Volltext: Benedikts Predigt zum 60. Jahrestag seiner Priesterweihe
„Non iam dicam servos, sed amicos“ – „Nicht mehr Knechte nenne ich euch, sondern
Freunde“ (cfr. Joh 15, 15).
Liebe Brüder und Schwestern, sechzig Jahre
nach dem Tag meiner Priesterweihe höre ich inwendig wieder, wie am Ende der Weihezeremonien
unser greiser Erzbischof Kardinal Faulhaber mit etwas brüchig gewordener und doch
fester Stimme dieses Wort Jesu uns Neupriestern zusprach. Nach der liturgischen Ordnung
jener Zeit damals bedeutete dieser Zuruf die ausdrückliche Zuweisung der Vollmacht
der Sündenvergebung an die neugeweihten Priester. „Nicht mehr Knechte, sondern Freunde“:
Ich wußte und spürte, daß das in diesem Augenblick nicht nur ein zeremonielles Wort
war und auch mehr als ein Zitat aus der Heiligen Schrift. Ich wußte: In dieser Stunde
sagt er selbst, der Herr, es jetzt zu mir ganz persönlich. In der Taufe und in der
Firmung hatte er uns schon an sich gezogen, uns in die Familie Gottes aufgenommen.
Aber was nun geschah, war doch noch einmal mehr. Er nennt mich Freund. Er nimmt mich
in den Kreis derer auf, die er damals angeredet hatte im Abendmahlssaal. In den Kreis
derer, die er auf ganz besondere Weise kennt und die ihn so in besonderer Weise kennenlernen.
Er gibt mir die fast erschreckende Vollmacht zu tun, was nur er, der Sohn Gottes,
sagen und tun kann und darf: Ich vergebe dir deine Sünden. Er will, daß ich – von
ihm bevollmächtigt – mit seinem Ich ein Wort sagen kann, das nicht nur Wort ist, sondern
Handeln, das im Tiefsten des Seins etwas verändert. Ich weiß, daß hinter diesem Wort
sein Leiden um uns und für uns steht. Daß die Vergebung ihren Preis hat: In seinem
Leiden ist er hinabgestiegen in den dunklen, schmutzigen Grund unserer Sünde. Er ist
hinabgestiegen in die Nacht unserer Schuld, und nur so kann sie umgewandelt werden.
Und er läßt mich durch die Vollmacht der Vergebung hineinschauen in den Abgrund des
Menschen und in die Größe seines Leidens um uns Menschen, die mich die Größe seiner
Liebe ahnen läßt. Er vertraut sich mir an: „Nicht mehr Knechte, sondern Freunde.“
Er vertraut mir das Wort der Verwandlung in der Eucharistie an. Er traut mir zu, daß
ich sein Wort verkünde, es recht auslegen und zu den Menschen von heute bringen kann.
Er vertraut sich mir an. Ihr seid nicht mehr Knechte, sondern Freunde: Dies ist ein
Wort einer großen inneren Freude, das einen zugleich schaudern machen kann in seiner
Größe, über die Jahrzehnte und mit all den Erfahrungen der eigenen Schwachheit und
seiner nicht zu erschöpfenden Güte.
„Nicht mehr Knechte, sondern Freunde“:
In diesem Wort liegt das ganze Programm eines priesterlichen Lebens. Was ist das eigentlich,
Freundschaft? Idem velle, idem nolle – dasselbe wollen und nicht wollen, sagten
die Alten. Freundschaft ist Gemeinschaft des Denkens und des Wollens. Der Herr sagt
uns das Gleiche ganz nachdrücklich: „Ich kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich“
(Joh 10, 14). Der Hirt ruft die Seinen beim Namen (Joh 10, 3). Er kennt
mich mit Namen. Ich bin nicht irgendein anonymes Wesen in der Unendlichkeit des Alls.
Er kennt mich ganz persönlich. Kenne ich ihn? Die Freundschaft, die er mir schenkt,
kann nur bedeuten, daß auch ich ihn immer mehr zu erkennen versuche; daß ich in der
Schrift, in den Sakramenten, in der Begegnung des Betens, in der Gemeinschaft der
Heiligen, in den Menschen, die auf mich zukommen und die er mir schickt, immer mehr
ihn selber zu erkennen versuche. Freundschaft ist nicht nur Erkennen, sie ist vor
allem Gemeinschaft des Wollens. Sie bedeutet, daß mein Wille hineinwächst in das Ja
zu dem Seinigen. Denn sein Wille ist für mich kein äußerer, fremder Wille, dem ich
mich mehr oder weniger willig beuge oder auch nicht beuge. Nein, in der Freundschaft
wächst mein Wille mit dem Seinigen zusammen, wird sein Wille der Meinige, und gerade
so werde ich wahrhaft ich selber. Über die Denk- und Willensgemeinschaft hinaus benennt
der Herr ein drittes, neues Element: Er gibt sein Leben für uns (Joh 15, 13;
10, 15). Herr, hilf mir, dich immer besser zu erkennen. Hilf mir, immer mehr eins
zu sein mit deinem Willen. Hilf mir, mein Leben nicht für mich selbst zu leben, sondern
es mit dir für die anderen zu leben. Hilf mir, immer mehr dein Freund zu werden.
Das
Wort Jesu von der Freundschaft steht im Zusammenhang mit der Rede vom Weinstock. Der
Herr verbindet das Bild vom Weinstock mit einem Auftrag an die Jünger: „Ich habe euch
dazu bestimmt, daß ihr hingeht und daß ihr Frucht bringt und daß eure Frucht bleibt“
(Joh 15, 16). Der erste Auftrag an die Jünger – an die Freunde – ist das Aufbrechen
– „dazu bestimmt, daß ihr hingeht“ –, das Herausgehen aus dem Eigenen zu den anderen
hin. Wir können hier das Wort des Auferstandenen an die Seinigen mithören, mit dem
Matthäus sein Evangelium beschließt: „Geht hin und lehrt alle Völker …“ (Mt 28,
19f). Der Herr fordert uns auf, unseren eigenen Lebensbereich zu überschreiten, das
Evangelium in die Welt der anderen hineinzutragen, damit es das Ganze durchdringe
und so die Welt sich für das Reich Gottes öffne. Dies mag uns daran erinnern, daß
Gott selber aus sich herausgetreten ist, seine Herrlichkeit verlassen hat, um uns
zu suchen, um uns sein Licht und seine Liebe zu bringen. Dem aufbrechenden Gott wollen
wir folgen, die Trägheit des Bei-sich-Bleibens überwinden, damit er selber hineintreten
kann in die Welt.
Nach dem Wort vom Aufbrechen fährt Jesus fort: Bringt Frucht,
Frucht, die bleibt. Welche Frucht erwartet er von uns? Welche Frucht bleibt? Nun –
die Frucht des Weinstocks ist die Traube, aus der dann der Wein bereitet wird. Bleiben
wir zunächst bei diesem Bild. Damit gute Trauben reifen können, bedarf es der Sonne,
aber auch des Regens, des Tages und der Nacht. Damit edler Wein reift, braucht es
das Keltern, die Geduld der Gärungen, die sorgsame Pflege, die den Prozessen der Reifung
dient. Zum edlen Wein gehört nicht nur die Süße, sondern der Reichtum der Nuancen,
das vielfältige Aroma, das sich in den Prozessen des Reifens und der Gärung gebildet
hat. Ist das nicht schon ein Bild des menschlichen Lebens, unseres Lebens als Priester
ganz besonders? Wir brauchen Sonne und Regen, das Heitere und das Schwere, die Phasen
der Reinigung und der Prüfung wie auch die Zeiten des freudigen Unterwegsseins mit
dem Evangelium. In der Rückschau können wir Gott für beides danken: für das Schwere
und für das Frohe, für die dunklen und für die glücklichen Stunden. In beidem erkennen
wir die immerwährende Gegenwart seiner Liebe, die uns stets neu trägt und erträgt.
Aber
nun müssen wir doch fragen: Was ist das für eine Frucht, die der Herr von uns erwartet?
Der Wein ist Bild für die Liebe: Sie ist die eigentliche, die bleibende Frucht, die
Gott von uns will. Aber vergessen wir dabei nicht, daß im Alten Testament der erwartete
Wein aus den edlen Trauben vor allem Bild für die Gerechtigkeit ist, die in einem
Leben wächst, das Gottes Gesetz entsprechend gelebt wird. Und sagen wir nicht, dies
sei alttestamentlich und nun überwunden – nein, das bleibt immer wahr. Der wahre Inhalt
des Gesetzes, seine Summe, ist die Liebe zu Gott und zum Nächsten. Aber diese doppelte
Liebe ist nichts bloß Süßes. Sie trägt in sich die Fracht der Geduld, der Demut, des
Reifwerdens in der Einformung unseres Willens in den Willen Gottes, in den Willen
Jesu Christi, des Freundes. Nur so, in dem Wahrwerden und Rechtwerden unseres ganzen
Seins ist auch die Liebe wahr, nur so ist sie reife Frucht. Ihr innerer Anspruch,
die Treue zu Christus und seiner Kirche will immer auch erlitten sein. Gerade so wächst
die wahre Freude. Zutiefst deckt sich das Wesen der Liebe, der wahren Frucht mit dem
Wort vom Aufbrechen, vom Hingehen: Sie bedeutet das Sichverlassen, das Sichhingeben;
sie trägt in sich das Zeichen des Kreuzes. Gregor der Große hat in diesem Zusammenhang
einmal gesagt: Wenn ihr zu Gott strebt, sorgt dafür, nicht allein zu ihm zu gelangen
– ein Wort, das uns als Priester jeden Tag vor der Seele stehen muß (H Ev 1,
6, 6 PL 76, 1097f).
Liebe Freunde, vielleicht habe ich mich zu lange mit dem
inwendigen Rückblick auf die sechzig Jahre meines priesterlichen Dienstes aufgehalten.
Nun wird es Zeit, an das Besondere dieser Stunde zu denken.
Am Hochfest der
heiligen Apostel Petrus und Paulus richte ich meinen ganz herzlichen Gruß an den Ökumenischen
Patriarchen Bartholomäus I. und an die Delegation, die er gesandt hat. Ich danke ihr
von Herzen für den geschätzten Besuch anläßlich der Feierlichkeiten zu Ehren der Apostelfürsten,
der Patrone Roms. Ebenso grüße ich die Herren Kardinäle, die Mitbrüder im Bischofsamt,
die Botschafter und die Vertreter des öffentlichen Lebens, wie auch die Priester,
meine Weihekollegen, die Personen geweihten Lebens und die gläubigen Laien. Ihnen
allen danke ich für ihre Teilnahme und für ihr Gebet.
Den Erzbischöfen, die
seit dem letzten Fest der großen Apostel ernannt worden sind, wird in dieser Stunde
das Pallium auferlegt. Was bedeutet das? Es mag uns zunächst an das süße Joch Christi
erinnern, das uns auferlegt wird (cfr. Mt 11, 29f). Das Joch Christi ist identisch
mit seiner Freundschaft. Es ist ein Joch der Freundschaft und darum „ein süßes Joch“,
aber gerade so auch ein forderndes und formendes Joch. Es ist das Joch seines Willens,
der ein Wille der Wahrheit und der Liebe ist. So ist es für uns vor allem auch das
Joch, andere in die Freundschaft mit Christus zu führen und für die anderen da zu
sein, uns um sie als Hirten zu sorgen. Damit sind wir bei einer weiteren Bedeutung
des Palliums angelangt: Es wird gewoben aus der Wolle von Lämmern, die am Festtag
der heiligen Agnes gesegnet werden. So erinnert es uns an den Hirten, der selbst Lamm
geworden ist, aus Liebe zu uns. Es erinnert uns an Christus, der sich aufgemacht hat
in die Berge und in die Wüsten, in denen sich sein Lamm, die Menschheit verlaufen
hat. Es erinnert uns an ihn, der das Lamm, die Menschheit – mich – auf seine Schultern
genommen hat, um mich heimzutragen. Es erinnert uns so daran, daß wir als Hirten in
seinem Dienst die anderen mittragen, gleichsam auf die Schultern nehmen und zu Christus
bringen sollen. Es erinnert uns daran, daß wir Hirten seiner Herde sein dürfen, die
immer die Seine bleibt und nicht die Unsere wird. Endlich bedeutet das Pallium ganz
praktisch auch die Gemeinschaft der Hirten der Kirche mit Petrus und mit seinen Nachfolgern
– daß wir Hirten für die Einheit und in der Einheit sein müssen und nur in der Einheit,
für die Petrus steht, auch wahrhaft zu Christus hinführen.
Sechzig Jahre priesterlicher
Dienst – liebe Freunde, vielleicht bin ich zu ausführlich geworden. Aber es drängte
mich in dieser Stunde, auf das hinzuschauen, was die Jahrzehnte geprägt hat. Es drängte
mich, Euch – allen Priestern und Bischöfen wie auch den Gläubigen der Kirche – ein
Wort der Hoffnung und Ermutigung zu sagen; ein in der Erfahrung gereiftes Wort davon,
daß der Herr gut ist. Vor allem aber ist dies eine Stunde des Dankes: Dank an den
Herrn für die Freundschaft, die er mir geschenkt hat und die er uns allen schenken
will. Dank an die Menschen, die mich geformt und begleitet haben. Und in alledem verbirgt
sich die Bitte, daß der Herr einmal in seiner Güte uns annimmt und uns seine Freude
schauen läßt. Amen.