2011-07-08 11:51:39

Kardinal Marx: „Die Menschen warten“


RealAudioMP3 „Die Unruhe war im letzten Jahr groß.“ Das sagt der Münchner Erzbischof und Kardinal Reinhard Marx im Gespräch mit Radio Vatikan. Die Debatte in der deutschen Kirche nach Bekanntwerden der Missbrauchsfälle sei der äußere Anlass für einen deutschlandweiten Dialogprozess, der an diesem Freitag und Samstag in Mannheim startet. Die Deutsche Bischofskonferenz will in den kommenden fünf Jahren mit Geistlichen, Ordensleuten und engagierten Laien über den Glauben und die Zukunft der Kirche diskutieren. Marx betont: Bischöfe und Laien sollten sich gemeinsam auf den Weg machen. Im Mittelpunkt stünden aber nicht politische Forderungen oder Resolutionen, sondern eine gemeinsame Rückbesinnung auf die Hauptaufgabe aller – die Verkündigung des Evangeliums. Die Menschen warteten darauf, „auch wenn sie es manchmal selber nicht wissen“, so Marx.

Birgit Pottler hat mit dem Münchner Erzbischof und Kardinal gesprochen:

Nach der Unruhe…

RV: „Im Heute glauben – wo stehen wir?“ Die Deutsche Bischofskonferenz hat einen Gesprächsprozess angestoßen, fünf Jahre soll er dauern. Was ist der Grund für diese Entscheidung? Was ist das Ziel?

Kardinal Marx: „Der erste Grund war natürlich, dass im letzten Jahr die Unruhe doch ziemlich groß war, auch die Aufdeckung der Missbrauchstatsachen hat in der Kirche auch in Deutschland zu einer erheblichen Debatte geführt. Aber das war sozusagen der äußere Anlass. Wir sind ja schon seit vielen Jahren in der Diskussion darüber, wie können wir in einer pluralen Gesellschaft und angesichts einer neuen Herausforderung Kirche sein. Viele Bistümer haben deswegen schon synodale Wege, Gesprächsprozesse durchgeführt. Wir fangen also nicht bei Punkt Null an.

…neu auf den Weg machen

Aber das hat eine gewisse Dringlichkeit bekommen. Deswegen haben wir in der Bischofskonferenz immer wieder darüber gesprochen, ob es nicht notwendig wäre, eine Art Selbstvergewisserung in einem größeren Kreis anzugehen und dazu einzuladen, gerade im Blick auf das Zweite Vatikanische Konzil, dessen Jubiläum wir ja in den nächsten Jahren feiern, und einen gemeinsamen Weg zu gehen. Natürlich müssen die Bistümer in ihren eigenen Bereichen und die Bischöfe in ihrer eigenen Verantwortung das tun, was sie für richtig halten. Aber ich glaube, wir müssen auch als Kirche in Deutschland einen solchen Selbstvergewisserungsweg gehen, damit wir uns auch neu auf den Weg machen, um das Evangelium zu verkünden.“

Eine Art Würzburger Synode II? Ein neues Beschlussgremium zur Umsetzung des Zweiten Vatikanischen Konzils ist aber nicht geplant?

„Nein, das sollte es nicht sein. Eine Synode ist gerade nicht gewünscht. Das würde einer ganz anderen Organisation und Vorbereitung bedürfen. Es geht wirklich um einen geistlichen Vergewisserungspunkt, dass wir auch als Bischöfe einmal Hörende sind. Wir müssen lehren und lernen, wir müssen sprechen und hören. Das ist immer unsere Aufgabe. Deswegen haben wir überlegt, ob man in einer solchen Auftaktveranstaltung wirklich zu einem geistlichen Ausgangspunkt kommt, um zu hören, was der Herr uns in dieser Stunde sagt. Wir haben eingeladen, soweit es geht einen repräsentativen Querschnitt durch die verschiedenen Gruppierungen, Räte, Gremien und geistliche Bewegungen in der Kirche, die mit den Bischöfen zusammen hören wollen, was eigentlich die Situation von uns erfordert im Blick auf das, was das Zweite Vatikanische Konzil sagt: die Zeichen der Zeit zu lesen im Lichte des Evangeliums.

Hören, nicht beschließen

Nein, keine zweite Synode, kein Beschlussgremium, sondern ein Weg des Hörens und des Lernens und dann Schritt für Schritt auch Weitergehens. Denn diese Auftaktveranstaltung soll ja dazu führen auch klarer zu sehen, wie wir diesen Gesprächsweg in die Zukunft hinein gestalten wollen. Wir haben ja verschiedene Elemente, verschiedene Veranstaltungen. Wir haben jetzt den Papstbesuch, der auch eine Erfahrung der Ermutigung sein soll. Wir haben im nächsten Jahr den Katholikentag, wir haben den Nationalen Eucharistischen Kongress, wir haben gleichzeitig zwei Gesprächsfäden im Zentralkomitee mit bestimmten Themen. Das wollen wir in Mannheim klären und versuchen, in diese fünf Jahre einen gewissen Ablauf hineinzubekommen.“

Herr Kardinal, Sie haben es angesprochen: In den letzten eineinhalb Jahren bestimmte ja vor allem das Thema Missbrauch die Schlagzeilen. Haben Sie jetzt Angst vor den so genannten heißen Eisen? Welche Themen dürfen denn angesprochen werden? Was darf diskutiert werden? Die Katholische Frauengemeinschaft startet den Dialog mit der Aussage „Die Zulassung zum Diakonat ist längst überfällig“. Der BDKJ hofft immerhin auf eine Veränderung der Gesprächskultur.

„Ich würde schon meinen, die Gesprächskultur ist ein wichtiger Punkt. Gesprächskultur in der Kirche bedeutet, immer vom Communio-Gedanken auszugehen, von der Einmütigkeit, von der Suche nach Einmütigkeit. Natürlich gibt es auch Streit in der Kirche, das ist ja in der ganzen Geschichte der Kirche der Fall gewesen. Es ist eine naive Sicht, zu meinen, es habe in der Kirche nie Auseinandersetzungen gegeben.

„Natürlich gibt es auch Streit.
Das ist immer der Fall gewesen.“

Es gibt ein gemeinsames Ringen, aber es muss ein geistliches Ringen sein. Deshalb glaube ich, ist es nicht gut, wenn bestimmte Gruppen Forderungen aufstellen, was geschehen muss. Wir müssen uns erst einmal geistlich vergewissern: was ist die Mitte unseres Glaubens, was macht uns Freude im Glauben, warum sind wir Christen, warum möchten wir, dass der Glaube weiter gegeben wird? Es geht ja nicht einfach um die Zukunft der Kirche als Gemeinschaft. Es geht darum, dass der Glaube an den dreifaltigen Gott, der Glaube, den uns Christus offenbart hat, das Evangelium, dass das weiter kraftvoll und überzeugend verkündet wird. Das ist ein gemeinsamer Auftrag von Priestern, Bischöfen und Laien, und das sollte neu im Blickfeld sein.

Es geht um das Evangelium.
Nicht um politische Forderungen

Das heißt aber nicht, dass nicht auch die Themen angesprochen werden, die jeden bewegen. Aber sie müssen sich einordnen in den gemeinsamen Weg. Forderungen können nicht wie in einer politischen Organisation einfach erhoben werden, dann wird abgestimmt, dann eine Resolution verabschiedet. Das erhoffe ich mir eigentlich nicht. Aber ich habe keine Angst davor, dass alle Themen auch angesprochen werden können, die die Menschen bewegen, das ist überhaupt kein Thema.“

Sie sprechen von der geistlichen Dimension. Die Arbeitseinheiten in Mannheim etwa sind eingebettet in Gebetszeiten. Steht das Gebet im Mittelpunkt? Oder ist das Gebet der Ausgangspunkt, der Start für diesen Prozess?

„Der Ausgangspunkt ist immer ,Im heute Glauben’. Das ist ja das Thema. Das heißt, wir wollen uns vergewissern, warum sind wir wirklich gerne und mit Freude katholische Christen. Was hindert uns daran? Was stört uns in der Weitergabe des Glaubens? Was steht uns im Wege? Ich denke, diese beiden Schritte wären für Mannheim wichtig. Ich erhoffe mir, das in großer Einmütigkeit zu versuchen und dass damit ein Zeichen gegeben wird, dass wir als Kirche zusammenstehen, dass wir miteinander diesen Weg gehen, nicht die einen gegen die anderen, nicht die Laien gegen die Bischöfe, sondern dass wir miteinander Kirche sind und uns auf den Weg machen wollen in der jetzigen Zeit mit den vielen Problemen, die auch da sind, das Evangelium neu zu verkünden und kraftvoll zu bezeugen.

Einmütig.
Nicht: Laien gegen Bischöfe.

Das ist ja unser Auftrag. Wir würden ja unseren Auftrag als Kirche verraten, wenn wir ständig um uns selber kreisen und unsere Themen, die wir als die wichtigen ansehen immer in den Vordergrund schieben, sondern wir müssen uns gemeinsam im Gebet, im Hören auf das Wort des Herrn auf den Weg machen, um zu erkunden, was von ihm her unser Auftrag ist. Das erhoffe ich mir jedenfalls und deshalb haben wir in der Vorbereitung, in der ganzen Organisation und Planung einen Schwerpunkt auf diese geistliche Dimension gelegt, ohne dass geistlich bedeutet, man darf nicht offen auch kontrovers miteinander sprechen. Das, glaube ich, ist ein Missverständnis von geistlicher Dimension.“

Die Bischöfe stellen ein Zehntel der Teilnehmer am Freitag und Samstag. Insgesamt sind 300 Vertreter des kirchlichen Lebens nach Mannheim geladen. Wer darf an dem Gesprächsprozess – außer den Bischöfen – teilnehmen?

„Wir haben im Bistum, und das war auch der Auftrag an die anderen Bischöfe, zusammen sehr gut überlegt. Wir hatten als Regel ausgegeben, es sollte der Diözesanrat zusammen mit dem Priesterrat Vorschläge machen. Wir haben uns hier im Bistum gut überlegt, wie können wir den Querschnitt Männer-Frauen, Laien-Priester, Räte-Geistliche Bewegungen auch einigermaßen repräsentativ entsenden. Das haben wir in großer Einmütigkeit getan. Es gab ein Vorbereitungstreffen mit dem Generalvikar, für unser Bistum kann ich sagen, das ist ein guter Weise auch konsensorientiert auf den Weg gebracht worden.“

Die Arbeit geht weiter.
„Es nützt uns nichts,
nur immer große Veranstaltungen zu haben.“

Herr Kardinal, Sie sind Mitglied der Steuerungsgruppe für den Dialogprozess. Ihre Arbeit fängt sozusagen am Samstag, nach Abschluss der Auftaktveranstaltung erst richtig an, oder? Wenn es dann darum geht, Beobachtungen, Fragen, Kritikpunkte aufzunehmen und in die Arbeit der Bischofskonferenz einfließen zu lassen.

„Auf jeden Fall. Das ist ja ein Auftakt. Und wir werden dann auch in der Bischofskonferenz, die ja die einladende ist und damit auch verantwortlich für den weiteren Verlauf des Prozesses, überlegen müssen, wie wir die nächsten Jahre gestalten wollen. Ich erwarte mir von Mannheim dafür Impulse. Und ich meine, es ist wichtig, dass wir als Bischofskonferenz nicht nur unter uns etwas ausdenken, sondern in einem größeren Rahmen auch auf das Zeugnis der Laien hören und auch miteinander ins Gespräch kommen. Es gibt ja nicht nur die eine Seite: dort die Bischöfe, dort die Laien. Sondern das ist ein Miteinander im Gespräch bleiben, und das erhoffe ich mir. Da beginnt die Arbeit natürlich danach. Ein paar Fixpunkte gibt es ja. Die großen Veranstaltungen sind ja immer noch einmal auch nach außen hin Kristallisationspunkte, aber sie sollen auch in den Diözesen, Pfarreien, Bewegungen, Orden, geistlichen Gemeinschaften, Verbänden weiter geführt werden. Es nützt uns nichts, nur immer große Veranstaltungen zu haben. Die brauchen auch eine gewisse geistliche Nachhaltigkeit. Dafür müssen wir mit Sorge tragen. Das wird unsere Aufgabe danach sein, das ist klar. Die Arbeit geht weiter.“

Mutmacher Benedikt XVI.

Der Papst soll noch vor seiner Reise nach Deutschland über diesen Gesprächsprozess informiert werden. Erwarten Sie eine direkte Antwort, direkte Einflussnahme?

„Ich erwarte mir vor allen Dingen, dass der Heilige Vater uns Mut macht, uns als Kirche in Deutschland, die doch eine so reiche Tradition und auch noch so viel geistliche Kraft hat, so viele Möglichkeiten, so viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, so viele Ehrenamtliche, dass er uns Mut macht, nicht zu resignieren, sondern gerade jetzt in dieser schwierigen Zeit das Evangelium zu verkünden. Und die Menschen warten ja auch darauf, auch wenn sie es manchmal selber nicht wissen.

„Wir müssen uns auf die Socken machen“

Was uns Jesus im Evangelium sagt, die Offenbarung dieses Gottes, den Jesus seinen Vater genannt hat, ist so einzigartig, dass wir wirklich uns auf die Socken machen müssen, auch unsere Sendung wahrzunehmen. Die Kirche wird sich dann erneuern, wenn sie ihren Auftrag vom Herrn wahrnimmt, wenn sie ihre Arbeit tut. Dann wird sie sich von selber erneuern. Da erwarte ich mir durchaus, dass der Heilige Vater uns positive, ermutigende Hinweise gibt. Wir werden ihn über unseren Gesprächsprozess informieren. Aber ich denke, es geht noch nicht um Ergebnisse, sondern einfach um die Ermutigung zu diesem Weg, darum dass er, bevor er nach Deutschland kommt, noch einmal von uns auf den letzten Stand gebracht wird.“

(rv 06.07.2011 bp)








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