Mehr als 11.000 Menschen
sollen seit Anfang Juli aus Somalia geflohen sein: Opfer der verheerenden Dürre im
Dreiländereck Somalia-Kenia-Äthiopien. Allein im Flüchtlingslager Dadaab in Kenia
– dem größten der Welt – sollen sich derzeit 400.000 Somalier aufhalten. Die UNICEF
spricht von zehn Millionen Menschen in der Region, die dringend Nahrungsmittelhilfe
brauchen. Giorgio Bertin ist der Apostolische Administrator von Mogadischu und Bischof
von Dschibuti:
„Ich glaube, die UNO hat recht, wenn sie von der derzeit
größten Naturkatastrophe der Welt spricht. Die Dürre in Somalia wird noch besonders
verschärft durch den Umstand, dass seit zwanzig Jahren schon eine Zentralgewalt fehlt,
ein Staat – vor allem im mittleren und südlichen Teil Somalias. In anderen Ländern
der Region, auch in Dschibuti, wo ich mich im Moment aufhalte, sind die Folgen der
Dürre zwar spürbar, aber nicht ganz so katastrophal, weil vor allem in Somalia keine
Sicherheit herrscht und ständig zwischen verschiedenen Gruppen gekämpft wird.“
In
dem gescheiterten Staat am Horn von Afrika bekämpft eine radikal-islamische Miliz
namens Shabab die legitime, aber fast machtlose Übergangsregierung. Die Radikalen
haben die Arbeit ausländischer Hilfsorganisationen bislang für „unislamisch“ gehalten
und deshalb blockiert.
„Es ist schwierig, Hilfen nach Somalia hineinzubekommen.
Immerhin haben die Shabab, die den Großteil des mittleren und südlichen Landesteils
kontrollieren, angesichts der Dürre jetzt doch gesagt, dass die Hilfe jedweder NGO
willkommen ist, wenn sie die Kultur und die Religion vor Ort respektiert.“
Die
Religion vor Ort ist die islamische, denn die katholische Kirche ist in den letzten
zwanzig Jahren langsam, aber sicher aus Somalia verschwunden. Der letzte Bischof in
Mogadischu, ein Italiener, wurde im Juli 1989 in seiner Kathedrale umgebracht. Nur
noch etwa hundert somalische Katholiken sollen sich in dem Land aufhalten. Sie dürfen
sich nicht untereinander treffen, sie haben kein Kirchengebäude und dürfen keine Messe
feiern; Bertin konnte auch in den letzten zwei Jahren nicht mehr von Dschibuti nach
Zentralsomalia hinein. Er versucht, Kontakte per Telefon zu halten.
„Die
Kirche in Somalia ist seit zwanzig Jahren schon völlig zerstört. Alle Kirchen wurden
dem Erdboden gleichgemacht. Wir konnten allerdings durch die Caritas doch noch etwas
präsent bleiben. Allerdings haben wir kein eigenes Personal vor Ort – wir arbeiten
mit den dortigen Leuten zusammen und über Mittelsmänner.“
Viel Geld kann
der Bischof von Dschibuti aus nicht aufbringen; darum muss er bei der Hilfe Akzente
setzen:
„Die Kinder sind natürlich in einer solchen Lage die schwächsten,
verletzlichsten, dazu die älteren Leute. Wir haben ein Hilfsprojekt für Kinder unter
zehn jahren und für ältere Leute in der Region Nieder-Juba: Menschen, die keine Familie
mehr haben, die ihnen helfen könnte. Jetzt in der Dürrezeit spricht man von Millionen
von Kindern, die zu verhungern drohen. Die internationale Gemeinschaft hat Hilfe zugesagt,
bräuchte aber eine gute Koordination.“
In den letzten 21 Jahren hat es
für Somalia nicht weniger als fünfzehn Friedenskonferenzen gegeben – alle gescheitert,
wie Bischof Bertin bitter sagt. Die Somalier selbst engagierten sich nicht genug in
diese Richtung: Die meisten politischen Führer im Land arbeiteten nur auf eigene Rechnung,
nicht etwa für das Gemeinwohl. Trotzdem will er die Hoffnung nicht aufgeben, gerade
jetzt in Zeiten der Dürre nicht:
„Ich sage immer, dass wir die Hoffnung
nicht sinken lassen dürfen, dass wir insistieren müssen und früher oder später doch
einen echten Staat für Somalia erreichen werden. Vielleicht kann ja auch diese große
Dürreperiode eine Gelegenheit für neue Versuche sein, den Staat wiederaufzubauen.“
Sollte
es in Somalia irgendwann wieder einen effizienten Staatsapparat und eine funktionierende
Regierung geben, dann – so hofft Bischof Bertin – kann die Kirche vielleicht wieder
offener im Land operieren. Und vielleicht auch eines Tages wieder Kirchen bauen. Aber
das ist Zukunftsmusik in einem Moment, in dem sich wegen Krieg und Trockenheit die
Preise für Grundnahrungsmittel in der Hauptstadt Mogadischu binnen weniger Wochen
vervierfacht haben. Und in dem ein Drittel der Bevölkerung auf Lebensmittellieferungen
angewiesen ist. Viele Hilfswerke wollen ihre Arbeit in Somalia wieder aufnehmen, doch
werden künftig wohl auch wieder große Teile der Hilfe von den Shabab-Milizen beschlagnahmt.
So dass die Hilfen auch Somalias ewigen Krieg weiter nähren könnten.