2011-06-12 10:54:33

„Menschen in der Zeit“ Harald zur Hausen – Nobelpreisträger in Medizin


RealAudioMP3 Eine Sendung von Aldo Parmeggiani

Vor zwei Jahren wurde der Krebsforscher aus Heidelberg, Harald zur Hausen, - heute 75 Jahre alt – mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet. Der Tumorvirologe erhielt diese höchste Auszeichnung für sein Lebenswerk. Er trat den Beweis an, dass Krebs auch durch Viren ausgelöst werden kann. Ein medizinisches Dogma war gebrochen. In dem vor zwei Tagen aufgenommenen Gespräch nimmt Harald zur Hausen auch auf eine Frage Bezug, die sich in diesen Tagen förmlich aufdrängt: auf den sogenannten EHEC-Erreger, über dessen Herkunft noch keine Gewissheit herrscht, wohl aber zahlreiche Spekulationen kreisen. Können Sie dazu gleich einige kurze Worte sagen?

„Der Erreger selbst ist anscheinend auf eine Rekombination von spezifischen Bakteriengenen zurückzuführen, die in der Natur leider auch immer wieder einmal stattfinden. Also hier hat sich ein sehr virulenter Erregertyp herausgebildet. Wesentlich ist natürlich die Ursache der Infektion festzustellen und zu sehen, dass wir wirklich auch die Quelle bekämpfen können, aus der diese Infektion stammt. Es sind zu viele Spekulationen hier herumgereicht worden, es fehlen noch die stichhaltigen Ergebnisse, also es ist sicher eine wesentliche Aufgabe des öffentlichen Gesundheitsdienstes hier mit Nachdruck weiter nachzuforschen”.

Herr Professor zur Hausen, Sie sind 2008 mit dem Nobelpreis für Medizin in Stockholm ausgezeichnet worden. Sie haben erkannt, dass der Gebärmutterhalskrebs, an dem zahlreiche Frauen erkranken, auch durch Virusinfektionen ausgelöst werden kann. Ihre Forschung hat es ermöglicht, einen Impfstoff gegen einen der häufigsten Krebserkrankungen zu entwickeln. Dieser Impfstoff wird seit etwa fünf Jahren angewandt. Bis dahin war es ein langer Weg. Ist es möglich, heute schon annähernd zu schätzen, wie viele Menschenleben durch Ihre Entdeckung gerettet werden konnten?

„Wir wissen heute, dass praktisch alle Gebärmutterhalskrebse durch Papillomviren ausgelöst werden. Praktisch 100 Prozent sind positiv für diese Viren. Durch den Impfstoff werden derzeit etwa 70 Prozent der hochgradigen Vorstufen des Gebärmutterhalskrebses verhütet. Wir gehen davon aus – weil die Zeitspanne noch nicht lang genug ist, um das bewerten zu können - dass ein ähnlicher Prozentsatz an Krebs auch verhütet wird. In der Zukunft werden sicherlich Stoffe zur Verfügung stehen, die im breiteren Umfang noch schützen als 70 Prozent”.

Ihr heilbringender Impfstoff richtet sich gegen das sogenannte humane Papillonvirus HPV – das Sie eben genannt haben. Würden Sie uns bitte kurz erklären, was darunter zu verstehen ist?

„Das sind bestimmte Typen von Viren, die ganz spezifisch durch Sexualkontakte übertragen werden. Und hier sind es vor allem die Typen 16 die zu 50 Prozent bei Gebärmutterhalskrebs vorliegen. und 18, die in etwa 20 Prozent vorliegen. Darüber hinaus besteht aber eine gewisse Kreuzreaktion mit drei weiteres Typen, die auch beim Gebärmutterhalskrebs eine gewisse Rolle spielen, die Typen 31, 33 und 45. Sodass wir eigentlich davon ausgehen, dass der Impfschutz zur Zeit etwa gegen 80 Prozent der Gebärmutterhalskrebs-Erkrankung vorliegen dürfte. Das muss allerdings in der Zukunft noch klar bestätigt werden”.

Ab welchem Alter würden Sie den Zeitpunkt für eine Impfung empfehlen?

„In der Regel wird heute empfohlen im Alter zwischen neun und zwölf Jahren, hier in Deutschland zum Beispiel, zwischen zwölf und siebzehn Jahren, was ich für relativ spät halte. Also ich würde für die Altersgruppe zwischen neun und zwölf Jahren für ganz besonders geeignet für die Impfung halten”.

Kann sich denn jedes Mädchen, jede Frau die HPV-Impfung finanziell leisten? Auch in Ländern der sogenannten Dritten Welt?

„Leider ist der Impfstoff außerordentlich teuer und im Augenblick für viele Bereiche der Dritten Welt wirklich unerschwinglich. Ich habe gerade heute Morgen erst gesehen, dass eine der Firmen, die diesen Impfstoff herstellt, über eine internationale Allianz für die Imunisierung in Genf Impfstoffe zur Verfügung stellt, die vermutlich nur fünf Dollar pro Impfung kosten werden. Das wäre natürlich ein gewaltiger Fortschritt, wenn sich das so bestätigt, wie heute die Meldung durchkam. Dann würden in der Tat ein großer Teil der Bevölkerung geimpft werden können, die für diese Impfung in Frage kommt”.

Gilt der von Ihnen entwickelte Impfstoff auch gegen männliche Krebserkrankungen?

„Ja, er gilt auch gegen männliche Krebserkrankungen und zwar in besonderer Weise gegen Krebserkrankungen in der Aftergegend, auch in einem gewissen Umfang des Penis, und darüber hinaus im hinteren Mundbereich vor allem in den Mandeln. Hier ist der Impfstoff sicherlich sehr wirksam. Männer reagieren in gleicher Weise wie Frauen, sie sind natürlich auch Überträger der Infektion. Im Prinzip, wenn wir nur Junge impfen würden, würden wir wahrscheinlich einen gleichen, oder fast noch besseren Effekt erreichen, als wenn wir nur Mädchen impfen”.

Die Diagnose und Therapie von Krebserkrankungen haben sich zwar deutlich verbessert, nach wie vor kann laut Statistiken jedoch jeder zweite Krebspatient nicht erfolgreich behandelt werden. Welche Erfolgsaussichten prognostizieren Sie für die Zukunft? Wird man eines Tages den Krebs ganz besiegen können?

„Also den letzten Punkt kann ich nicht klar beantworten. Im Augenblick spricht nichts davon, dass in absehbarer Zeitspanne dies geschehen kann, der Krebs also ganz besiegt werden kann. Ich gehe aber davon aus, dass vor allem in der Prävention, also an der Vorbeugung des Krebses in Zukunkt deutliche Fortschritte erreicht werden können. Vorbeugung ist immer besser und auch weniger kostenfordernd. Ich gehe aber auch davon aus, dass die Krebsbehandlung in Zukunft noch deutlich verbessert werden kann. In welchem Umfang ist jetzt schwer vorauszusagen”.

Welche Voraussetzungen benötigen Forscher in der heutigen Zeit, um eine große Entdeckung – wie sie Ihnen gelungen ist – zu realisieren?

„Sie benötigen auf der einen Seite eine gute Förderung, auf der anderen Seite natürlich auch einen hohen persönlichen Einsatzund geeignete Möglichkeiten ihre Forschungen in einer guten Umgebung durchführen zu können”.

Wie sieht es in der Praxis aus, welche charakterlichen Eigenschaften muss ein Forscher auf jeden Fall besitzen, um Erfolg zu haben?

„Ich denke, dass unkonventionelles Denken, Präzision, Geduld und Beharrlichkeit ganz gewiss dazu gehören. Die Beharrlichkeit ist vielleicht ein ganz wichtiger Punkt, denn gerade die jungen Wissenschaftler stehen heute unter einem gewaltigen Druck rasch und schnell in besonders guten Journalen zu publizieren. Und das steht gelegentlich einem beharrlichen und langfristigen Forschungsprogramm entgegen”.

Welchen Stellenwert messen Sie dem Zufall auf Ihrem Lebensweg bei ?

„Soweit es meinen persönlichen Lebensweg betrifft eigentlich sehr wenig. Denn eigentlich waren unsere Forschungen relativ lange voraus geplant und sind auch sehr kontinuierlich über Jahrzehnte verfolgt worden. Also es ist hier vergleichsweise wenig der Zufall im Spiel gewesen”.

Was ist dem Menschen Harald zur Hausen außer der Wissenschaft und Forschung noch wichtig?

„Eine ganze Reihe von Punkten: ich bin auf der einen Seite ein leidenschaftlicher Tierfotograf, ich liebe klassische Musik, übrigens in besonderer Weise italienische Opernarien, darüber hinaus bin ich ein großer Landschafts- und Gartenfreund, lese viel und vor allem bin ich ein sehr intensiver Safari-Liebhaber. Das heißt meine Frau und ich – meine Frau stammt aus Südafrika – wir sind eigentlich jedes Jahr in einem der afrikanischen Länder – wo wir zwei Wochen lang in einer der großen Wildnis-Safari mitmachen. Das ist jedes Mal ein großes Erlebnis für uns beide”.

Für Radio Vatikan nun eine besonders wichtige Frage: der Widerspruch zwischen dem, was Sie als junger Mensch im Religionsunterricht hörten und dem, was Sie aus den Naturwissenschaften erfahren haben, bedeutete Ihnen immer eine Herausforderung und bestimmte Ihr Denken, heißt es in einer Biografie über Harald zur Hausen. Glaube und Vernunft würden sich nicht widersprechen, betont Papst Benedikt XVI. immer wieder. Sind Sie auch dieser Meinung?

„Auch nach meiner Meinung müssen sich Glaube und Vernunft nicht widersprechen. Allerdings gibt es eine Reihe von Schwierigkeiten, die wissenschaftlichen Ergebnisse der heutigen Zeit, vor allem auf dem Gebiet der Molekularbiologie und der Genetik, mit einigen der Glaubensgrundsätze in Einklang zu bringen. Und darüber in der Tat grübele ich sehr viel. Und habe auch darüber geschrieben, dass es hier eine Reihe von Punkten gibt, die eine Herausforderung für das Denken darstellen. Wenn Sie etwa die Berichte über die Wunder im Neuen oder im Alten Testament betrachten, ist das ein Punkt, der eigentlich nicht so ohne weiteres mit wissenschaftlichem Denken in Einklang zu bringen ist. Wenn man sich die Entstehung des Weltalls vor Augen führt, die heute auf einen Urknall zurückgeführt wird, die von dem Glauben her als genialer Schöpfungsakt betrachtet wird, von der Wissenschaft heute als ein noch unverstadenes Phänomen betrachtet wird, sind einige Schwierigkeiten da, das gemeinsam zusammen zu bringen. Es sind eine Reihe von Punkten, die einer intensiven Diskussion bedürfen und hoffentlich auch in der Zukunft eine intensive Diskussion finden”.

Welche Visionen für die Zukunft hat ein Arzt und Forscher, der mit dem Nobelpreis für Medizin – die höchste Anerkennung, die es für einen Wissenschaftler gibt, erhalten hat - und der 20 Jahre lang das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg leitete und es zu einem der führenden Institutionen dieser Art in der Welt machte?

„Meine Vision für die Zukunft ist die, dass wir in verstäktem Umfang in der Lage sein werden, Krebs vorzubeugen. Ich gehe davon aus, – wir können heute etwa 21 Prozent der weltweit auftretenden Krebserkrankungen mit Infektion in Verbindung bringen – dass dieser Anteil sich in Zukunft noch deutlich erhöhen wird, was allerdings intensive Forschung erfordert. Wenn wir in der Tat in der Lage sind einen größeren Teil von Krebserkrankungen Infektionsereignisse, die zum Teil Jahrzehnte zurückliegen zurückzuführen, dann haben wir allerdings auch eine besonders gute Chance verbesserte Vorbeuge zu leisten. Wir werden vermutlich auch in der Lage sein, eine bessere Frühdiagnostik besser durchzuführen und auch die Therapìie für die Krebserkrankung besser zu gestalten. Ich sehe das als einen ganz besonders wichtigen Forschungssektor an, und glücklicherweise, obwohl ich selber seit acht Jahren emeritiert bin, habe ich immer noch die Gelegenheit, aktiv weiter zu arbeiten und mit einem Team von jungen Leuten zusammen zu arbeiten. Ich hoffe, dass es uns oder anderen gelingen wird, diese Zusammenhänge näher darzustellen und zu belegen”.

(rv 12.06.2011 ap)







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