2011-06-29 12:07:31

Volltext: Benedikts Predigt zum 60. Jahrestag seiner Priesterweihe


„Non iam dicam servos, sed amicos“ – „Nicht mehr Knechte nenne ich euch, sondern Freunde“ (cfr. Joh 15, 15).

Liebe Brüder und Schwestern, sechzig Jahre nach dem Tag meiner Priesterweihe höre ich inwendig wieder, wie am Ende der Weihezeremonien unser greiser Erzbischof Kardinal Faulhaber mit etwas brüchig gewordener und doch fester Stimme dieses Wort Jesu uns Neupriestern zusprach. Nach der liturgischen Ordnung jener Zeit damals bedeutete dieser Zuruf die ausdrückliche Zuweisung der Vollmacht der Sündenvergebung an die neugeweihten Priester. „Nicht mehr Knechte, sondern Freunde“: Ich wußte und spürte, daß das in diesem Augenblick nicht nur ein zeremonielles Wort war und auch mehr als ein Zitat aus der Heiligen Schrift. Ich wußte: In dieser Stunde sagt er selbst, der Herr, es jetzt zu mir ganz persönlich. In der Taufe und in der Firmung hatte er uns schon an sich gezogen, uns in die Familie Gottes aufgenommen. Aber was nun geschah, war doch noch einmal mehr. Er nennt mich Freund. Er nimmt mich in den Kreis derer auf, die er damals angeredet hatte im Abendmahlssaal. In den Kreis derer, die er auf ganz besondere Weise kennt und die ihn so in besonderer Weise kennenlernen. Er gibt mir die fast erschreckende Vollmacht zu tun, was nur er, der Sohn Gottes, sagen und tun kann und darf: Ich vergebe dir deine Sünden. Er will, daß ich – von ihm bevollmächtigt – mit seinem Ich ein Wort sagen kann, das nicht nur Wort ist, sondern Handeln, das im Tiefsten des Seins etwas verändert. Ich weiß, daß hinter diesem Wort sein Leiden um uns und für uns steht. Daß die Vergebung ihren Preis hat: In seinem Leiden ist er hinabgestiegen in den dunklen, schmutzigen Grund unserer Sünde. Er ist hinabgestiegen in die Nacht unserer Schuld, und nur so kann sie umgewandelt werden. Und er läßt mich durch die Vollmacht der Vergebung hineinschauen in den Abgrund des Menschen und in die Größe seines Leidens um uns Menschen, die mich die Größe seiner Liebe ahnen läßt. Er vertraut sich mir an: „Nicht mehr Knechte, sondern Freunde.“ Er vertraut mir das Wort der Verwandlung in der Eucharistie an. Er traut mir zu, daß ich sein Wort verkünde, es recht auslegen und zu den Menschen von heute bringen kann. Er vertraut sich mir an. Ihr seid nicht mehr Knechte, sondern Freunde: Dies ist ein Wort einer großen inneren Freude, das einen zugleich schaudern machen kann in seiner Größe, über die Jahrzehnte und mit all den Erfahrungen der eigenen Schwachheit und seiner nicht zu erschöpfenden Güte.

„Nicht mehr Knechte, sondern Freunde“: In diesem Wort liegt das ganze Programm eines priesterlichen Lebens. Was ist das eigentlich, Freundschaft? Idem velle, idem nolle – dasselbe wollen und nicht wollen, sagten die Alten. Freundschaft ist Gemeinschaft des Denkens und des Wollens. Der Herr sagt uns das Gleiche ganz nachdrücklich: „Ich kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich“ (Joh 10, 14). Der Hirt ruft die Seinen beim Namen (Joh 10, 3). Er kennt mich mit Namen. Ich bin nicht irgendein anonymes Wesen in der Unendlichkeit des Alls. Er kennt mich ganz persönlich. Kenne ich ihn? Die Freundschaft, die er mir schenkt, kann nur bedeuten, daß auch ich ihn immer mehr zu erkennen versuche; daß ich in der Schrift, in den Sakramenten, in der Begegnung des Betens, in der Gemeinschaft der Heiligen, in den Menschen, die auf mich zukommen und die er mir schickt, immer mehr ihn selber zu erkennen versuche. Freundschaft ist nicht nur Erkennen, sie ist vor allem Gemeinschaft des Wollens. Sie bedeutet, daß mein Wille hineinwächst in das Ja zu dem Seinigen. Denn sein Wille ist für mich kein äußerer, fremder Wille, dem ich mich mehr oder weniger willig beuge oder auch nicht beuge. Nein, in der Freundschaft wächst mein Wille mit dem Seinigen zusammen, wird sein Wille der Meinige, und gerade so werde ich wahrhaft ich selber. Über die Denk- und Willensgemeinschaft hinaus benennt der Herr ein drittes, neues Element: Er gibt sein Leben für uns (Joh 15, 13; 10, 15). Herr, hilf mir, dich immer besser zu erkennen. Hilf mir, immer mehr eins zu sein mit deinem Willen. Hilf mir, mein Leben nicht für mich selbst zu leben, sondern es mit dir für die anderen zu leben. Hilf mir, immer mehr dein Freund zu werden.

Das Wort Jesu von der Freundschaft steht im Zusammenhang mit der Rede vom Weinstock. Der Herr verbindet das Bild vom Weinstock mit einem Auftrag an die Jünger: „Ich habe euch dazu bestimmt, daß ihr hingeht und daß ihr Frucht bringt und daß eure Frucht bleibt“ (Joh 15, 16). Der erste Auftrag an die Jünger – an die Freunde – ist das Aufbrechen – „dazu bestimmt, daß ihr hingeht“ –, das Herausgehen aus dem Eigenen zu den anderen hin. Wir können hier das Wort des Auferstandenen an die Seinigen mithören, mit dem Matthäus sein Evangelium beschließt: „Geht hin und lehrt alle Völker …“ (Mt 28, 19f). Der Herr fordert uns auf, unseren eigenen Lebensbereich zu überschreiten, das Evangelium in die Welt der anderen hineinzutragen, damit es das Ganze durchdringe und so die Welt sich für das Reich Gottes öffne. Dies mag uns daran erinnern, daß Gott selber aus sich herausgetreten ist, seine Herrlichkeit verlassen hat, um uns zu suchen, um uns sein Licht und seine Liebe zu bringen. Dem aufbrechenden Gott wollen wir folgen, die Trägheit des Bei-sich-Bleibens überwinden, damit er selber hineintreten kann in die Welt.

Nach dem Wort vom Aufbrechen fährt Jesus fort: Bringt Frucht, Frucht, die bleibt. Welche Frucht erwartet er von uns? Welche Frucht bleibt? Nun – die Frucht des Weinstocks ist die Traube, aus der dann der Wein bereitet wird. Bleiben wir zunächst bei diesem Bild. Damit gute Trauben reifen können, bedarf es der Sonne, aber auch des Regens, des Tages und der Nacht. Damit edler Wein reift, braucht es das Keltern, die Geduld der Gärungen, die sorgsame Pflege, die den Prozessen der Reifung dient. Zum edlen Wein gehört nicht nur die Süße, sondern der Reichtum der Nuancen, das vielfältige Aroma, das sich in den Prozessen des Reifens und der Gärung gebildet hat. Ist das nicht schon ein Bild des menschlichen Lebens, unseres Lebens als Priester ganz besonders? Wir brauchen Sonne und Regen, das Heitere und das Schwere, die Phasen der Reinigung und der Prüfung wie auch die Zeiten des freudigen Unterwegsseins mit dem Evangelium. In der Rückschau können wir Gott für beides danken: für das Schwere und für das Frohe, für die dunklen und für die glücklichen Stunden. In beidem erkennen wir die immerwährende Gegenwart seiner Liebe, die uns stets neu trägt und erträgt.

Aber nun müssen wir doch fragen: Was ist das für eine Frucht, die der Herr von uns erwartet? Der Wein ist Bild für die Liebe: Sie ist die eigentliche, die bleibende Frucht, die Gott von uns will. Aber vergessen wir dabei nicht, daß im Alten Testament der erwartete Wein aus den edlen Trauben vor allem Bild für die Gerechtigkeit ist, die in einem Leben wächst, das Gottes Gesetz entsprechend gelebt wird. Und sagen wir nicht, dies sei alttestamentlich und nun überwunden – nein, das bleibt immer wahr. Der wahre Inhalt des Gesetzes, seine Summe, ist die Liebe zu Gott und zum Nächsten. Aber diese doppelte Liebe ist nichts bloß Süßes. Sie trägt in sich die Fracht der Geduld, der Demut, des Reifwerdens in der Einformung unseres Willens in den Willen Gottes, in den Willen Jesu Christi, des Freundes. Nur so, in dem Wahrwerden und Rechtwerden unseres ganzen Seins ist auch die Liebe wahr, nur so ist sie reife Frucht. Ihr innerer Anspruch, die Treue zu Christus und seiner Kirche will immer auch erlitten sein. Gerade so wächst die wahre Freude. Zutiefst deckt sich das Wesen der Liebe, der wahren Frucht mit dem Wort vom Aufbrechen, vom Hingehen: Sie bedeutet das Sichverlassen, das Sichhingeben; sie trägt in sich das Zeichen des Kreuzes. Gregor der Große hat in diesem Zusammenhang einmal gesagt: Wenn ihr zu Gott strebt, sorgt dafür, nicht allein zu ihm zu gelangen – ein Wort, das uns als Priester jeden Tag vor der Seele stehen muß (H Ev 1, 6, 6 PL 76, 1097f).

Liebe Freunde, vielleicht habe ich mich zu lange mit dem inwendigen Rückblick auf die sechzig Jahre meines priesterlichen Dienstes aufgehalten. Nun wird es Zeit, an das Besondere dieser Stunde zu denken.

Am Hochfest der heiligen Apostel Petrus und Paulus richte ich meinen ganz herzlichen Gruß an den Ökumenischen Patriarchen Bartholomäus I. und an die Delegation, die er gesandt hat. Ich danke ihr von Herzen für den geschätzten Besuch anläßlich der Feierlichkeiten zu Ehren der Apostelfürsten, der Patrone Roms. Ebenso grüße ich die Herren Kardinäle, die Mitbrüder im Bischofsamt, die Botschafter und die Vertreter des öffentlichen Lebens, wie auch die Priester, meine Weihekollegen, die Personen geweihten Lebens und die gläubigen Laien. Ihnen allen danke ich für ihre Teilnahme und für ihr Gebet.

Den Erzbischöfen, die seit dem letzten Fest der großen Apostel ernannt worden sind, wird in dieser Stunde das Pallium auferlegt. Was bedeutet das? Es mag uns zunächst an das süße Joch Christi erinnern, das uns auferlegt wird (cfr. Mt 11, 29f). Das Joch Christi ist identisch mit seiner Freundschaft. Es ist ein Joch der Freundschaft und darum „ein süßes Joch“, aber gerade so auch ein forderndes und formendes Joch. Es ist das Joch seines Willens, der ein Wille der Wahrheit und der Liebe ist. So ist es für uns vor allem auch das Joch, andere in die Freundschaft mit Christus zu führen und für die anderen da zu sein, uns um sie als Hirten zu sorgen. Damit sind wir bei einer weiteren Bedeutung des Palliums angelangt: Es wird gewoben aus der Wolle von Lämmern, die am Festtag der heiligen Agnes gesegnet werden. So erinnert es uns an den Hirten, der selbst Lamm geworden ist, aus Liebe zu uns. Es erinnert uns an Christus, der sich aufgemacht hat in die Berge und in die Wüsten, in denen sich sein Lamm, die Menschheit verlaufen hat. Es erinnert uns an ihn, der das Lamm, die Menschheit – mich – auf seine Schultern genommen hat, um mich heimzutragen. Es erinnert uns so daran, daß wir als Hirten in seinem Dienst die anderen mittragen, gleichsam auf die Schultern nehmen und zu Christus bringen sollen. Es erinnert uns daran, daß wir Hirten seiner Herde sein dürfen, die immer die Seine bleibt und nicht die Unsere wird. Endlich bedeutet das Pallium ganz praktisch auch die Gemeinschaft der Hirten der Kirche mit Petrus und mit seinen Nachfolgern – daß wir Hirten für die Einheit und in der Einheit sein müssen und nur in der Einheit, für die Petrus steht, auch wahrhaft zu Christus hinführen.

Sechzig Jahre priesterlicher Dienst – liebe Freunde, vielleicht bin ich zu ausführlich geworden. Aber es drängte mich in dieser Stunde, auf das hinzuschauen, was die Jahrzehnte geprägt hat. Es drängte mich, Euch – allen Priestern und Bischöfen wie auch den Gläubigen der Kirche – ein Wort der Hoffnung und Ermutigung zu sagen; ein in der Erfahrung gereiftes Wort davon, daß der Herr gut ist. Vor allem aber ist dies eine Stunde des Dankes: Dank an den Herrn für die Freundschaft, die er mir geschenkt hat und die er uns allen schenken will. Dank an die Menschen, die mich geformt und begleitet haben. Und in alledem verbirgt sich die Bitte, daß der Herr einmal in seiner Güte uns annimmt und uns seine Freude schauen läßt. Amen.

(rv 29.06.2011 mg)







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