2011-06-30 15:54:54

Kambodscha: Späte Gerechtigkeit


RealAudioMP3 Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit; Folter und Verfolgung religiöser Minderheiten – das sind die Anklagen gegen Führer des damaligen Regimes der Roten-Khmer in Kambodscha. Einige von ihnen stehen seit Montag in Phnom Penh vor Gericht. Die überlebenden Opfer des maoistisch-kommunistischen Regimes erhoffen sich vom Gerichtsprozess Gerechtigkeit. Späte Gerechtigkeit – die Schreckensherrschaft der Roten Khmer ging vor 32 Jahren zu Ende. Mit dem sich anschließenden Bürgerkrieg zog sich eine weitere blutige Spur durch die kambodschanische Geschichte. Ulrich Dornberg ist Länderreferent für Kambodscha beim bischöflichen Hilfswerk Misereor. Er hat schon den ersten Prozess gegen Kaing Guek Eav, den „Foltermeister“ des Rote-Khmer-Führers Pol Pot, verfolgt. Im Gespräch mit Radio Vatikan sagte er:

„Viele Menschen hoffen natürlich, dass auch der Fall Zwei mit Verurteilungen ausgeht, weil das für ihren Versöhnungsprozess und die weitere Aufarbeitung der Vergangenheit in dem Land wichtig ist.“

Rote Hölle

Blicken wird zurück in die Geschichte. Wir schreiben das Jahr 1975. Die maoistische Bewegung der Roten Khmer ergreift die Macht. Mit brutalstem Zwang soll Kambodscha zum agrar-kommunistischen Staat werden. Nach Vorbild der chinesischen Kulturrevolution schicken die Ideologen des Diktators Pol Pot, des „Bruders Nummer eins“, hunderttausende Kambodschaner aufs Land. Schwere körperliche Arbeit steht für sie auf der Tagesordnung, viele von ihnen sterben inmitten der Reisfelder, die sie bewirtschaften. Wer in irgendeiner Form als Abweichler von der Parteilinie gilt, wird in Folter- und Arbeitslager eingewiesen. Im berüchtigten „Sicherheitsgefängnis 21“ in der Hauptstadt Phnom Penh, sterben die Gefangenen wie die Fliegen: nur sieben von insgesamt 15-30.000 Gefangen überleben. Insgesamt kommt zwischen 1975 bis 1979 fast ein Viertel der acht Millionen zählenden Bevölkerung ums Leben.

Tötungen, Zwangsarbeit und Hunger trafen auch die religiösen Minderheiten, darunter viele Christen. Ihre Verfolgung hatte schon vor dem kommunistischen Regime der Roten Khmer begonnen, erzählt Dornberg:

„Ein Großteil der Christen war ethnische Vietnamesen. Und da war es so, dass mit Billigung der Amerikaner auch anti-vietnamesische Pogrome stattgefunden haben. Bereits in den Jahren vor 1975, als die Roten Khmer die Macht übernahmen, ist der Anteil der Katholiken von schätzungsweise 60-70.000 runtergegangen. Der einzige Khmer-Bischof ist damals getötet worden, weil alle religiösen Einrichtungen, Tempel, Klöster vor allem der Buddhisten zerstört wurden. Viele sind damals an Zwangsarbeit gestorben – als Folge der antireligiösen Ideologie dieser agrarkommunistisch orientierten Roten Khmer.“

Mit Einmarsch vietnamesischer Truppen im Dezember 1978 war der Schrecken der Roten Khmer nicht vorbei, viele Menschen sterben im folgenden Bürgerkrieg, der sich Jahrzehnte hinziehen sollte. Die Roten Khmer gingen in den Untergrund, doch noch im September 1993, als unter Aufsicht der Vereinten Nationen in Kambodscha die ersten freien Wahlen seit 20 Jahren abgehalten wurden, schafften sie es, die Wahl zu boykottieren. Pol Pot starb 1998, ohne dass er jemals für seine Verbrechen verantwortlich gemacht worden wäre.

Eine Folge: „Kultur der Gewalt“

Die Folgen der Schreckensherrschaft der Roten Khmer sind auch heute in Kambodscha allgegenwärtig, berichtet Misereor-Fachmann Dornberg. Keine Familie in Kambodscha sei dabei verschont geblieben. Die auf dem Territorium verteilten Minen aus Kriegszeiten, die bis heute immer wieder neue Opfer fordern, seien da nur eines von vielen Problemen.

„Indirekte Spuren der Vergangenheit sind zu spüren in einer Kultur der Gewalt und in einer politischen Kultur, in der Angst und Einschüchterung immer noch wirken. Und natürlich sieht man Folgen auch im Entwicklungsstand des Landes. Alle, die als Intellektuelle bezeichnet wurden – und das waren häufig einfach Menschen, die eine Fremdsprache gesprochen haben oder eine Brille getragen haben – wurden ausgemerzt. Das hat natürlich auch das Bildungssystem in dem Land zerstört. Kambodscha versucht erst jetzt ganz langsam, eine neue Generation qualifizierter Lehrerinnen und Lehrer heranzubilden, die die Jugend auf die Herausforderungen der Zukunft vorbereiten kann.“

Das bischöfliche Hilfswerk Misereor unterstützt Kambodscha vor allem bei der Reform staatlicher Institutionen, die sich mit Landreformen und Landrechten auseinandersetzen. Weiter unterstützt das Hilfswerk in Kambodscha Behinderte und setzt sich in der Friedensarbeit besonders für Jugendliche ein. Denn bis heute sei die aus der Vergangenheit rührende „Kultur der Gewalt“ spürbar, so Dornberg. Man versuche dieses Schema vor allem in der Arbeit mit Jugendlichen aufzubrechen:

„Dass sie lernen, Kritik zu üben, ohne persönlich zu werden, unterschiedliche Meinungen in Freundschaft auszutragen, ohne dass Freundschaften daran zugrunde gehen müssen. Damit sie lernen, daran zu wachsen. Diese Friedensarbeit ist Schwerpunkt unserer Arbeit. Es geht darum, neue Perspektiven zu geben.“

Ein schwieriger Prozess

Kommen wir zurück zum laufenden Gerichtsprozess in Phnom Penh. Der gestaltet sich alles andere als einfach. Das hohe Alter der aktuell Angeklagten, der engsten Vertrauten von Pol Pot, ließ die Befürchtung aufkommen, der Prozess komme zu spät. Auch wird erwartet, dass sich das Gerichtsverfahren mit 2.000 Nebenklägern über Jahre hinziehen wird. Weiteres Manko sei die mangelnde Erfahrung der kambodschanischen Rechtsprechung. Zumindest lässt sie sich von internationalen Rechtsexperten unter die Arme greifen, so wird im aktuellen Prozess jeweils ein kambodschanischer von einem internationalen Richter flankiert. Alles in allem habe seit Beginn der Prozessreihe vor vier Jahren in der kambodschanischen Gesellschaft eine positive Entwicklung begonnen, beobachtet Misereor-Fachmann Dornberg:

„…dadurch, dass Nebenkläger ihre Geschichten haben einbringen können. Dass ganz neue Arten von Verbrechen ans Licht der Öffentlichkeit gekommen sind, vor allem die Verbrechen gegenüber Frauen. Dies hat sehr viel Neues bewirkt im Land, und es wäre schade, wenn dies durch einen administrativen Akt oder einen nicht gelungenen Verlauf des zweiten Falles gestoppt würde.“

Kirchliches Leben in Kambodscha heute

In Kambodscha leben überwiegend Buddhisten. Christen machen heute nur etwa 0,2 Prozent der kambodschanischen Bevölkerung aus. Es gibt drei apostolische Präfekturen, die mit Nicht-Kambodschanern besetzt sind. Von 60 Priestern sind nur fünf ethnische Khmer, also Kambodschaner. Die Kirche habe selbst mit der allgemeinen Armut in dem Land zu kämpfen, so Dornberg, der Aufbau lokaler Ortskirchen sei schwer.

„Ein Großteil der Khmer ist auch heute ethnisch-vietnamesisch, was es der Kirche auch nicht immer leicht macht, dieses lokale Khmer-Image zu stärken. Und es gibt viele in der Kirche, die sagen, wir können das nur zeigen, indem wir uns für alle Khmer einsetzen, ob sie Christen oder Buddhisten sind, indem wir uns für die Armen und Benachteiligten einsetzen. Damit zeigen wir, dass wir wirklich Khmer sind. Und die Hoffnung und Gebete gehen da hin, dass sich auch in Zukunft mehr Interessenten für den Priesterberuf zeigen.“

(rv 28.06.2011 pr)









All the contents on this site are copyrighted ©.