Patriarch aus Syrien: „Wir Christen sind in Gefahr!“
Die Medienberichte
aus Syrien sind düster: Panzer rollen durch Innenstädte, Demonstrationen werden niedergeschlagen,
Familien flüchten über die Grenze zur Türkei. Der melkitisch-katholische Patriarch
von Antiochien, der in Damaskus residiert, ärgert sich maßlos über diese Berichte:
Keiner habe das Recht, sich in Syriens Angelegenheiten zu mischen. Das sagte Gregorios
III. Laham uns an diesem Montag, als wir bei ihm im Patriarchat anriefen.
„Es
brennt nicht überall, sondern einmal hier, einmal da. Also, in Damaskus leben wir
ein ganz normales Leben: Bis zur Grenze nach Jordanien ist alles in Ordnung. Vor kurzem
war der Bischof von Aleppo bei mir, und auch er hat mir bestätigt, dass in Aleppo
alles in bester Ordnung ist. Also, meine erste Bemerkung ist: Es brennt nur in einigen
bestimmten Gebieten. Zweitens: Was man immer wieder in der europäischen Presse sagt,
ist einseitig und stimmt überhaupt nicht oder höchstens teilweise. Es gibt zum Beispiel
mehr Angriffe auf Polizisten als Angriffe der Armee auf Zivilisten! Da bin ich ganz
sicher.“
Nun sollte man sicher berücksichtigen, dass sich der Patriarch
vielleicht angesichts eines möglichen Abhörens seines Telefons nicht zu jedem Punkt
mit der gebotenen Freiheit äußern kann. Liegt es vielleicht daran, dass er die Demonstrationen
der letzten Wochen als von Ausländern gesteuert darstellt?
„Das sind Fremde,
die mit Waffen demonstrieren. Kann man in einem zivilisierten, demokratischen Land
in Europa etwa eine Kundgebung mit Waffen abhalten, oder ohne Erlaubnis? Das wollen
die Medien in Europa – sogar der „Osservatore Romano“ nicht verstehen. Das ist ungerecht!
Ich kenne mein Dorf und spreche mit vielen Priestern, die sagen: Es ist zu achtzig
Prozent falsch, was man in der europäischen Presse schreibt. Die Armee reagiert auf
bewaffneten Widerstand gegen die Polizisten – die Armee muss ja auch die einfachen
Menschen, die Zivilisten verteidigen. Also, Sie können verstehen: Als Patriarch und
Hirte sage ich, das ist eine übertriebene Sache, die von Europa ausgeht.“
Nun
hat allerdings in den letzten Tagen auch der Papst darauf hingewiesen, dass Syrien
echte Reformen brauche. Und zwar in einer Audienz für den neuen Botschafter aus Damaskus
im Vatikan. Es sei „sehr zu wünschen, dass diese Entwicklungen ohne Intoleranz,
Diskriminierung und Konflikt verlaufen und erst recht ohne Gewalt, stattdessen in
absolutem Respekt vor der Wahrheit, vor dem Zusammenleben, vor den legitimen Rechten
der Personen und Gemeinschaften und in einem versöhnlichen Geist“. Die Behörden sollten
„die Wünsche der Zivilgesellschaft“ ebenso berücksichtigen „wie die Wünsche internationaler
Instanzen“, so der Papst.
„Man darf ruhig (die syrische Regierung) ermahnen
und mehr Freiheit fordern, mehr Gerechtigkeit und Entwicklung der Wirtschaft, auch
Reformen. Aber man darf nicht (Konflikte) schüren und behaupten, es gebe Hunderte
von Toten usw. Der Heilige Vater hat mit Recht gesagt, man müsse die Würde der Menschen
achten. Europa hat ein Recht, Syrien zu ermahnen, aber es sollte auch versuchen, das
Land zu verstehen! Es geht nicht um Reformen, die haben wir in Fülle. Ich bin seit
zehn Jahren Patriarch, in dieser Zeit habe ich eine ungeheure Entwicklung erlebt.
Es gibt nur eine Partei, das stimmt allerdings; aber wir haben Wasser, Licht, Wirtschaft,
neue Universitäten und Schulen – und wir Christen haben Freiheit!“
Die
Unruhen in einigen Teilen Syriens haben aus der Perspektive von Gregorios III. Laham
vor allem mit dem arabischen Frühling in anderen Ländern der Region zu tun: Libyen,
Ägypten und Jemen.
„Aber es ist keine echte Revolution. Ich kann Ihnen
versichern, dass ich viel Erfahrung habe im Alltag dieses Landes: Erbarmen Sie sich
unser! Wohin gehen wir?“
Der Patriarch will nicht, dass sich sein Land
so entwickelt, wie der Irak in den letzten Jahren.
„Europa muss verstehen,
dass das Zusammenleben von Christen und Muslimen in Gefahr ist, wenn es so weitergeht!
Syrien kann den neuen Weg einschlagen, da bin ich sicher; es hat ja auch schon damit
angefangen. Aber man muss dem Zeit geben...“
Und hier deckt sich die Analyse
des zornigen Patriarchen in Damaskus mit der des Vatikans: Auch an der Kirchenspitze
fürchtet man, dass sich die Stimmung gegen die christlichen Minderheiten Syriens richten
könnte. Die Unruhen öffneten „in der aktuellen Verwirrung die Tür zur Gewalt“, gibt
der Sprecher von Papst Benedikt, Pater Federico Lombardi, zu bedenken.
„Es
wird versucht, einen Krieg zwischen den Religionsgemeinschaften zu provozieren, mit
dem großen Risiko der Spaltung der Gesellschaft.“
In einer solchen Lage
müsse man sich „zum Dialog der Versöhnung und des Friedens bekehren“, so Pater Lombardi.
„Für die syrischen Christen ist die Einheit des Landes eine Lebensbedingung.
Sie müssen und wollen Brücken für einen echten und ernsthaften Dialog im Land sein.“
Patriarch
Gregorios III. ist aufgebracht darüber, dass sich im Ausland jetzt Stimmen mehren,
die dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad die Legitimität absprechen.
„Wer
hat ein Recht dazu? Niemand, weder Nato noch UNO! Wir sind ein freies Land, keine
Sklaven, wir können unsere Probleme selbst lösen! Die Türkei war so herzlich willkommen
hier in Syrien, gute Bedingungen usw. – und jetzt auf einmal sprechen sie gegen Syrien
und wollen unter Umständen sogar dort einmarschieren. Das ist einfach nicht erlaubt!
Kann denn Deutschland etwa einfach in Frankreich einmarschieren? Wieso kann der türkische
Präsident einfach sagen: Ich bin bereit, in Syrien einzumarschieren? Das ist gegen
alle Regeln der Gesellschaft heute!“
Dasselbe gelte auch mit Blick auf
Frankreich, „unseren Freund“, wie der Patriarch sagt.
„Wie kommt der französische
Außenminister dazu zu sagen, der syrische Präsident sei nicht mehr legitim? Da kommt
dann die Gegenreaktion der Muslime gegen die Christen... Wir sind in Gefahr! Denn
wir Christen sind die ersten Opfer, wenn es zum Chaos kommt – und wenn es so weitergeht,
dann kommt es zu einem Chaos!“