2011-07-13 14:52:14

Deutschland: Bischöfe gehen sexuellem Missbrauch wissenschaftlich auf den Grund


RealAudioMP3 Nach der Aufdeckung der Missbrauchsfälle durch Kleriker und der konkreten Hilfe für die Opfer will die deutsche Bischofskonferenz nun auch Ursachenforschung betreiben. Das sagte der Trierer Bischof Stefan Ackermann bei der Vorstellung von zwei Forschungsprojekten zu sexuellem Missbrauch. Die Zahl der Opfermeldungen sei deutlich zurückgegangen, so dass der Zeitpunkt für wissenschaftliche Aufarbeitung geeignet sei, so Ackermann, der in der Bischofskonferenz mit dem Thema Missbrauch und Aufarbeitung beauftragt ist. Eines der beiden Projekte wird von Christian Pfeiffer geleitet, Professor am Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen. Wir haben ihn gefragt, was man durch diese Studie zu erfahren hofft.

„Erstmal wollen wir klären, wie sich im Längsschnitt seit 1945 der sexuelle Missbrauch durch Priester entwickelt hat. In den USA ist auffällig, dass es in den letzten drei Jahrzehnten zu einem drastischen Rückgang gekommen ist. Wir sind sehr neugierig zu sehen, ob es sich in Deutschland bestätigt, ob dieser Rückgang vielleicht schon früher eingesetzt hat. In den USA war nämlich auffällig, dass er dann begonnen hat, als die Liberalisierung der Sexualität immer mehr um sich gegriffen hat.“

Worin genau besteht das Projekt? Auf was für einen Zeitraum ist es angelegt, und wie viele Menschen werden Sie befragen und untersuchen?

„Die Methode ist, dass wir zunächst die Akten der Kirche untersuchen lassen. Das sind dann pensionierte Richter und Staatsanwälte, die in den Diözesen direkt Kontakt zu solchen Akten bekommen, die einschlägig sind und wo die Kirche selber den Verdacht hatte oder den bestätigten Verdacht weiß, dass jemand Missbrauch begangen hat. Diese Akten werden analysiert. Der zweite Schritt ist, dass wir Priester befragen, die Täter sind, in ausführlichen persönlichen Interviews auf Tonband, anonym und angstfrei für sie. Dritter Schritt ist, dass wir alle Opfer anschreiben und sie bitten, einen Fragebogen von uns auszufüllen. Dafür verwenden wir ein Forschungsinstrument, das wir gerade bundesweit mit 11.000 Menschen schon nutzen konnten. Wir können also vergleichen, wie der Missbrauch von Priestern abgelaufen ist, im Vergleich zu Sportlehrern, Familienangehörigen, Nachbarn und anderen Personen. Und viertens, wir interviewen gründlich Opfer, die dazu bereit sind, mit uns zu sprechen, um genauer zu erfahren, wie der Priester im Einzelfall an sie herangetreten ist. Wie das Ganze abgelaufen ist, wie lange es gedauert hat, wie es beendet wurde und welche Konsequezen es für sie gehabt hat. Und: Wie klärend sich die Kirche gegenüber von Tätern und Opfern verhalten hat“.

Missbrauch ist ja nicht allein ein ausschließlich kirchliches Phänomen. Gleichzeitig darf die Kirche das nicht relativieren nach dem Motto, gesellschaftlich ist das ja viel weiter verbreitet. Wollen Sie mit ihrer Studie auch über den Raum hinaus wirken und informieren?

„Das ist für uns sehr günstig, dass wir eben parallel im Auftrag der Bundesregierung eine Untersuchung zur Durchführung von Missbrauch der Gesellschaft durchführen. Wir werden also vergleichen können in den Familien, in Sportvereinen, wie es in anderen Bereichen gelaufen ist. Wir werden natürlich auch eine Aussage machen können. Dazu, ob tatsächlich, was die Öffentlichkeit lange glaubte, Priester höher belastet sind als altersgleiche Männer oder, was wir vermuten, niedriger belastet sind. Die Phase von hohen Belastungen von Priestern in den USA in den 70er Jahren ist aber nicht mehr Gegenwart. Es kann gut sein, dass am Ende unserer Untersuchung das Ergebnis steht, Priester sind eindeutig weniger hier in sexuellen Missbrauch verwickelt als die Gruppe der altersgleichen Männer in Deutschland.“

Sie haben eben kurz die Korrelation angesprochen zwischen sexueller Befreiung und dem Missbrauch.

„Man kann das gar nicht ausblenden, weil es so auffällig ist, dass in den USA der Missbrauch in der Phase besonders hoch war, als Priester einerseits durch Zölibat stark daran gehindert waren, Kontakt zu Frauen und Männer zu bekommen, mit denen sie gerne sexuelle Erfahrungen hätten, und dann haben sie sich, so haben die Amerikaner ermittelt, ersatzweise an Kindern und Jugendlichen vergriffen. Das Faszinierende ist, dass der Anteil der Priester, der pädophil ist, also von vornherein fixiert ist auf Kinder, in den 60 Jahren der amerikanischen Forschung völlig konstant geblieben ist, unverändert niedrig. Sehr wenige, aber es war immer dieselbe Prozentgruppe. Der Anteil der Ersatzhandlungstäter, die eigentlich auf Erwachsene fixiert sind und notgedrungen auf Kinder zurückgegriffen haben, der war am höchsten in der Phase, als es für amerikanische Priester ausgesprochen schwierig war, wegen der dort weitverbreiteten Prüderie an Frauen oder auch an Männer heranzukommen, als Sexualität mit Priestern völlig ausgeschlossen war. Je liberaler die Sexualität sich in den USA entwickelt hat, umso niedriger war der Anteil der Priester, die sich ersatzweise an Kindern vergriffen haben, heute geht das gegen null. Es scheint also so zu sein, dass die Liberalisierung der Sexualität also das Risiko für Kinder drastisch reduziert hat, dass sie von Priestern missbraucht werden.“

Nochmal zur Klarstellung. Sie sagen, es gibt also klar Pädophile, aber es gibt eben auch Missbrauch an Kindern, der nicht in der Pädophilie gründet, sondern in Ersatzhandlungen.

„Ja, das ist die größere Gruppe. In den USA war das Verhältnis zum Höhepunkt des Missbrauchs in den 70er Jahren etwa sechs zu eins - absolut dominierend Priester, die eigentlich nicht Pädophile sind. Diese große Gruppe ist immer weniger geworden und spielt heute nur noch eine Randrolle. Das heißt, völlig stabil ist immer der Anteil derjenigen, die auf Kinder fixiert sind. Die dafür auch nichts können. Das merken sie schon im Alter von 15/ 16, wenn ihre Blicke magisch angezogen sind im Schwimmbad von den Kinderkörpern und sie überhaupt kein Interesse daran haben, einer Frau nachzuschauen.“

Glauben Sie, dass sich dieses Phänomen des Ersatzhandlungsmissbrauchs wird überwinden lassen?

„Ich denke, ja. In den USA hat sich gezeigt, dass eine verbesserte Aus- und Fortbildung der Priester sehr hilfreich gewesen ist. Dies hat in den 80er Jahren eingesetzt und zu einer Entkrampfung des sexuellen Themas in der katholischen Kirche geführt. Es hat offenbar sehr dazu beigetragen, dass heute Missbrauch durch Priester eine extreme Ausnahme ist , sich stark auf die Pädophilen begrenzt und kaum noch Ersatzhandlungstäter zu beobachten sind. Dieser Wandel ist auf gesellschaftliche Vorgänge zurückzuführen - aber offenbar, wie die amerikanischen Kollegen darstellen, auch auf innerkirchlichen Maßnahmen der Prävention, z.B. dass es Priestern neuerdings in den letzten zehn Jahren verboten war, Kinder in ihre eigene Wohnung mitzunehmen, was früher oft der Weg gewesen ist zum Missbrauch.“

Und wie gehen wir dann wirklich mit pädophilen Männern um?

„Da gibt es ein sehr gutes Konzept, dass wir der Kirche auch anbieten: dass man Menschen,, die nun mal das Pech haben, dass sie mit 15 merken, dass sie pädophil sind, anbietet, anonym und angstfrei eine Therapie zu machen, die bezahlt wird von der Kirche, ohne dass sie weiß, wer die betroffenen Priester sind. In Berlin gibt es eine solche Therapieeinrichtung, die andockt an die Charité. „ Kein Täter werden“ heißt sie, und dort melden sich freiwillig Männer (außerhalb der Kirche bisher), die pädophil sind, die aber auf keinen Fall Kindern schaden wollen und selber dann zwar ihre Pädophilie nicht verlieren - das haben sie bis ans Lebensende -, aber doch lernen, ganz abzuschalten. Sich zu konzentrieren auf Wege, die es unwahrscheinlich werden lassen, dass sie Kontakt zu Kindern suchen.“

(rv 13.07.2011 ord)







All the contents on this site are copyrighted ©.