Völkermord, Verbrechen
gegen die Menschlichkeit; Folter und Verfolgung religiöser Minderheiten – das sind
die Anklagen gegen Führer des damaligen Regimes der Roten-Khmer in Kambodscha. Einige
von ihnen stehen seit Montag in Phnom Penh vor Gericht. Die überlebenden Opfer des
maoistisch-kommunistischen Regimes erhoffen sich vom Gerichtsprozess Gerechtigkeit.
Späte Gerechtigkeit – die Schreckensherrschaft der Roten Khmer ging vor 32 Jahren
zu Ende. Mit dem sich anschließenden Bürgerkrieg zog sich eine weitere blutige Spur
durch die kambodschanische Geschichte. Ulrich Dornberg ist Länderreferent für Kambodscha
beim bischöflichen Hilfswerk Misereor. Er hat schon den ersten Prozess gegen Kaing
Guek Eav, den „Foltermeister“ des Rote-Khmer-Führers Pol Pot, verfolgt. Im Gespräch
mit Radio Vatikan sagte er:
„Viele Menschen hoffen natürlich, dass auch
der Fall Zwei mit Verurteilungen ausgeht, weil das für ihren Versöhnungsprozess und
die weitere Aufarbeitung der Vergangenheit in dem Land wichtig ist.“
Rote
Hölle
Blicken wird zurück in die Geschichte. Wir schreiben das Jahr
1975. Die maoistische Bewegung der Roten Khmer ergreift die Macht. Mit brutalstem
Zwang soll Kambodscha zum agrar-kommunistischen Staat werden. Nach Vorbild der chinesischen
Kulturrevolution schicken die Ideologen des Diktators Pol Pot, des „Bruders Nummer
eins“, hunderttausende Kambodschaner aufs Land. Schwere körperliche Arbeit steht
für sie auf der Tagesordnung, viele von ihnen sterben inmitten der Reisfelder, die
sie bewirtschaften. Wer in irgendeiner Form als Abweichler von der Parteilinie gilt,
wird in Folter- und Arbeitslager eingewiesen. Im berüchtigten „Sicherheitsgefängnis
21“ in der Hauptstadt Phnom Penh, sterben die Gefangenen wie die Fliegen: nur sieben
von insgesamt 15-30.000 Gefangen überleben. Insgesamt kommt zwischen 1975 bis 1979
fast ein Viertel der acht Millionen zählenden Bevölkerung ums Leben.
Tötungen,
Zwangsarbeit und Hunger trafen auch die religiösen Minderheiten, darunter viele Christen.
Ihre Verfolgung hatte schon vor dem kommunistischen Regime der Roten Khmer begonnen,
erzählt Dornberg:
„Ein Großteil der Christen war ethnische Vietnamesen.
Und da war es so, dass mit Billigung der Amerikaner auch anti-vietnamesische Pogrome
stattgefunden haben. Bereits in den Jahren vor 1975, als die Roten Khmer die Macht
übernahmen, ist der Anteil der Katholiken von schätzungsweise 60-70.000 runtergegangen.
Der einzige Khmer-Bischof ist damals getötet worden, weil alle religiösen Einrichtungen,
Tempel, Klöster vor allem der Buddhisten zerstört wurden. Viele sind damals an Zwangsarbeit
gestorben – als Folge der antireligiösen Ideologie dieser agrarkommunistisch orientierten
Roten Khmer.“
Mit Einmarsch vietnamesischer Truppen im Dezember 1978 war
der Schrecken der Roten Khmer nicht vorbei, viele Menschen sterben im folgenden Bürgerkrieg,
der sich Jahrzehnte hinziehen sollte. Die Roten Khmer gingen in den Untergrund, doch
noch im September 1993, als unter Aufsicht der Vereinten Nationen in Kambodscha die
ersten freien Wahlen seit 20 Jahren abgehalten wurden, schafften sie es, die Wahl
zu boykottieren. Pol Pot starb 1998, ohne dass er jemals für seine Verbrechen verantwortlich
gemacht worden wäre.
Eine Folge: „Kultur der Gewalt“
Die
Folgen der Schreckensherrschaft der Roten Khmer sind auch heute in Kambodscha allgegenwärtig,
berichtet Misereor-Fachmann Dornberg. Keine Familie in Kambodscha sei dabei verschont
geblieben. Die auf dem Territorium verteilten Minen aus Kriegszeiten, die bis heute
immer wieder neue Opfer fordern, seien da nur eines von vielen Problemen.
„Indirekte
Spuren der Vergangenheit sind zu spüren in einer Kultur der Gewalt und in einer politischen
Kultur, in der Angst und Einschüchterung immer noch wirken. Und natürlich sieht man
Folgen auch im Entwicklungsstand des Landes. Alle, die als Intellektuelle bezeichnet
wurden – und das waren häufig einfach Menschen, die eine Fremdsprache gesprochen haben
oder eine Brille getragen haben – wurden ausgemerzt. Das hat natürlich auch das Bildungssystem
in dem Land zerstört. Kambodscha versucht erst jetzt ganz langsam, eine neue Generation
qualifizierter Lehrerinnen und Lehrer heranzubilden, die die Jugend auf die Herausforderungen
der Zukunft vorbereiten kann.“
Das bischöfliche Hilfswerk Misereor unterstützt
Kambodscha vor allem bei der Reform staatlicher Institutionen, die sich mit Landreformen
und Landrechten auseinandersetzen. Weiter unterstützt das Hilfswerk in Kambodscha
Behinderte und setzt sich in der Friedensarbeit besonders für Jugendliche ein. Denn
bis heute sei die aus der Vergangenheit rührende „Kultur der Gewalt“ spürbar, so Dornberg.
Man versuche dieses Schema vor allem in der Arbeit mit Jugendlichen aufzubrechen:
„Dass sie lernen, Kritik zu üben, ohne persönlich zu werden, unterschiedliche
Meinungen in Freundschaft auszutragen, ohne dass Freundschaften daran zugrunde gehen
müssen. Damit sie lernen, daran zu wachsen. Diese Friedensarbeit ist Schwerpunkt
unserer Arbeit. Es geht darum, neue Perspektiven zu geben.“
Ein schwieriger
Prozess
Kommen wir zurück zum laufenden Gerichtsprozess in Phnom Penh.
Der gestaltet sich alles andere als einfach. Das hohe Alter der aktuell Angeklagten,
der engsten Vertrauten von Pol Pot, ließ die Befürchtung aufkommen, der Prozess komme
zu spät. Auch wird erwartet, dass sich das Gerichtsverfahren mit 2.000 Nebenklägern
über Jahre hinziehen wird. Weiteres Manko sei die mangelnde Erfahrung der kambodschanischen
Rechtsprechung. Zumindest lässt sie sich von internationalen Rechtsexperten unter
die Arme greifen, so wird im aktuellen Prozess jeweils ein kambodschanischer von einem
internationalen Richter flankiert. Alles in allem habe seit Beginn der Prozessreihe
vor vier Jahren in der kambodschanischen Gesellschaft eine positive Entwicklung begonnen,
beobachtet Misereor-Fachmann Dornberg:
„…dadurch, dass Nebenkläger ihre
Geschichten haben einbringen können. Dass ganz neue Arten von Verbrechen ans Licht
der Öffentlichkeit gekommen sind, vor allem die Verbrechen gegenüber Frauen. Dies
hat sehr viel Neues bewirkt im Land, und es wäre schade, wenn dies durch einen administrativen
Akt oder einen nicht gelungenen Verlauf des zweiten Falles gestoppt würde.“
Kirchliches
Leben in Kambodscha heute
In Kambodscha leben überwiegend Buddhisten.
Christen machen heute nur etwa 0,2 Prozent der kambodschanischen Bevölkerung aus.
Es gibt drei apostolische Präfekturen, die mit Nicht-Kambodschanern besetzt sind.
Von 60 Priestern sind nur fünf ethnische Khmer, also Kambodschaner. Die Kirche habe
selbst mit der allgemeinen Armut in dem Land zu kämpfen, so Dornberg, der Aufbau lokaler
Ortskirchen sei schwer.
„Ein Großteil der Khmer ist auch heute ethnisch-vietnamesisch,
was es der Kirche auch nicht immer leicht macht, dieses lokale Khmer-Image zu stärken.
Und es gibt viele in der Kirche, die sagen, wir können das nur zeigen, indem wir uns
für alle Khmer einsetzen, ob sie Christen oder Buddhisten sind, indem wir uns für
die Armen und Benachteiligten einsetzen. Damit zeigen wir, dass wir wirklich Khmer
sind. Und die Hoffnung und Gebete gehen da hin, dass sich auch in Zukunft mehr Interessenten
für den Priesterberuf zeigen.“