaner ist zu stark. Chavez versuche auch immer wieder, katholische Persönlichkeiten auf seine Seiten zu ziehen und sie als die „revolutionäre Kirche“ zu präsentieren – gegen den „bösen“ Kardinal Urosa, so Grundberger weiter. Als der Präsident in einem kubanischen Krankenhaus lag, tauchte also ein katholischer Priester auf einer offiziellen Parteiveranstaltung in Caracas auf, um für den Kranken zu beten. Auch evangelikale Beter waren eingeladen.

„Was diese Angriffe betrifft: Die katholische Kirche vermutet radikale Evangelikale hinter dieser Sache und nicht die Regierung. Allerdings bittet man die Regierung, diese Dinge wirklich aufzuklären und hofft darauf, dass Aktionen stattfinden. Die Regierung klärt aber wohl nicht wirklich auf.“

Vor ein paar Jahren gab es auch eine Welle von Anschlägen auf Juden: Da brannten Synagogen in Caracas, und Chavez goss noch Öl ins Feuer, indem er als Grund für die Anschläge Israels Haltung den Palästinensern gegenüber nannte. Auch in diesem Fall tat das Regime wenig, um die Anschläge aufzuklären. Die Kirche werde in ihrer pastoralen Arbeit punktuell behindert, so Grundberger. Auch Geistlichen, die regimekritische Äußerungen machten, werde ein Maulkorb angelegt:

„Es unterliegt so ein bisschen der Zensur, und da Venezuelas Kirche insgesamt viel konfrontativer ist gegenüber Chavez als das je die kubanische Kirche war, ist da natürlich immer Potential für Spannungen. Chavez hat immer wieder gedroht, dass er das Konkordat mit dem Vatikan auf die Probe stellen könnte. Es ist allerdings mehr Rhetorik geblieben, als dass es Realität geworden wäre. Allerdings ist die Kirche nicht die stärkste Konfliktlinie in Venezuela.“

2012 gibt es in Venezuela Präsidentschaftswahlen. Chavez werde sich deshalb im Vorfeld wohl kaum zu sehr mit der Kirche anlegen, vermutet Grundberger. Dass sich der autoritäre Staatschef aber im Notfall auch über demokratische Spielregeln hinwegsetzt, passt für den Menschenrechtsexperten nur ins Bild:

„Ich glaube nicht, dass sich Chavez durch demokratische Wahlen von der Regierung entfernen lassen wird. In dem Moment, wo er sieht, dass er trotz seiner ganzen Manipulationen im Vorfeld – es ist zum Beispiel so, dass die Oppositionskandidaten viel weniger Sendezeit bekommen, es gibt ein völlig undurchsichtiges Wahlsystem, was relativ leicht manipulierbar ist, da es mit Computern funktioniert etc. – also wenn Chavez sehen sollte, dass er diese Wahl trotz dieser Manipulationen verliert, wird er mit Sicherheit bekannt geben, dass er gewonnen hat und dann versuchen, auf jeden Fall an der Macht zu bleiben. Er hat bisher wenig Respekt gezeigt vor den demokratischen Institutionen, deshalb ist es nicht zu erwarten, dass er den jetzt zeigen wird. Bisher war es so: Solange die Demokratie ihm geholfen hat, hat er sie benutzt, und überall da, wo nicht, hat er sie nicht benutzt.“

(rv 14.07.2011 sk)









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