Als unbesiegbar präsentiert
sich der der venezolanische Staatschef Hugo Chavez gerne der Welt und seinem Volk.
Nach seiner Krebsoperation im kubanischen Havanna war er Anfang Juli nach Venezuela
zurückgekehrt, ein Paar Tage später schon schmückte er sich in einem Video mit Attributen
von Nietzsches „Übermensch“. Mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen in Venezuela
im kommenden Jahr legt Chavez jetzt schon vor. Im Notfall würde er sich aber auch
über demokratische Spielregeln hinwegsetzen, meint Sebastian Grundberger von der Internationalen
Gesellschaft für Menschenrechte. Venezuela sei seit 1999 zu einer funktionsfähigen
Diktatur geworden, so der Experte im Gespräch mit dem Hilfswerk „Kirche in Not“. Wie
konnte überhaupt so weit kommen? Dafür blickt Grundberger in die Phase vor Hugo Chavez
Zeit:
„Es gab eine politische Elite, die absolut diskreditiert war in weiten
Teilen der Bevölkerung, wo es Korruption gab, wo große Enttäuschung darüber herrschte,
dass die enormen Öl-Einnahmen des Landes den breiten und vor allem armen Bevölkerungsschichten
nicht zugute kamen. Und aus dieser Unzufriedenheit heraus ist ein Anti-System-Kandidat
wie Chavez gekommen, der damals sicherlich eine attraktive Alternative gewesen ist,
zumal er ja mit großer Rhetorik auftrat: Er versprach, alles zum Besseren zu wenden;
1999 allerdings hat auch gesagt: kein Kommunismus, keine Verstaatlichungen. Das liest
sich heute wie ein Hohn!“
Chavez habe eine enorme PR-Maschine aufgebaut:
Wenn man heute durch Caracas geht, sieht man überall Riesenposter mit Aufschriften
wie „Danke, Präsident Chavez, für die zweite Unabhängigkeit, die Sie uns verschafft
haben“, berichtet Grundberger:
„Es kommt zu einer permanenten Gehirnwäsche
der ganzen Bevölkerung. Und dadurch, dass natürlich auch große Medienhäuser geschlossen
worden sind, vor allem was den Fernsehbereich und den frei empfangbaren Fernsehbereich
betrifft, gibt es große Teile der besonders bildungsferneren Schichten, die sich schon
seit Jahren ohne unabhängige Informationen informieren müssen. Und das macht es Chavez
leicht, Stimmen zu gewinnen.“ Stimmen vom Wahlvolk und Stimmen von ganz oben:
Wer so unangefochten regiert, kann sich schon mal für den Messias halten. Der Chavismus
auf dem Weg zur Ersatzreligion? Ja doch, schon, meint Sebastian Grundberger: „Ja,
wenn man zum Beispiel das Pantheon der Nationalhelden besuchen: da kann man sich vor
der venezolanischen Flagge verneigen, und Hugo Chavez ist da auch mit einem Bild zugegen.
Das sieht auch aus wie eine Kirche von außen. Es gibt ständig diese einpeitschenden
Slogans. Auch die katholische Kirche und das Christentum wird von ihm ein bisschen
als Bedrohung seines Vetternstaates gesehen. Chavez lässt sich ja auch öffentlich
als Retter huldigen, als zweiter Simón Bolívar, als jemand, der es schafft,
das Land in die sozialistische Zukunft zu führen. Er ist ja inzwischen auch geschieden,
er will ganz der Revolution dienen, wie er sagt. Und es gibt da Parallelen zu dem,
was auch von Fidel Castro lange Jahre kam. Er wird wie ein religiöser Führer von den
Medien hochstilisiert, weil ihm die Staatsmedien total hörig sind.“
Da
ist es wohl auch kein Zufall, dass Messias Chavez ausgerechnet am Tag des Herrn zu
seinem Land spricht: Jeden Sonntag kommt die Fernsehsendung „Aló Presidente“, in der
Chavez vor der Kamera regiert. Und das kann auch mal sieben oder acht Stunden dauern.
Alle staatlichen Fernsehsender – und das ist mittlerweile die deutliche Mehrheit –
müssen die Show live übertragen, ebenso viele Radiosender. Der Auftakt der Sendung
besteht aus Sambatakten, danach geht es meistens ziemlich unterhaltsam weiter. Ein
Langeweiler ist Chavez nämlich nicht. Auch der kubanische Revolutionsführer Fidel
Castro war sich nicht zu schade, während Chavez Krankenhausaufenthalt in Havanna den
Krankenwärter zu machen. Castro ist das Vorbild für Chavez; der dankbare Venezolaner
hält Kubas Wirtschaft einigermaßen über Wasser, indem er sie „schmiert“, so Grundberger.
„Wenn
ich geschmiert sage, meine ich Erdöl. Venezuela ist, so glaube ich, der siebtgrößte
Erölproduzent der Welt, es hat in Südamerika, zusammen mit Mexiko, die meisten Erdölreserven.
Fidel Castro bekommt das von Chavez zum Spottpreis, dafür schickt Kuba Ärzte, die
Chavez dringend braucht, um seine „Missionen“, wie er das immer nennt, durchzuführen
– zum Beispiel die kostenlose Gesundheitsvorsorge für die armen Bevölkerungsschichten.“
Der
Göttinger Experte geht davon aus, dass auch immer mehr kubanische Geheimdienstleute
Einfluss auf Chavez haben: Er habe gesicherte Infos, dass Chavez ihnen mehr traue
als seinen Landsleuten, weil er Angst vor einem Mordkomplott hat.
„Mittlerweile
sind diese beiden Länder eine Symbiose eingegangen, die sogar zu Spekulationen geführt
haben, das Hugo Chavez nach der kubanischen Präsidentschaft greifen könnte, wenn Fidel
Castro bzw. Raoul Castro nicht mehr sind. Es ist zwar sehr unwahrscheinlich, aber
das so etwas durch seinen Kopf gegangen ist, halte ich nicht für ausgeschlossen, zumal
man immer sehen muss, dass Chavez eigentlich ganz Lateinamerika gerne unter seiner
Führung vereinigen möchte.“
Anderthalb Millionen Venezolaner haben in den
letzten Jahren das Land verlassen; Miami, das lange wegen seiner vielen Exilkubaner
als Klein-Havanna galt, verfügt mittlerweile auch über eine stark wachsende Gemeinschaft
von Exil-Venezolanern. Die Emigrationswelle liegt u.a. an dem Berufsverbot, das vielen
Menschen in Venezuela, etwa Journalisten, ständig droht. Und sie liegt an der starken
Rechtsunsicherheit in Venezuela – Chavez enteignet immer wieder mal spontan und vor
laufender Kamera ein Unternehmen. Das schadet auch der Wirtschaft: Die Verstaatlichung
des größten Erdölversorgers hat zu einem starken Rückgang der Erdöl-Produktion geführt.
Und die Wirtschaftskrise kommt längst auch bei den Armen in Venezuela an.
„Es
gibt schon ein assistenzialistisches Programm, wo Geld verteilt wird unter Armen,
wo die Armen medizinische Versorgung welcher Qualität auch immer bekommen. Also ganz
zu verneinen, dass es gewisse Verbesserungen gibt für die armen Menschen, wäre auch
falsch. Wobei man sich darüber streiten kann, wie nachhaltig das alles ist. Chavez
kauft sich dadurch Stimmen und hält die Leute damit dumm. Die sollen ihn vor allem
wählen und vielleicht was zu essen haben, aber bloss nicht im gesellschaftlichen Diskurs
mitreden sollen.“
Die Fassade in Caracas ist strikt rechtsstaatlich: Da
finden Wahlen statt, es gibt ein Parlament und ein Oberstes Gericht. Doch im Kontrast
dazu steht die Machtfülle von Chavez, der z.B. Richter ernennt oder rausschmeißt,
ganz nach Belieben.
„Venezuela ist kein totalitärer Staat, denn die Gesellschaft
hat noch Freiräume, die Chavez noch nicht okkupieren konnte. Es sind 27 Millionen
Menschen, die im Prinzip ein recht freiheitliches System bis 1999 gewohnt waren. Und
es war ja auch nicht so, dass da die Diktatur auf einmal Einzug gehalten hat, sondern
das System ist schrittweise eingeführt worden. Wir haben sicherlich einen Staat, der
die ganze Gesellschaft durchdringen möchte mit seiner Ideologie, der von daher sicherlich
eine totalitäre Ausrichtung hat, es aber noch nciht ganz geschafft hat. Da gibt es
immer wieder Diskussionen über neue Gesetze, zum Beispiel ein Bildungsgesetz, wo Cahvez
die Vormundschaft aller Kinder ab sieben Jahre auf den Staat übertragen will.“
Das
Gesetz kam allerdings nicht durch, wegen starker Proteste. Der Präsident musste den
Vorschlag wieder zurücknehmen. Übrigens gibt es seit eineinhalb Jahren auch eine ernstzunehmende
Opposition in Venezuela: die „mesa de la unitad“, der Tisch der Einheit. Ein Zusammenschluss
aus vielen Oppositions-Parteien und –bewegungen.
„Die großen Traditionsparteien
sind zerbrochen, es sind an ihrer Stelle viele Neugründungen entstanden. Man könnte
heute von sieben bis acht wichtigen Oppositionsparteien im Land ausgehen. Durch ihren
Zusammenschluss und ihren gemeinsamen Kandidaten bei der Präsidentschaftswahl 2012
ist hier nach langem Zögern und nach langer Agonie endlich ein Anfang gemacht. Auch
in anderen Ländern zeigt die Erfahrung, dass Diktaturen eigentlich nur durch die gemeinsame
Anstrengung aller demokratischen Kräfte – egal ob rechts oder links oder Mitte – gestürzt
werden können.“
Wie Kuba kennt auch Venezuela seine politischen Gefangenen:
Allerdings werden bei der Verurteilung oft andere Motive vorgeschoben. Beispiel: der
Studentenführer Nixon Moreno. Ihm warf das Regime den Versuch vor, eine Studentin
vergewaltigt zu haben. Damit sollte der Wortführer von Studentenprotesten mundtot
gemacht werden.
„Der ist dann allerdings mal kurzfristig verhaftet worden,
mal wieder frei gelassen worden und ist dann in die Apostolische Nuntiatur geflüchtet,
wo er mehrere Jahre unter vatikanischem Schutz stand. Ich habe mit dem Apostolischen
Nuntius damals persönlich gesprochen in Caracas 2007, als ich den Herrn Moreno auch
gesehen habe. Der Bischof ist völlig davon überzeugt, dass der junge Mann unschuldig
war. Und in so einem Fall glauben wir das auch.“
Die Beziehung zwischen
Kirche und Regime war nie einfach; 2001 gab es mal eine richtige Anschlagswelle und
Schikanen gegen kirchliche Einrichtungen, und auch in den letzten Wochen werden wieder
Übergriffe gegen religiöse Bildnisse und Statuen gemeldet. 96 Prozent der Bevölkerung
sind katholisch; die Kirche hat aber aus historischen Gründen in Venezuela eine viel
schwächere Stellung und weniger Einfluss auf die Politik, als das etwa in Kolumbien
der Fall ist.
„Die Venezolaner sind nicht so kirchennah wie Kolumbianer.
Aber in der Chavez-Zeit hat die Kirche als eine der wichtigsten Stimmen der Opposition
starkes öffentliches Profil gewonnen. Vor allem durch den Kardinal von Caracas, der
den Staat auf dem Weg in eine totalitäre Diktatur beschreibt. Daraufhin hat Hugo Chavez
ihn als Höhlenmenschen bezeichnet und ihm die Würdigkeit für sein Amt abgesprochen.
Worauf der Vatikan erinnert hat, dass es immer noch Aufgabe des Vatikans sei, Kardinäle
zu ernennen etc.“
Allerdings könne Chavez nicht zu weit gehen; das allgemeine
religiöse Gefühl der Venezolaner ist zu stark. Chavez versuche auch immer wieder,
katholische Persönlichkeiten auf seine Seiten zu ziehen und sie als die „revolutionäre
Kirche“ zu präsentieren – gegen den „bösen“ Kardinal Urosa, so Grundberger weiter.
Als der Präsident in einem kubanischen Krankenhaus lag, tauchte also ein katholischer
Priester auf einer offiziellen Parteiveranstaltung in Caracas auf, um für den Kranken
zu beten. Auch evangelikale Beter waren eingeladen.
„Was diese Angriffe
betrifft: Die katholische Kirche vermutet radikale Evangelikale hinter dieser Sache
und nicht die Regierung. Allerdings bittet man die Regierung, diese Dinge wirklich
aufzuklären und hofft darauf, dass Aktionen stattfinden. Die Regierung klärt aber
wohl nicht wirklich auf.“
Vor ein paar Jahren gab es auch eine Welle von
Anschlägen auf Juden: Da brannten Synagogen in Caracas, und Chavez goss noch Öl ins
Feuer, indem er als Grund für die Anschläge Israels Haltung den Palästinensern gegenüber
nannte. Auch in diesem Fall tat das Regime wenig, um die Anschläge aufzuklären. Die
Kirche werde in ihrer pastoralen Arbeit punktuell behindert, so Grundberger. Auch
Geistlichen, die regimekritische Äußerungen machten, werde ein Maulkorb angelegt:
„Es
unterliegt so ein bisschen der Zensur, und da Venezuelas Kirche insgesamt viel konfrontativer
ist gegenüber Chavez als das je die kubanische Kirche war, ist da natürlich immer
Potential für Spannungen. Chavez hat immer wieder gedroht, dass er das Konkordat mit
dem Vatikan auf die Probe stellen könnte. Es ist allerdings mehr Rhetorik geblieben,
als dass es Realität geworden wäre. Allerdings ist die Kirche nicht die stärkste Konfliktlinie
in Venezuela.“
2012 gibt es in Venezuela Präsidentschaftswahlen. Chavez
werde sich deshalb im Vorfeld wohl kaum zu sehr mit der Kirche anlegen, vermutet Grundberger.
Dass sich der autoritäre Staatschef aber im Notfall auch über demokratische Spielregeln
hinwegsetzt, passt für den Menschenrechtsexperten nur ins Bild:
„Ich glaube
nicht, dass sich Chavez durch demokratische Wahlen von der Regierung entfernen lassen
wird. In dem Moment, wo er sieht, dass er trotz seiner ganzen Manipulationen im Vorfeld
– es ist zum Beispiel so, dass die Oppositionskandidaten viel weniger Sendezeit bekommen,
es gibt ein völlig undurchsichtiges Wahlsystem, was relativ leicht manipulierbar ist,
da es mit Computern funktioniert etc. – also wenn Chavez sehen sollte, dass er diese
Wahl trotz dieser Manipulationen verliert, wird er mit Sicherheit bekannt geben, dass
er gewonnen hat und dann versuchen, auf jeden Fall an der Macht zu bleiben. Er hat
bisher wenig Respekt gezeigt vor den demokratischen Institutionen, deshalb ist es
nicht zu erwarten, dass er den jetzt zeigen wird. Bisher war es so: Solange die Demokratie
ihm geholfen hat, hat er sie benutzt, und überall da, wo nicht, hat er sie nicht benutzt.“